Eine Woche inmitten der tunesischen Revolution

Frankreich. Die großen Volksbewegungen, die von Tunesien ausgegangen sind und die sich organisieren, um die Diktatoren in den arabischen Ländern davon zu jagen, haben einen revolutionären Wind angefacht, der mit Hoffnung für die arabischen Völker, aber auch die Völker der übrigen Welt, beladen ist. Unsere Jugenddelegation, die von der PCOF, der Kommunistischen Arbeiterpartei Frankreichs, geleitet wird, ist mit mehreren Zielen nach Tunesien gereist: die Solidarität und unsere Unterstützung für das tunesische Volk und seine Jugend zu übermitteln, aber auch, den revolutionären Prozess, der im Gange ist, besser zu verstehen durch die Begegnung mit Kämpfern, politischen, genossenschaftlichen und gewerkschaftlichen Akteuren. Das, was wir in Tunesien gesehen und gehört haben, stimmt nicht mit den Bildern und Kommentaren überein, welche die Massenmedien in Frankreich über die „weiche“ Jasmin-Revolution verbreiten.

„Das ist eine spontane Revolution“, „das ist eine Facebook-Revolution“, „die Partei RCD an der Macht wurde mit Ben Ali verjagt“, „die Demokratie ist endlich da“, „die islamistische Gefahr, gegen die Ben Ali ein Bollwerk war, droht“… diese Kommentare gehören zu einer noch umfangreicheren Meinungsmache, welche die verschiedenen Medien in Frankreich verbreiteten und noch verbreiten.

 

Ein neues Gefühl der Freiheit.

 

Was unsere Delegation bei unserer Ankunft in Tunis frappiert, ist das gewaltige Gefühl der Freiheit, die von den Tunesiern ausgeht. Zu glauben, dass die faschistische Diktatur Ben Alis komplett verschwunden sei, dass es sich um eine alte Geschichte handle, dass Ben Ali seit langem verschwunden sei, aber… es waren nur 3 Wochen! Unsere Treffen mit den Jugendlichen der UGET (Generalunion der tunesischen Studenten), mit Studenten, die politische Gefangene waren, mit Jugendlichen der UDC (Union der arbeitslosen Akademiker), mit Frauen der Frauenabteilung der UGIT (Generalunion der Arbeiter Tunesiens, die mitgliederstärkste Arbeitergewerkschaft), mit Mitgliedern der PCOT (Kommunistische Arbeiterpartei Tunesiens), Vertretern der Zivilgesellschaft (Rechtsanwälte und Mitglieder von Amnesty International) haben uns in die Realität zurückgeholt: der Diktator ist abgehauen, aber die Diktatur besteht immer noch.

 

Tunesien unter Ben Ali

 

Diese Kämpfer, Frauen und Jugendlichen werden die Diktatur nie vergessen! Sie haben im Untergrund gekämpft, um der schweren Repression durch die politische Polizei, der Folter, den widerrechtlichen Prozessen, den physischen und psychischen Angriffen gegen ihre Familienmitglieder zu entgehen. Sie werden sich erinnern, wie schwierig es war, eine Studentenwohnung oder eine feste Arbeit zu bekommen, wenn man nicht der RCD, der Partei an der Macht, angehörte. Sein Recht, sich zu äußern oder sein Recht auf eine Meinung konnte zum Gefängnis führen, dazu, zusammen mit 80 anderen Gefangenen in eine Zelle mit nur 40 Liegen gesperrt zu werden. Die Zeit, als politische Polizei in Zivil die Handlungen und Gesten der Bevölkerung kontrollierte oder eine Zusammenkunft von Freunden in einem Café mit Schlagstöcken auseinandertrieb, wird nicht vergessen werden.

