Sahra Wagenknecht, eine der Repräsentantinnen der Kommunistischen Plattform“ in der Linkspartei, hat einen hohen Anspruch: Mit ihrem neuen Buch „Freiheit statt Kapitalismus“ will sie einen „kreativen Sozialismus“ (siehe Klappentext) vorstellen. Nach dem so genannten „demokratischen“, „realen“ und „echten“ Sozialismus haben wir nun eine neue Variante.
Doch wie bei den vorgenannten Modellen klaffen Anspruch und Wirklichkeit manchmal weit auseinander. So auch bei Sahra Wagenknecht.
Nachdem sie zu Beginn im Vorwort ausführt, dass eine übergroße Mehrheit der Menschen in der BRD mit dem Kapitalismus unzufrieden ist und dazu eindrucksvolle statistische Zahlen vorlegt, entwickelt sie schnell in Grundzügen ihr Modell. Und dieses Modell beginnt mit Ludwig Erhard und seiner Parole „Wohlstand für alle“. Sie beklagt aber: „Im realen Wirtschaftsleben sind alle positiven Ideen der Marktwirtschaft tot.“ (S.8) Und das Vorwort endet programmatisch: „Es wird Zeit, den typischen FDPlern … entgegenzuhalten, wie Marktwirtschaft tatsächlich funktioniert. Und es wird Zeit zu zeigen, wie man, wenn man die originären marktwirtschaftlichen Ideen zu Ende denkt, direkt in den Sozialismus gelangt, einen Sozialismus, der nicht Zentralismus, sondern Leistung und Wettbewerb hochhält.“ (S.12)
Sie beklagt ständig, dass das Spekulationskapital das produktive Kapital behindert. In ihren Augen ist das produktive Kapital das „Gute“. Dabei beruft sie sich auf die ersten Neoliberalen wie Friedrich von Hayek, Water Eucken, Alfred Müller-Arnack. Über diesen schreibt sie lobend, dass er 1939 (!) „eine bewusste staatliche Gestaltung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen“ (S.16) forderte. Dabei fehlt bei ihr jeder Hinweis, dass Eucken damit die Kriegswirtschaft der Nazis meinte! Was bei dieser Kriegswirtschaft herausgekommen ist, ist allgemein bekannt. Die großen Monopole wurden noch größer. Und es ist eine allgemein bekannte Tatsache, dass in Kriegszeiten auch in kapitalistischen Staaten stärker reguliert wird als in Friedenszeiten. Das hebt allerdings Ausbeutung und das Streben nach Maximalprofit nicht auf. Im Gegenteil! Beides wird dadurch noch krasser und den Interessen der Arbeiterklasse und des Volkes gegenüber noch feindlicher. Die „bewusste staatliche Gestaltung“ bedeutet hier Zwangsarbeit, Hunger und Elend für die Massen.
Stolz verkündet Sahra Wagenknecht: „Insbesondere Walter Eucken und Alfred Müller-Arnack waren die geistigen Väter des Konzepts der sozialen Marktwirtschaft, dem die bundesdeutsche Wirtschaft der ersten Nachkriegsjahrzehnte wichtige Konturen verdankte.“ (S.16) Auch hier übersieht die „Kommunistin“ Wagenknecht den realen Inhalt dieser Politik des Kapitals. Diese Politik der angeblich „sozialen Marktwirtschaft“ war Ausdruck der Konkurrenz zum damals noch bestehenden und für das Kapital brandgefährlichen Sozialismus. Man wollte die Massen täuschen und ihnen vorgaukeln, dass der Kapitalismus sozial sein könne. Dieses Täuschungsmanöver wurde nur so lange durchgeführt, bis auch die letzten Überreste des ehemaligen Sozialismus vernichtet und geschleift waren. Und Wagenknecht vergisst auch, dass diese Zeit, die Adenauer-Zeit, eine Zeit des wildesten Antikommunismus, des Verbots der FDJ und der KPD war. Sie übersieht, dass damals tausende Kommunisten vor Gericht standen, ihre Arbeit verloren, ins Gefängnis mussten. Sie übersieht, dass damals Menschen, die gerade eben dem KZ entronnen waren, wieder für Jahre in Zuchthäusern und Gefängnissen verschwanden.
Kann man so viel „vergessen“ und „übersehen“? Als angebliche „Kommunistin“?
