Man traute den eigenen Augen kaum: Am 12. Juni 2011 tauchen sie mitten in Bengasi, der vom Imperialismus freigebombten Hauptstadt des Aufstandes in Libyen, auf und spielten sich mächtig auf: Bundesaußenminister Guido Westerwelle und „Entwicklungshilfe“-Minister Dirk Niebel. Sie fläzten sich dreist vor den Kameras und Mikrophonen der anwesenden internationalen Medien und schwadronierten von der bundesdeutschen Unterstützung der „Revolution“ in Libyen:
„Unser Besuch in Bengasi zeigt: Deutschland ist ein Freund und Partner der demokratischen Kräfte im Land. Wir werden den Nationalen Übergangsrat beim Aufbau eines demokratischen und rechtsstaatlichen Libyens nach besten Kräften unterstützen“. Beide forderten Gaddafi auf, seinen „Krieg gegen das eigene Volk“ sofort zu beenden und abzutreten. „Die Menschen in Libyen wollen eine friedliche und freiheitliche Zukunft ohne Gaddafi. Das ist auch unser Ziel. Der Diktator steht auf der falschen Seite der Geschichte“, erklärten sie.
Aber es gab auch „praktische“ Maßnahmen zu vermelden: Deutschland eröffnete in Bengasi ein „Verbindungsbüro“ unter Leitung des deutschen Diplomaten Dietrich Becker, quasi eine inoffizielle Botschaft, wie übrigens die EU und andere imperialistische Mächte auch. „Die Bundesregierung sieht den Nationalen Übergangsrat in Bengasi als einen legitimen Ansprechpartner für die Belange des libyschen Volkes an.“, so Westerwelle.
7,5 Millionen Euro an humanitärer Soforthilfe habe Deutschland bereits geleistet, und Westerwelle und Niebel kündigten weitere 8 Millionen für angebliche Maßnahmen der Not- und Übergangshilfe an. Die Rechnung werden sie später präsentieren. Westerwelle wurde allerdings nicht müde zu betonen, dass die Bundesregierung einen Kampfeinsatz deutscher Soldaten in Libyen weiterhin ablehne – auch nach einem Sturz Gaddafis.
Dies wurde vom „Übergangsrat“ natürlich mit Enttäuschung zur Kenntnis genommen. Da wusste Herr Niebel zu „trösten“: „Wir wollen unseren Beitrag zu einer möglichst raschen Stabilisierung der Situation in Libyen leisten“, erklärte er. Sobald es die Lage erlaube, wolle sich Deutschland am Wiederaufbau beteiligen, insbesondere an Infrastrukturprojekten. Darüber hinaus sollten die Institutionen des Nationalen Übergangsrats gestärkt werden. So wolle Deutschland beispielsweise nach Ende des Kriegs Polizisten für das nordafrikanische Land ausbilden.
Verlogene Politik!
Was für eine verlogene und heuchlerische Tour! Und das in mehrfacher Hinsicht:
Wer ist dieser „Übergangsrat“, den man da anerkennt, den Berlin mit einer diplomatischen Vertretung international stärkt und mit bislang ca. 16 Mio. Euro versorgt? Es ist eine Koalition von Exillibyern, zum Teil nachweislich mit Kontakten zur CIA, monarchistische Anhänger des Senussi-Clans, dem der von Gaddafi gestürzte König Idris, eine Marionette der USA, entstammt. Ist es Zufall, dass der Übergangsrat die alte Königsflagge verwendet? Des Weiteren sind von Gaddafi enttäuschte Ex-Regierungsmitglieder dabei sowie allerhand Kapitalistenvertreter, die schon bisher gute Geschäfte in Libyen machen konnten, jetzt aber Einfluss wollen. Eine dem Imperialismus gegenüber offene, käufliche Mischung korrupter Vertreter!
Hat Berlin bei dieser Zusammensetzung Einfluss bzw. will man überhaupt Einfluss darauf, wofür das Geld verwendet wird? Sicherlich nicht. Die Gelder müssen als mühsam, mit schönen Worten getarnte Unterstützung des NATO-gestützten Bürgerkrieges gewertet werden.
Die Kräfte des Volkes, die das halbfeudale Gaddafi-Regime stürzen wollen, um ein fortschrittliches Libyen aufzubauen, das unabhängig vom Imperialismus ist, sollen ausgebootet werden. Daran haben die imperialistischen Macher kein Interesse.
