Bericht aus Tunesien – 3. Teil: Erster legaler Parteitag der Kommunistischen Arbeiterpartei Tunesiens (PCOT)

Auch die weitere Vorstellung der Ergebnisse der Arbeitsgruppen verlief lebhaft. Aus der Arbeitsgruppe über die Massenorganisationen wurde unter anderem berichtet, dass die PCOT für eine Einheitsgewerkschaft kämpft und die Aufspaltung in Richtungsgewerkschaften, die derzeit in Tunesien von bürgerlichen Kräften betrieben wird, ablehnt. Diese Genossen haben unter den Bedingungen der Illegalität in den von der Diktatur zur Beherrschung der Arbeiterklasse aufgebauten Gewerkschaften gearbeitet. Dabei haben sie trotz Haft und Folter, Ausschluss aus der Gewerkschaft, Entlassung aus dem Betrieb und Verfolgung immer mehr Einfluss gewonnen. Mit den Genossinnen und Genossen verbunden gab es eine wachsende Strömung demokratischer Gewerkschafter, die am Ende kurz vor dem Sturz der Diktatur die von Ben Ali eingesetzten Gewerkschaftsführer vor sich hertrieb und sie dazu zwang, sich für den Rücktritt Ben Alis einzusetzen. Die bürgerlichen Kräfte betreiben derzeit eine Aufspaltung der Gewerkschaften, weil sie diesen hart erarbeiteten Einfluss der PCOT und der demokratischen, kämpferischen Gewerkschafter fürchten. Bei einer Aufspaltung hätten diese Kräfte die rückständigen Arbeiter/innen unter ihrer Kontrolle und könnten so verhindern, dass diese von revolutionären Ideen erfasst und beeinflusst werden, wie es unter den Bedingungen der Diktatur in ständig steigendem Maße geschah und auch im jetzigen Umbruchprozess weiter der Fall ist. Jede Absonderung der Revolutionäre würde es den bürgerlichen Kräften erleichtern, einen großen Teil der Arbeiterklasse unter ihrer Kontrolle zu halten. Daher vertreten die Genossinnen und Genossen den Gedanken der Einheit der Arbeiterklasse und der Gewerkschaften.

Nachdem die Ergebnisse aller Arbeitsgruppen diskutiert und gebilligt waren, war die Zeit knapp. Die alte Parteiführung schlug ein neues Zentralkomitee vor, das schließlich nach ausführlicher Diskussion gewählt wurde. Es besteht aus Frauen und Männern, aus Jungen und Alten. Einen bedeutenden Platz nehmen darin Genossinnen und Genossen ein, die in den Jahren der Diktatur gekämpft und inhaftiert waren. Aber auch die auf dem Parteitag zahlreich vertretene Jugend kann ihren Schwung in die Arbeit des ZK einbringen. Gegen Ende sprach Genosse Raul Marco im Namen der marxistisch-leninistischen Parteien und Organisationen. Er hob hervor, dass dieser Parteitag nach den vielen Jahren der Illegalität ein großer Schritt und  ein bedeutender Erfolg sei. Auch die Schwierigkeiten eines solchen Neuanfangs gehörten dazu. Die PCOT, das habe der Parteitag gezeigt, sei auf dem Weg, diese Schwierigkeiten zu meistern und den Weg der Revolution voranzuschreiten. Mit der Internationale wurde der Parteitag beendet. Danach fielen sich die Genossinnen und Genossen in die Arme und feierten ihren Erfolg.

25.7.

Heute war Abschied für mich. Am Morgen organisierte die PCOT noch eine Veranstaltung über die internationale Bedeutung der tunesischen Revolution. Alle Bruderparteien und –organisationen sowie die fortschrittlichen und revolutionären Parteien und Organisationen wurden auf das Podium gebeten und konnten ihre Einschätzung darlegen. Der Saal war gut gefüllt und die Teilnehmer/innen hörten gespannt zu. Nachdem ich kurz teilgenommen hatte, musste ich leider voll Wehmut zum Flughafen.

Bei dem Besuch wurde klar, dass Tunesien ein Land im Umbruch ist. Überall sieht man noch Spuren der Kämpfe und die herrschende Klasse ist bereit, ihre Macht zu verteidigen. Der staatliche Rundfunk und das Fernsehen werden von bewaffneten Kräften bewacht. Das Volk soll keine Möglichkeit erhalten, seine Meinung frei über die Massenmedien zu verbreiten. Vor dem Botschaftsviertel stehen Panzer, die die Vertretungen der imperialistischen Mächte, Frankreichs, der USA, Deutschlands, der EU gegen das Volk schützen sollen. Hier sitzen die Drahtzieher, die nun mit allen Mitteln darum kämpfen, ihren Einfluss in diesem Land zu behalten, die ihre alten Netzwerke wieder herstellen, die eine Regierung und einen Staat nach ihren Interessen formen wollen. Auf der anderen Seite entwickeln sich die Arbeiterklasse und das Volk. Überall sieht man Parolen. An mancher Straßenecke hängen Transparente der PCOT. Im Herzen von Tunis hat die PCOT ein Parteibüro eröffnet, das weithin durch die großen Transparente sichtbar ist. Das Land hat zwei Wege offen: Festigung der noch labilen Diktatur der herrschenden Klasse oder vorwärts zu einem wirklich demokratischen Tunesien, indem die Arbeiterklasse und das Volk endlich über ihr eigenes Land herrschen. Der Kampf darum wird schwierig, aber die Genossinnen und Genossen der PCOT sind willens ihn zu führen und sie haben ein großes Potential und eine tiefe Verankerung im Volk.