Ja, man kann! Sahra Wagenknecht kann sogar die gesamte Arbeiterbewegung „vergessen“. Dass es in Deutschland eine gesetzliche Sozialversicherung gibt, schreibt sie diesen Neoliberalen zu. Sie schreibt: „Die Vertreter dieser Richtung machten sich daher stark für eine funktionsfähige gesetzliche Renten- und Krankenkassenversicherung und eine menschenwürdige Absicherung bei Arbeitslosigkeit…“ (S.18) Unhistorischer geht es nicht mehr! Denn tatsächlich wurde die erste gesetzliche Sozialversicherung bereits unter Bismarck aufgebaut. Und sie war Ergebnis der Kämpfe der Arbeiterbewegung. Dafür wurde gestreikt, demonstriert, agitiert, gekämpft. Bismarck und das Kapital sahen sich schließlich gezwungen, hier ein Zugeständnis zu machen, um den Aufschwung der revolutionären Arbeiterbewegung zu bremsen. Eines jedoch konnten die von Wagenknecht hoch gelobten Neoliberalen schon damals: Nachdem die Sozialversicherung bereits im 2. Weltkrieg von den Faschisten und dem Kapital geplündert worden war, beseitigten sie endgültig die Kapital gedeckte Sozialversicherung und ersetzen sie durch eine Umlagefinanzierung. Das bedeutete, die Beiträge wurden nicht mehr angespart, sondern gleich wieder ausgegeben, um die aktuellen Renten zu bezahlen. Für das Kapital bedeutete das, geringere Sozialabgaben, niedrigere Lohnkosten und höhere Profite. Für die Versicherten bedeutete das, dass die Sozialversicherung zu einem Zockerclub umgewandelt wurde. Denn das Konzept geht nur solange gut, wie es mit der Wirtschaft aufwärts geht. Heute in der Krise sieht man das Ergebnis. Da nichts angespart, sondern gleich alles ausgegeben wurde, sind die Rentenkassen leer. Und da durch die Massenarbeitslosigkeit und Niedriglöhne die Einnahmen der Rentenkassen sinken, werden die Renten seit Jahren real gesenkt.
Sahra Wagenknecht kommt jedoch immer mehr ins Schwärmen. So verkündet sie, das „zweite Fundament der sozialen Marktwirtschaft: Verhinderung der wirtschaftlichen Macht“ (S.19) und das „dritte Fundament der sozialen Marktwirtschaft: Persönliche Haftung“ (S.21)
Natürlich haben das die Propagandisten der „sozialen Marktwirtschaft“ immer behauptet. Aber man muss als „Kommunistin“ jede Propaganda glauben? Oder sollte man sie nicht kritisch hinterfragen? In der Realität der „sozialen Marktwirtschaft“ wuchs die Konzentration des Kapitals immens an, stieg der Reichtum der Kapitalisten enorm – und damit ihre Macht. Diese Epoche der „sozialen Marktwirtschaft“ schuf die Voraussetzungen für die heutigen Machtverhältnisse. Sie war kein Hindernis, sondern real der Katalysator für das Erstarken des deutschen Kapitals. Und persönliche Haftung? Hat es die je im Kapitalismus real gegeben. Geredet worden ist darüber. Gut! Aber wann immer im Rahmen dieser „sozialen Marktwirtschaft“ ein Konzern pleite ging, von Konkurrenten geschluckt wurde, die Zeche haben immer die Arbeiter/innen und Angestellten gezahlt. Ein pleite gegangener Kapitalist behält in der Regel sein Privatvermögen und kann davon auskömmlich und im Luxus leben. Die Arbeiter/innen und Angestellten hingegen verlieren oftmals ihre Existenz. Sie haften für das Kapital!
Sahra Wagenknecht stört das alles nicht. Sie will die Propagandaphrasen der Begründer des Neoliberalismus glauben. Und so endet ihr erstes Kapitel unverdrossen: „Ludwig Erhards Versprechen lautete: ‚Wohlstand für alle.‘ Nur ein kreativer Sozialismus wird dieses Versprechen jemals einlösen können.“ (S.29) Einen Beweis bleibt sie schuldig. Ludwig Erhard wird es wohl richten.
Im Kapital „Unproduktiver Kapitalismus“ bringt sie einige interessante Zahlen über die Rolle und Bedeutung des Finanzkapitals. Solche Zahlen kann man allerdings genauer und wesentlich besser analysiert bei anderen Autoren finden wie z. B. bei Rainer Roth, Das Kartenhaus.