Deutschland beteiligt sich ja angeblich nicht am Krieg in Libyen? Dass Westerwelle und Niebel überhaupt in Bengasi, mitten im Territorium dieses mit einem brutalen, imperialistischen NATO-Krieg überzogenen Landes auftreten können, beruht auf diesem Kampfeinsatz, nutzt ihn bewusst aus und ist eine offene Legitimation für ihn. Der Spiegel umschreibt das ganz putzig: „ … Die Welt schickt Diplomaten nach Bengasi. Hunderte sind oder waren da, sie eröffnen neue Konsulate und Verbindungsbüros. … so etwas gab es noch nie: dass eine Rebellenregierung … anerkannt und von Politikern besucht wird, während die Aufständischen noch gegen die Armee des Herrschers kämpfen. Es ist eine merkwürdige Gleichzeitigkeit von Regimesturz und Neuaufbau im Bengasi dieser Tage.“ (Nr. 25/2011) So kann man das auch nennen, wenn die NATO ihre Vertrauten an die Macht bomben will, aber der bis vor wenigen Tagen von „den Kriegshelden“ noch hofierte Gaddafi, immerhin Präsident, nicht weicht, sondern es wagt, seinen Staat und seine Regierung militärisch gegen die Intervention zu verteidigen! Westerwelle und Niebel haben sich mit ihren hasserfüllten Äußerungen mitten im „Feindesland“ gegen Gaddafi aktiv am Kampfeinsatz beteiligt.
Außerdem unterstützt Deutschland diesen Kampfeinsatz vielfältig auch militärisch. Wie der „Spiegel“ (ebnda) berichtet, sitzen deutsche Militärspezialisten in der Libyen-Kommando-Zentrale der NATO in Neapel. Gerade sagte Berlins Kriegsminister de Maizière Bomben aus Bundeswehrdepots für die Bombenangriffe zu, bei denen täglich weitere Zivilisten in Tripolis und anderen Orten sterben.
Was will die Berliner Regierung?
Deutschlands „Kriegsenthaltung“ ist also eine Lüge, eine Lüge freilich auf Kosten der NATO- bzw. EU-Verbündeten. Es ist mehr als legitim zu fragen, warum die imperialistische Macht Deutschland das tut, warum sie diesen Dissens mit den Verbündeten riskiert? Das ist keine Show, denn deutsche Soldaten sind zur Zeit tatsächlich nicht im Einsatz in bzw. über der Libyschen Wüste, zum Ärger der anderen Mächte. Bundeswehrtornados fliegen tatsächlich nicht, im Mittelmeer operierende Bundesmarine, wurde von den libyschen Küsten abgezogen.
Man muss auf die Zwischentöne achten! Wenn die Bundesregierung Westerwelle erklären lässt, dass sie den Nationalen Übergangsrat in Bengasi „als einen legitimen Ansprechpartner für die Belange des libyschen Volkes“ betrachtet, dann ist das kein Versprecher. Es zeigt, dass man sich die Option offen halten will, auch mit Gaddafis Leuten, die man ja gut kennt, weiter Geschäfte zu machen, sollte das Regime den Krieg politisch und militärisch überleben. Der deutsche Imperialismus hat schon immer in großem Umfang eigene Geschäfte in und mit Libyen betrieben, wie übrigens bekanntlich auch im Irak und im Iran. Immer wieder fiel er dabei den Verbündeten unangenehm auf. Er will im Nahen und Mittleren Osten möglichst eigenständig, auch gegenüber seinen Rivalen Frankreich, Britannien, Italien, Spanien oder USA, an seinem Zugriff auf Öl, Gas und Wasser festhalten, aber auch an seinem Projekt der Ausnutzung von Libyens Saharaterritorien für die Solarstromgewinnung im großen Stil. Dafür braucht man in jedem Fall die richtigen Beziehungen.
Das Auftreten des deutschen Imperialismus zeugt nicht von Hasenfüßigkeit oder Pazifismus, es ist im Spiel der imperialistischen Konkurrenz eher dreist und von dem Bestreben geprägt, „das eigene Ding durchzuziehen“; wenn es sein muss, auch auf Kosten der „Konkurrenz“ in NATO und EU. Wenn Merkel jetzt „Kompensation“ durch stärkere Truppen in Afghanistan leistet, unterstreicht das nur, dass den deutschen Eigeninteressen Grenzen gesetzt sind, und dass man bereit ist, den einen oder anderen Preis dafür zu zahlen, dass man sie durchzusetzen versucht.