Das Regime Ben Alis hat die unteren Bevölkerungsschichten pausenlos drangsaliert. Er hat das Volk verarmen und verhungern lassen und es des Rechts auf Demonstration und Verteidigung beraubt. Damit diente er den Interessen einer mafiösen Minderheit, welche die Ressourcen und Reichtümer des Landes unter dem Schutz der Behörden, der Polizei und der Verwaltung ausplünderte. Die französischen und amerikanischen Imperialisten haben ausgiebig vom Zustand der Unterdrückung des Volkes profitiert. Es war viel leichter, nach Tunesien zu verlagern und eine gefügige, weil seiner demokratischen Rechte (gewerkschaftliche Rechte und Versammlungsrecht) beraubten Arbeitskraft auszubeuten. Nicht umsonst hat Sarkozy das Regime Ben Ali bis zum Schluss unterstützt, wie es auch die Minister Alliot-Marie und Frederic Mitterand taten. Aber die Vertreter des französischen Imperialismus beschränken sich nicht nur auf Mitglieder der Regierung Sarkozy, wir haben auch noch das Bild von Dominique Strauss-Kahn vor Augen, Leitungsmitglied der PS und gegenwärtig Direktor des Weltwährungsfonds, der aus den Händen von Ben Ali die Medaille des Großmeisters des Ordens der Tunesischen Republik empfing.

Aber trotz der Inhaftierung der Aktivisten, oft Kommunisten oder Islamisten, hat der Kampf in Tunesien nie aufgehört, hat sich die Wut des Volkes nie abgeschwächt. Und mehrere Male innerhalb der letzten 2 Jahre waren Zeichen des Bruchs zwischen dem Regime und dem Volk immer mehr zu spüren.

 

Seit 2008 bröckelt das Regime Ben Ali

 

Die Volksaufstände des Kohlebeckens von Gafsa im Juni 2008 waren die ersten ernsthaften Erschütterungen der Macht. Auch wenn die Ausgangsforderungen auf gewerkschaftliche Forderungen beschränkt waren, hat sich der Protest rasch vergrößert und die Bewegung ist politisch und zum Protest gegen das Regime Ben Alis geworden… Die Unterdrückung der Bewegung war schwer, aber diese Ereignisse haben die Fähigkeit des Volkes gezeigt, der Unterdrückung durch das Regime zu widerstehen. Dann konnte das Regime Ben Alis die Bewegung vom Sommer 2010 in Ben Guerdane, an der tunesisch-libyschen Grenze, nicht unterdrücken. Im Gegenteil, er musste zurückweichen und alle Gefangenen der Bewegung freilassen und auch den Forderungen des Volkes nachgeben. Bei einem Interview mit einem Sprecher der PCOT in Tunis, vertraute uns Hamma Hammami an, dass sich das Zentralkomitee der Partei mehrere Male nach diesen Ereignissen getroffen hat, um die Situation zu analysieren und sich vorzubereiten, denn nach dem Sommer 2010 war die Stimmung der Massen so, gemäß den Genossen der PCOT, dass man einen eventuellen Aufstand erwarten konnte. Am 17. Dezember begann der Aufstand, nachdem sich Mohamed Bouazizi, dieser jugendliche arbeitslose Akademiker, Obst- und Gemüseverkäufer, selbst verbrannt hatte im Anschluss an die Beschlagnahmung seines Verkaufsstandes durch die Polizei.

 

„Wir sind Millionen von Mohamed Bouazizis in Tunesien“

 

Die Bewegung entwickelte sich schnell, denn die Not, der Hunger, der teure Lebensunterhalt, die Korruption, die Arbeitslosigkeit, die Unterdrückung der Freiheiten hatten lange genug gedauert für diese Millionen von Mohamed Bouazizis. Die Mitglieder der gewerkschaftlichen, studentischen, politischen und zivilgesellschaftlichen Organisationen haben diese Ereignisse dort, wo sie verankert waren, bekannt gemacht und den Protest weitergetragen. Die Einwohner verschiedener Gebiete haben sich in örtlichen Komitees organisiert, um das Volk vor den konterrevolutionären Angriffen des Regimes mit Hilfe der in Milizen organisierten politischen Polizei zu schützen. Mit Stöcken, Messern und allem, was sie finden konnten, bewaffnete Jugendliche und Erwachsene haben insbesondere die Zufahrtsstraßen bewacht. Am 10. Januar 2011, als die Bewegung Tunis und die Jugend der vom einfachen Volk bewohnten Viertel erreichte, hat am 11. Januar 2011 PCOT über ein Video des nationalen Sprechers zur Abdankung Ben Alis aufgerufen (während die anderen fortschrittlichen Kräfte wie PDP oder Ettajdid nur zu Reförmchen aufriefen). Dieser Aufruf wurde von allen gehört und übernommen: Jugendlichen, Frauen, Arbeiterinnen, Arbeitslosen, Rechtsanwälten und Bauern in Bewegung. Diese Forderung, diese Losung: „Tritt ab, Ben Ali!“hat Widerhall bei den Massen gefunden, es war die Parole, die nötig war. Der Anstieg des politischen Bewusstseins in der Volksbewegung brachte das Regime dazu, zahlreiche Mitglieder der PCOT zu verhaften, darunter Vertreter wie Amar Amroussia und erneut Hamma Hammami.