Statt zu analysieren, klagt und jammert Sahra Wagenknecht über das Finanzkapital und behauptet, dass es seine „eigentliche und wichtigste Aufgabe nicht mehr erfüllt: die Ersparnisse der Menschen in halbwegs sinnvolle produktive Verwendung zu lenken.“ (S.34) Da wird so mancher Banker sich lachend am Boden wälzen, die Lachtränen kullern über die Backen und er wird nach Luft schnappen, um nicht am Lachkrampf zu sterben. Kann man so naiv sein? Offensichtlich!
Offensichtlich hat Sarah Wagenknecht keinerlei Ahnung vom Marxismus. Sonst wüsste sie, dass die „eigentliche und wichtigste Aufgabe“ von Kapital darin besteht, aus Geld mehr Geld zu machen. Wenn sie ständig beklagt, dass immer mehr Geld in die Spekulation statt in die Produktion fließt, so gibt sie diesen allerdings allgemein bekannten Tatbestand richtig wieder, zieht aber die völlig falschen Konsequenzen. Sie erweckt die Illusion, man könnte Spekulation und Produktion trennen und dann nur noch das „gute“ Produktionskapital zum Nutzen aller arbeiten lassen. Schon die Nazis hatten diese demagogische Unterscheidung von angeblich raffendem und schaffendem Kapital. Von marxistischer Analyse ist da bei Sahra Wagenknecht keine Spur. Sonst wüsste sie etwas über das Gesetz des tendenziellen Falls der Profitrate, welches ebenfalls in dem oben genannten Buch von Rainer Roth, Das Kartenhaus ausführlich und sehr gut in seiner heutigen Auswirkung dargestellt wird. Wir können es hier nur kurz darstellen: Da Produktion immer komplizierter wird, immer teurere Maschinen benötigt, immer mehr Kapital investiert werden muss und zugleich dabei die eingesetzte Arbeitskraft, die als einzige neuen Wert schaffen kann, immer weniger wird, sinken in der Produktion die Profitraten tendenziell. Das Kapital kann dem nur durch immer weitere Rationalisierung entgegenwirken, was allerdings den Fall der Profitraten weiter beschleunigt. Zugleich kann das Kapital seine Profitraten nur halten bzw. erhöhen, indem es Löhne senkt und mehr aus der Arbeitskraft herausholt. Das alles finden wir in der Realität unserer Gesellschaft wieder. Die gewaltigen, angehäuften Kapitalmassen lassen sich also immer schwieriger verwerten. Kapital steh aber unter dem Zwang: Es muss mehr werden! Also wird immer weniger Kapital in die Produktion gesteckt und immer mehr wandert in Spekulation. Dort lassen sich schnellere und höhere Profite erzielen. Das wiederum untergräbt aber die materielle Grundlage der kapitalistischen Gesellschaft, die in immer unlösbarer Widersprüche versinkt. Es ist also nackter Zwang und Existenzkampf, wenn immer mehr Kapital in die Spekulation ausweicht. Das es damit den Niedergang des kapitalistischen Systems befördert, wie wir gerade bei der Eurokrise so schön sehen, kann es selber nicht erkennen. Kapital muss sich vermehren, um jeden Preis – auch den Preis des eigenen Untergangs. Statt aber zu analysieren, moralisiert Sarah Wagenknecht herum und träumt von einer „sozialen Marktwirtschaft“.
So endet sie bei „Erhard reloaded“ und träumt von einer Mischung aus „Plan und Markt“ (S.350) als ihrem „kreativen Sozialismus“. In ihrem Sozialismus soll es Kapitalismus geben, natürlich nur die „guten“ Kapitalisten, die ihr Geld mit „ehrlicher“ Ausbeutung in der Produktion verdienen. Auch hier trieft alles vor Moral, während jede marxistische Analyse fehlt.
Sahra Wagenknechts Buch zeigt den erbärmlichen Zustand der „Kommunisten“ in der Linkspartei. Ihr Programm ist das Programm der Sozialdemokratie zu Ludwig Erhards Zeiten. Damals schwadronierten diese auch von einem „demokratischen Sozialismus“ mit einer Mischung aus staatlicher Regulierung und Kapitalismus, während sie zugleich der Wiederaufrüstung, den Notstandsgesetzen, dem KPD-Verbot usw. zustimmten und dem Kapital wieder fest in den Sattel halfen. Insofern ist das Buch von Sahra Wagenknecht gut: Es sorgt für Klarheit. Wirkliche Kommunisten, die sich in der Linkspartei befinden, müssen sich bewusst machen, dass dieser links-sozialdemokratische Weg nur dem Kapital nutzt. Kommunisten brauchen keine links-sozialdemokratische Partei, sondern eine Kommunistische Partei. Deshalb: Danke, Sahra Wagenknecht!