Es darf freilich nicht übersehen werden, dass Berlin eben auch dabei sein will, wenn der Aufstand siegt, oder – was nicht weniger wahrscheinlich ist – der Imperialismus das Land spaltet. Auch dann will man möglichst nicht am Rand stehen. Auch ist man sich mit allen Rivalen bzw. Verbündeten ja einig, dass ein Gaddafi weg gehört, dass das bisher im Vergleich zum restlichen Afrika immer noch relativ hohe soziale und Einkommensniveau Libyens, das das Gaddafi-Regime hervorgebracht hatte, weg gehört und die schönen Erdöl- und Erdgaseinnahmen möglichst auf die eigenen Konten gehören.
In jedem Fall will man sichergestellt haben, dass die Schätze und Ressourcen Nordafrikas zukünftig besser zur Verfügung stehen als bisher und dass es weiter willfährige Regierungen gibt, die die Elendsflüchtlinge Afrikas in aller Brutalität fernhalten von der Festung Europa!
Dafür wird dieser Krieg geführt und auch von Berlin unterstützt.
Schluss mit dem NATO- Krieg! Schluss mit der Heuchelei!
Der Krieg in Libyen muss beendet werden. Er zerstört dieses Land rücksichtslos, kostet immer mehr Menschen das Leben! Die NATO muss raus aus dem Land!
Immer gefährlicher wird diese Politik auch für die Arbeiter, die werktätigen Menschen, die Erwerbslosen, die Jugend in unserem Land. Immer mehr Mittel frisst diese militaristische Politik, immer sicherer werden die „Freiwilligen“ der Bundeswehr (wie auch der EU- und NATO- Armeen!) den realen Kriegseinsatz irgendwo auf der Welt erleben, verletzt und traumatisiert überstehen bzw. dabei sterben. Immer feindseliger wird diese Politik gegenüber den anderen, den ausgebeuteten und unterdrückten Völkern auf der Welt. Und diese lassen sich das immer weniger bieten – wie die Volksaufstände gerade in der arabischen Welt zeigen.
Der Volksaufstand in Libyen ist berechtigt. Allerdings sind die Imperialisten nach Tunesien und Ägypten „aufgewacht“ und haben rasch eingegriffen, um die ihnen hörigen Kräfte zu stärken und die fortschrittlichen Kräfte beiseite zu drängen und zu schwächen. Hinzu kommt das doppelte Gesicht Gaddafis: einerseits ein mit dem Imperialismus paktierender Despot, andererseits einer, der sich mit den Ölmilliarden als „sozialer Wohltäter“ präsentiert, wenn das Volk ein paar Brocken abbekommt. Gelegentlich muckt er gegen den Imperialismus ein wenig auf, um zugleich als deren Hilfspolizist die Grenzen der Festung Europa brutal zu verteidigen. Er war Freund von Berlusconi und anderen illustren Gestalten des Imperialismus. Aber auch in Teilen des Volkes hat er aufgrund der „sozialen Wohltaten“ Rückhalt. Das macht die Fronten in Libyen schwierig. Klären kann das nur das libysche Volk. Dazu muss die imperialistische Intervention beendet werden.
Eine Zukunftsfrage!
Für uns, die Arbeiter/innen und die Werktätigen, die Rentner und Erwerbslosen, vor allem aber für die Jugend Deutschlands wird es zu einer Frage der Zukunft und des Überlebens, diese gefährliche Politik in Berlin zu bekämpfen, sie zu kritisieren und zurückzuweisen. Sie wird unsere sozialen Rechte weiter zerstören und gerade die Verteidigung unserer Rechte, unserer Löhne, unserer Renten und sozialen Errungenschaften wird die zunehmende Kriegspolitik der Berliner Regierung behindern und ihr Grenzen setzen. Gewerkschaften können diese Entwikklung nicht tatenlos hinnehmen. Die fortschrittlichen Kräfte müssen in ihnen immer aktiver dagegen ankämpfen und die Gewerkschaften gegen den Widerstand der Führer mobilisieren, die Kolleg/innen überzeugen, dass der Feind nicht in Libyen, in Afghanistan oder Irak steht, sondern im eigenen Land.