Am Dienstag, den 5. Mai, hat die Polizei mit Gewalt eine Demonstration von einigen hundert Jugendlichen in Tunis auseinandergetrieben. Die gewalttätige Unterdrückung weckt schlechte Erinnerungen, zumal die Polizei eine Säule der Diktatur war und sie nicht gesäubert wurde. Gerüchte über einen Staatsstreich kursieren. Der Premierminister , Béji Essebsi, sagt, dass „Tunesien alle seine Kinder braucht“ und appelliert immer häufiger „dem Chaos ein Ende zu bereiten“. Damit hat er insbesondere die Bewegungen im Visier, welche für die Fortsetzung des revolutionären Prozesses kämpfen, die Streikbewegungen der Arbeiter, die konkrete Veränderungen zu ihren Gunsten wollen.
In diesem Zusammenhang der Spannungen und der beunruhigenden Rückkehr zur polizeilichen Repression haben wir mit einem Genossen der PCOT ein Gespräch geführt.
Die tunesische Regierung nimmt die fortschrittlichen Maßnahmen, die sie angekündigt hat, zurück, zum Beispiel das Verbot der ehemaligen Partei Ben Alis RCD und sie will die Bestimmungen über das Verbot, dass sich ehemalige Parteimitglieder zur Wahl stellen, aufweichen. Während die „Haute instance“ (1) vorschlug, dass jede Person, die zwischen 1987 und 2011 ein Amt bekleidet hat, nicht zur Wahl zugelassen werde, entschied sich der Premierminister schließlich für eine Begrenzung auf 10 Jahre (2001-2011).
So ist es auch mit der Auflösung der politischen Polizei, eine dringliche Forderung der tunesischen Revolution. Aus der Verwaltung sind die Verantwortlichen des alten Regimes nicht entfernt und auch nicht in den Massenmedien.
Auf dem Gebiet der Justiz beeilte sich die Regierung, eine Vereinigung der Richter und Staatsanwälte anzuerkennen, mit dem offensichtlichen Ziel, die „Vereinigung tunesischer Richter und Staatsanwälte“, welche eine wichtige Rolle im Kampf gegen die Ben-Ali-Diktatur gespielt hat, zu marginalisieren. Vor allem will die Regierung das Vorhaben der Wahl der Mitglieder zur Konstituierenden Versammlung am kommenden 24. Juli durchziehen. Wie die Front des 14. Januar kritisiert, ist die Zeitspanne für eine ernsthafte politische Kampagne zu kurz. Wenn dieses Datum aufrecht erhalten bleibt, wird die Debatte über die Programme, die gesellschaftlichen Projekte, über die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entscheidungen umgangen. Darüber hinaus fällt dieses Datum mitten in die Urlaubszeit und die Hitzeperiode. Im Juli ist die Aktivität eingeschränkt. Dazu beginnt anfangs August die Zeit des Ramadan und die Familien sind mit den Vorbereitungen beschäftigt.
Wegen all dieser Gründe führen die Front und die PCOT als Teil davon eine Kampagne für die Verschiebung des Zeitpunkts dieser Wahl. Das ist ein schwieriger Kampf, denn viele der Parteien, die an der Wahl teilnehmen wollen, ein Interesse daran haben, nicht klar zu sagen, was ihre Orientierung, ihre Vorschläge sind…
Das ist offensichtlich bei den Kräften der Reaktion, den alten RCD-Leuten, der Fall, von denen mehrere Verantwortliche Parteien gegründet haben. Aber es ist auch bei anderen Organisationen der Fall, die ihre Ziele im Unklaren lassen.
Unter diesen Kräften unternimmt die islamistische Partei große Anstrengungen, sich zu verankern. Die Verantwortlichen der islamistischen Partei geben vermehrt Erklärungen heraus, mit denen sie beruhigen wollen, insbesondere im Bezug auf dem Gebiet der Achtung der bürgerlichen Freiheiten und des laizistischen Charakter des Staats.
Das ist in einem Land wie Tunesien, wo die Religion einen wichtigen Platz einnimmt, eine komplizierte Frage. Man muss wachsam sein, ohne in Positionen zu verfallen, aus dieser Partei, die eine reale gesellschaftliche Basis hat, den Feind, den es zu bekämpfen gilt, zu machen.
Das ist übrigens ein Punkt, in dem es Meinungsverschiedenheiten mit bestimmten linken Organisationen gibt, welche dazu neigen, auf dieser Frage herumzureiten, ohne sie politisch anzugehen, das heißt als Gegenüberstellung politischer, sozialer, wirtschaftlicher…Fragen.
Während sie die Kampagne für die Verschiebung der Wahlen zur Konstituierenden Versammlung führt bereitet sich die PCOT auch darauf vor.
Seit ihrer Zulassung hat sie in etwa zwanzig Städten Büros eröffnet, besonders in Tunis. Sie hat eine Reihe von öffentlichen Meetings in allen Regionen durchgeführt, vor allem in Sidi Bouzid, wo etwa 800 Personen gekommen sind, um die Reden der Sprecher der PCOT zu hören und Fragen nach ihren Zielen zu stellen. Der Empfang in Gafsa, Kasrine und Tala war ebenfalls herzlich.
Die Website der Partei (www.albadil.org) wird sehr gut besucht.
