Auf viel Sympathie stieß der Streik der Zeitungsredakteure – trotz der vielen Wochen mit äußerst dünnen Zeitungen. Denn der Angriff der Zeitungsverleger war dreist und unverschämt. Viele Menschen verstanden sofort, dass ein Sieg der Verleger ein Vorbild für das Kapital in anderen Wirtschaftszweigen wäre und sie dort bald mit gleichen Forderungen konfrontiert würden.
Der für die Redaktionen zuständige Arbeitgeberverband BDZV (Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger) wollte das Urlaubsgeld kürzen und einen Tarifvertrag 2 einführen, der 25 Prozent weniger Einkommen für jeden neu abgeschlossenen Arbeitsvertrag bedeutet hätte. Mit brutaler Offenheit sollten in einem Tarifvertrag Billigstlöhne und ein Zwei-Klassen-Recht durchgeboxt werden. Angesichts der Krise rechneten sich die Herren gute Chancen aus. Mit der Androhung von weiteren Entlassungen versuchten sie, die Redakteure zu erpressen und klein zu kriegen.
Sie hatten nicht mit der Wut gerechnet!
Solidarität!
Es passierte etwas, was es schon lange nicht mehr in dieser Qualität in der Arbeiterbewegung in unserem Land gab: Fest angestellte Redakteure mit ihren alten Einkommen solidarisierten sich mit den jungen Redakteuren, die allein von den massiven Kürzungen betroffen gewesen wären. Es ist ein Signal, dass hier nicht nur für die eigenen Interessen, sondern für die Gesamtinteressen gekämpft wurde. Es wäre für die fest angestellten Redakteure ein leichtes gewesen, nur an sich zu denken. Der BDZV hätte sie bestimmt mit einer leichten Lohnerhöhung belohnt. Doch sie gingen diesen leichten Weg nicht! Sie machten sich auf den schwierigen Weg eines Streikes der vom Mai 2011 bis Ende August 2011 dauerte – also fast 4 Monate. Auch mit seiner Länge dokumentiert dieser Arbeitskampf die Härte, aber auch die Entschlossenheit und große Solidarität der Redakteure
Solidarität siegt!
Das Endergebnis gab dieser Kampfentschlossenheit recht! Der BDZV musste seine Billiglohnpläne zurücknehmen. Es wird keine Kürzungen für neu eingestellte Redakteur/innen geben. Das ist ein großer Erfolg und ein Vorbild für andere Belegschaften. Es muss endlich Schluss damit sein, dass sich Standorte gegeneinander ausspielen lassen. Wenn Kolleg/innen meinen sie könnten ihren Arbeitsplatz auf Kosten anderer retten, so sind sie schief gewickelt. Denn die Rechnung für Billiglöhne, unzumutbare Arbeitsbedingungen, die man bei anderen schweigend hingenommen hat, wird einem früher oder später vom Kapital präsentiert. Genauso ist es, wenn man sich jeden Angriff gefallen lässt, um ja nicht den Arbeitsplatz zu gefährden. So wird kein Arbeitsplatz gerettet. So wird das Kapital zu weiteren Angriffen ermutigt. Und tatsächlich sieht es ja heute so in vielen Betrieben aus: Ist eine Kürzung „zur Rettung der Arbeitsplätze“ durch, so folgt die nächste Kürzungsforderung, um „wettbewerbsfähig“ zu werden oder zu bleiben oder die Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern. Dann kommt die nächste Kürzung, weil sich „die Marktbedingungen verschlechtert haben“ usw. usf. Die Schraube dreht sich bis ins Unendliche, wenn es keinen oder nur schwachen Widerstand gibt. Nur Solidarität gibt Kraft! Gemeinsam kann man etwas erreichen, auch wenn es immer mal Niederlagen geben kann. Doch Zersplitterung und Spaltung, wenn jeder nur für sich kämpft, führt zu Schwäche und Niederlagen.
Woher kam die Kraft?
Seit Jahren fahren die Kapitalisten im Bereich Druck, Zeitungen, Verlage den Kurs der Spaltung und Schwächung der Belegschaften und der Gewerkschaft. Unternehmen treten aus dem Tarifvertrag aus und drücken die Löhne. Andere verlagern die Produktion an andere Standorte und nutzen die Standortkonkurrenz. Belegschaften werden ausgedünnt. So werden z. B. fest angestellte Redakteure immer stärker durch so genannte freie Mitarbeiter ersetzt, die bereits für Billiglöhne schuften müssen. Dabei kommen viele dieser Freien trotz heftiger Selbstausbeutung mit zahllosen Überstunden nicht einmal auf 2000 Euro brutto im Monat. Manche arbeiten für 50-60 Euro am Tag und müssen davon auch noch alle Unkosten wie Auto, Ausrüstung, Sozialversicherung bezahlen. Da kommt man selbst bei 30 Arbeitstagen nach Abzug der Unkosten und Sozialversicherung auf knapp 1000 Euro vor Steuern!
Lange haben die Kolleg/innen diesen Zustand ertragen. Es gab Wut und auch Widerstand, jedoch ohne ausreichende Konsequenzen für den Kampf. Doch die Wut ist Jahr für Jahr gestiegen. Zudem stieg auch das Bewusstsein, dass dieser Weg falsch ist und immer weiter nach unten führt. Immer mehr setzten sich dafür ein, dass die Gewerkschaft sich radikal gegen diese Angriffe wehrt. Sie wollten eine Organisation im Rücken, die sie stärkt und nicht gegen sie arbeitet und die Spaltung vertieft.
