Behindertenhilfe: eine Aufgabe des Staates?
Am 7. Juni beschloss die CDU-SPD Landesregierung auf einer Sitzung des Landtages in Magdeburg eine Erhöhung der „Diäten“ für die Abgeordneten um satte 18%! Gleichzeitig protestierten vor dem Landtag rund 1500 und in Halle ca. 500 Beschäftigte der Behindertenwerkstätten- u. Verbände unter dem Motto „Behindertenhilfe – eine Aufgabe des Staates“. Hier der Auszug aus dem Redebeitrag eines Kollegen:
Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir sind heute hier als Beschäftigte der Behindertenwerkstätten von Halle und Umgebung. Gleichzeitig findet eine Kundgebung vor dem Magdeburger Landtag statt. Wir fordern u.a. mehr Geld für Bildung, Soziales und Integration, Sicherung der Betreuungsqualität und ein Stopp der Willkür der Sozialagentur und anderer Ämter. lch will mal gleich auf eines der Hauptprobleme dabei eingehen: Es wird immer behauptet, es sei zu wenig Geld da für Bildung und Soziales. In
vielen Städten ist die Finanzlage tatsächlich schlecht, aber das heißt nicht, dass kein Geld da wäre. Die Bundesländer und Städte werden u.a. durch falsche Steuerpolitik seit Jahrzehnten finanziell systematisch ausgeblutet. Dies widerspricht der föderalen Struktur der BRD und der Selbstverwaltung der Bundesländer und Städte. Deshalb ist die Forderung eines Zins-u. Schuldenmoratoriums für Städte und Kommunen notwendig. (…) Das ganze ist aber nicht nur eine Frage der Steuergerechtigkeit und der Verteilung des Reichtums, sondern ob wir in einer wirklichen Demokratie leben oder ob die Banken und Konzerne die Macht haben.Denn für die Banken waren in der Krise fast über Nacht hunderte Milliarden Euro da.Für Krieg und Rüstung werden immer noch jedes Jahr zig Milliarden Euro ausgegeben. Bekanntlich erhöhen sich die Politiker alle paar Jahre selbst ihre Gehälter. Und schließlich leben in Deutschland 90 Milliardäre und über 800.000 Millionäre, die vergleichsweise wenig Steuern zahlen. Am 1. Juli wird in Halle ein neuer Bürgermeister gewählt. Setzen wir die Kandidaten und Abgeordneten von hier in Halle bis rauf in den Bundestag per Brief, Anruf, E-Mail und Petitionen massiv unter Druck, denn diese Herrschaften wollen gewählt und wiedergewählt werden, das sollten wir ausnutzen. Das ist aber nur eine von vielen Möglichkeiten und wir dürfen uns keine Illusionen machen über Politiker, denn die meisten von denen sind vom Kapital finanzierte Lobbyisten. Es kann nicht darum gehen, an diesem verkorksten System herumzudoktern, sondern wir müssen die Herrschenden durch Kampf zu sozialen Zugeständnissen zwingen. Diese Kundgebung heute wird dafür nicht ausreichen. Wir müssen uns mit den Erwerbsloseninitiativen, den Mieterinitiativen, der Gewerkschaftsjugend u.a. sozialen Bewegungen auf antifaschistischer Grundlage verbünden. Ich nenne nur mal ein paar Beispiele: von 2003 bis 2005 protestierten in Deutschland hunderttausende gegen Krieg, Arbeitslosigkeit und Sozialabbau durch die Hartzgesetze. ln einigen Großbetrieben wie Opel Bochum kam es zu selbstständigen Streiks, es wurden Betriebe besetzt wie die Fahrradfabrik in Nordhausen und Autobahnen blockiert. In Stuttgart protestierten hunderttausend Menschen gegen das Milliardengrab S21. Oktober voriges Jahr demonstrierten über 20.000 Jugendliche der IG-Metall in Köln für die unbefristete Übernahme nach der Ausbildung und gegen Leiharbeit. Ende März protestierten in Frankfurt über 25.000 Menschen gegen die Macht der Banken und Konzerne. In Wolfen gründete sich eine Mieterinitiative gegen Mieterhöhungen, der sich binnen einer Woche über 90 Leute anschlossen. In Dresden verhinderten tausende Menschen einen Naziaufmarsch. Besetzungen, Blockaden, das klingt für manche vielleicht ein bisschen radikal, aber ich sag es klipp und klar: wenn sich immer alle Menschen streng an alle Gesetze gehalten hätten, ob die sinnvoll waren oder nicht, dann gäbe es keinen Fortschritt und wir würden heute noch im Mittelalter leben. Umgekehrt sieht man doch täglich, dass die Herrschenden sich nicht mal an ihr eigenes Grundgesetz halten. (…) Die Erfahrung hat gezeigt, dass dort wo es massive Proteste gab manchmal weniger bis gar keine Gelder gekürzt wurden und nicht immer, aber manchmal wurde sogar die Schließung von Einrichtungen und Betrieben verhindert. Es ist also Zivilcourage gefragt.Mutig, entschlossen, ausdauernd,kreativ und solidarisch. Die eben genannten Massenproteste und Initiativen sind auch wichtige Impulse für uns. Wir müssen uns organisieren und weitere Aktionen zu einem festen Bestandteil der sozialen Bewegungen machen, denn nur gemeinsam sind wir stark. Wir müssen für uns die Solidarität der Gewerkschaften und Vereine einfordern und gleichzeitig anderen dieselbe Unterstützung gewähren. Ich sage es zum Schluss noch einmal: wir brauchen mehr Geld für Bildung, Soziales und Integration, und zwar so schnell wie irgend möglich und nicht erst nach der nächsten Wahl. Danke, dass ihr heute hier seid. Glück auf bis zum nächsten mal!
J. aus Halle/S.