Eine gesellschaftliche Situation, die durch Streiks und Mobilisationen hervorgerufen wurde
Die Mobilisationen der Arbeiter haben seit Beginn des revolutionären Prozesses nie aufgehört. Der Streik der Beschäftigten von Carrefour in Tunis, die für Lohnerhöhungen kämpften, kam international ein wenig in die Medien, aber die Bewegungen dauern im öffentlichen wie im privaten Sektor an.
So traten die Müllmänner von Tunis in Streik für die Einhaltung der Versprechungen, die ihnen die Regierung Ghannouchi gemacht hat, die aber nicht umgesetzt wurden, d.h. die Festeinstellung aller Beschäftigten, insbesondere der Zeitarbeiter.Es ist ein Streik gegen die Prekarisierung, die charakteristisch für die Lage der Arbeiter und Arbeiterinnen Tunesiens ist. Manche haben diesen Streik als „Zeichen des Egoismus“ der Arbeiter kritisiert. Andere greifen sie an und sagen, sie gefährdeten die Wirtschaft des Landes… Die PCOT war die einzige Partei, welche die Arbeiter öffentlich verteidigt hat. Tatsächlich kann der revolutionäre Prozess nicht siegreich sein, ohne die Unterstützung der Arbeiterklasse und der werktätigen Massen, der arbeitslosen Akademiker, der Masse der armen Bauern, der Stadtarmut, insbesondere in der Provinz, zu haben. Die Unterstützung dieser Schichten ist unabdingbar, denn der revolutionäre Prozess muss für sie, für ihre Interessen, stattfinden.
Deshalb muss man die schreienden sozialen Forderungen befriedigen, muss man die „alten“ RCD-Leute, die immer noch an der Spitze der Unternehmen und Behörden sitzen, davon jagen.
Wie der Genosse Hamma bei der Pressekonferenz in Tunis sagte und wie er es auf jedem Meeting wiederholt: „Man kann keine nationale Wirtschaft aufbauen, ohne dass die Reichtümer des Landes in den Händen des Volkes sind“, ohne dass die strategisch wichtigen Sektoren verstaatlicht und auf demokratische Weise geleitet werden. Er muss oft klarstellen, um der reaktionären Propaganda „gegen die Kommunisten“ den Wind aus den Segeln zu nehmen, dass weder die Häuser noch die Autos betroffen sein werden.
Aussetzung des Schuldendienstes
Damit der revolutionäre Prozess den gewaltigen gesellschaftlichen, demokratischen und politischen Erwartungen begegnen kann, muss man das Joch der Schulden brechen.
Tatsächlich hat das Regime Ben Alis Schulden angehäuft indem es bei Banken, bei den internationalen Märkten etc. Geld geliehen hat. Ein großer Teil dieses geliehenen Geldes dienten ganz einfach zur Bereicherung dieses Schmarotzerregimes und haben absolut nicht dazu gedient, die Wirtschaft des Landes zu entwickeln. Am 15. Januar erklärte der Leiter der tunesischen Zentralbank, dass er 577 Mio. Euro aus der Staatskasse zur Begleichung der Zinsen der Staatsschuld zahlen wolle.Dieser Ben-Ali-Jünger der ersten Stunde, der von der „Übergangs“regierung auf seinem Posten gehalten wurde, ist der Vertreter der Interessen der tunesischen und internationalen Finanzoligarchie. Er steht in der Gunst des IWF und aller , die „Tunesien zu Hilfe kommen“, um den revolutionären Prozess besser einzudämmen und ihre Herrschaft über die Wirtschaft und die Reichtümer aufrecht zu erhalten.
Die PCOT kämpft für die Annullierung dieser Schulden ohne wenn und aber und fordert als ersten Schritt die Aussetzung der Zahlungen für zwei oder drei Jahre, um diese Daumenschraube zu lockern.
Diese Forderung wurde von zahlreichen Organisationen sowohl in Tunesien als auch international übernommen.
Unsere Partei unterstützt diese Forderung um so mehr als die französischen Banken Gläubiger eines Teils dieser Schulden sind. Sie wussten, dass sie das Geld einem diktatorischen, korrupten Regime liehen: sie sollen für diese Schändlichkeit nicht auch noch belohnt werden.
Die Kampagne für die Annullierung der tunesischen Schulden zu führen heißt dazu beizutragen, die Daumenschrauben zu lockern, welche die innere Reaktion, die mit den imperialistischen Mächten verbunden ist, dem tunesischen Volk und der tunesischen Arbeiterklasse anzulegen versucht.
Anm. (1): Die „Haute instance“, oder „Übergeordnete Instanz für die Durchführung der Ziele der Revolution, der politischen Reform und des demokratischen Übergangs“ wurde von der Übergangsregierung Essebsi eingesetzt. Er berief 140 Mitglieder unter Ausschluss der Vertreter der Oppositionsparteien wie der PCOT. Diese Instanz ist insbesondere beauftragt, die Wahl zur gesetzgebenden Versammlung zu organisieren.
Ihre Bildung erinnert an die vergangenen Methoden des „alten, totalitären Regimes: bürokratisch, hierarchisch und unilateral.“ Eines ihrer Ziele ist es, „den nationalen Rat zum Schutz der Revolution zu diskreditieren, indem es einige seiner Elemente für sich vereinnahmt, um sie in sich zusammenstürzen zu lassen.“ Die Front des 14 Januar kommt zu dem Schluss: „wir lehnen die Bildung dieser Instanz in ihrer Zusammensetzung, ihrer Mission und ihrer Organisationsweise sowie deren Ziele ab.“
aus „La Forge“, Zentralorgan der PCOF, Mai 2011