Dafür mussten auch sie diesmal selber sorgen. So machte die baden-württembergische Führung von ver.di und DJV (Deutscher Journalisten Verband) auf einer Streikversammlung am 25.7. im DGB-Haus Stuttgart den 400-500 Anwesenden den Vorschlag, den Streik vorerst auszusetzen, um Sondierungsgespräche zu führen. In der folgenden zweistündigen heftigen Diskussion wurde klar, dass die übergroße Mehrheit für eine unbefristete Fortsetzung des Streiks war. Der Vorschlag der Führung wurde zurückgezogen und zum „Missverständnis“ erklärt. Es habe sich ja nur um „Überlegungen aus den Gremien“ gehandelt. Die Abstimmung war dann eindeutig: eine Mehrheit für unbefristeten Streik! Noch am selben Tag erklärte sich der BDZV bereit, die Verhandlungen fortzuführen.
Über die negative Rolle der Gewerkschaftsführung berichtet die Stuttgarter Zeitung vom 18.8. wie folgt:
„Der Widerstand war von den Redaktionen in Baden-Württemberg ausgegangen. Und erst auf Druck der streikenden Belegschaften im Südwesten zeigten sich die zögerlichen Gewerkschaften – vor allem der DJV – willens und fähig, auch in anderen Ländern Arbeitsniederlegungen zu organisieren. Nach Nordrhein-Westfalen schlossen sich sehr spät Redaktionen in Bayern oder Hessen an. Die Dynamik führte dazu, dass am letzten Verhandlungstag bundesweit doch 2000 Journalisten an dem fantasievoll geführten Arbeitskampf teilnahmen.“
Keine Lohnerhöhung – sondern Minus!
Noch am 9.8.11 hatte ver.di erklärt:
„Zur Tariferhöhung muss sich noch einiges bewegen. Die Verleger bieten in einer von Mitte 2010 bis weit ins Jahr 2013 andauernde Laufzeit für mehr als zwei Jahre keine Tariferhöhung an, dafür nur zwei Einmalzahlungen von 200 € und erst im letzten Laufzeitjahr eine Erhöhung von 1,5 %. Für Freie werden ab Oktober 2011 und August 2012 je 2 % Honorarerhöhung angeboten. Beide Angebote bleiben damit selbst unterhalb eines Inflationsausgleichs. „Die beeindruckende Streikbewegung der vergangenen Wochen und die Ergebnisse der Urabstimmungen haben Bewegung in die Verhandlungen gebracht. Das ist ein Erfolg! Von einem akzeptablen Tarifergebnis sind wir allerdings noch weit entfernt. Solange die Verleger dieses verweigern, werden die Arbeitskampfmaßnahmen fortgeführt“, erklärte Frank Werneke, stellvertretender ver.di-Vorsitzender, zum Stand der Tarifrunde.“
(siehe http://tarifrunde-print.verdi.de/)
Nun hat ver.di einen Tarifabschluss in genau dieser Höhe gemacht! Eben erklärt die ver.di-Führung ein Abschluss mit 1,5% und zwei Einmalzahlungen von 200 Euro sowie 2% für die freien Redakteure seien „ unterhalb eines Inflationsausgleichs“. Dann stimmt sie 11 Tage später einer solchen Minusrunde für die Redakteure zu.
Der Betriebsrat der Stuttgarter Zeitung Ralf Settmacher meinte dazu: „Der Gehaltsabschluss ist mehr als schlecht. Zwei Einmalzahlungen von 200 Euro und einmal 1,5 Prozent linear in drei Jahren bedeuten einen weiteren Reallohnverlust für die Journalisten, die schon in den vergangenen zehn Jahren der allgemeinen Lohnentwicklung hinterhergelaufen sind.“
siehe: http://meedia.de/print/verlage-hatten-die-schraube-ueberdreht/2011/08/19.html)
In Streikblogs und Facebook-Einträgen haben sich viele Redakteure verärgert geäußert. So beispielsweise im Streikblog0711:
„Können wir zufrieden sein mit dem, was wir erreicht haben? Das Ergebnis beim Gehalt ist katastrophal. Wir werden von der allgemeinen Lohnentwicklung noch weiter abgehängt und wir erleiden erneut massive Reallohnverluste. Das ist kein Grund zur Zufriedenheit.“
siehe (http://streikblog0711.wordpress.com/2011/08/19/in-zwei-jahren-geht-der-tanz-von-vorne-los/)
Derzeit halten allerdings viele den Abschluss für vertretbar, weil er eben bei der Abwehr der Kürzungspläne des BDZV ein großer Erfolg ist. Und viele stimmen zu recht darauf ein, dass dieser Kampf weiter gehen wird. Sie weisen darauf hin, dass viele Redaktionen nicht mehr tarifgebunden sind. Hier gibt es bereits erste Streiks wie z.B. beim Schwarzwälder Boten, um die Tarifbindung zu erzwingen. Durch den bisherigen Kampf ist die Solidarität mit diesen Kolleg/innen ebenso wie die Erfahrung gewachsen. Und das werden die Zeitungskapitalisten in der nächsten Zeit bestimmt noch zu spüren bekommen.