 

Ein gefährlicher Mangel an politischer Führung.

 

Alle Propagandamittel wurden genutzt, darunter das berühmte Facebook wie auch der Fernsehsender Al Jazeera, der einigermaßen objektive Informationen sendete. Insbesondere Facebook war ein Werkzeug, das gestattete, Losungen zu propagieren, Videos von Aktionen zeitgleich zu verbreiten, die Internetnutzer auf dem Laufenden zu halten und breit zu mobilisieren. Aber keinesfalls war Facebook der Motor dieser Revolution. Es waren die gewerkschaftlichen, genossenschaftlichen und politischen Organisationen, die aus einem regionalen und lokalen Gesichtspunkt die Aktionen geleitet haben. Facebook war nur ein mächtiger Verstärker. Im Gegenteil, der revolutionären Bewegung, die angestoßen worden war, fehlte es an einer nationalen politischen Führung: die Aktionen wurden nicht in nationalem Maßstab organisiert. Dieser Mangel der Bewegung hat ihre Tragweite und Schlagkraft begrenzt, was es der Diktatur erlaubte, an der Macht zu bleiben, nachdem sie sich am 14. Januar 2011 den Diktator vom Hals geschafft hat.

 

Die „Front des 14. Januar“.

 

Die Flucht Ben Alis war ein erster großer Sieg des voranschreitenden revolutionären Prozesses. Aber die PCOT hat das Fehlen einer zentralen politischen Führung als gefährlichen Mangel der Bewegung analysiert, den es zu beseitigen gilt, damit sich das Volk vom Joch der Diktatur befreie und um an die Errichtung einer wahren Demokratie zu gehen. Eine Woche nach dem Sturz des Diktators haben sich die verschiedenen fortschrittlichen und sogar nationalistischen Kräfte, die gegen die Diktatur kämpfen wollten, in einer politischen Front versammelt, die sich „Front des 14. Januar“ nennt mit Bezug auf jenen Freitag, den 14. Januar 2011, an dem Ben Ali nach Saudi-Arabien geflohen ist. Diese Front des 14. Januar stellt eine ernsthafte politische Opposition zur selbsternannten provisorischen Regierung von Mohamed Ganouchi, dem ehemaligen Premierminister Ben Alis, dar, einer Regierung, die von den französischen und Yankee-Imperialisten unterstützt wird. Seine Mitgliedskarte der RCD zurückgeben oder die Regierung umbilden reichte nicht, die Wut der Massen zu besänftigen angesichts eines Systems, das seine Methoden nicht geändert hat: man wendet die gleichen an und beginnt von neuem, diesmal mit Rückendeckung der reformistischen, opportunistischen Parteien (besonders der PDP und Ettajdid).

 

Für eine verfassungsgebende Versammlung, für eine neue Verfassung!

 

Die Diktatur herrscht immer noch, die politische Polizei ist immer noch aktiv, es gibt immer noch politische Gefangene in Haft… Aber diese Regierung ist desavouiert und hat die Hände zum Regieren nicht frei. Am Samstag, den 12. Februar wurde im Kongresspalast… das erste politische Meeting der Front des 14. Januar abgehalten. Im Laufe dieses Meetings haben die Teilnehmer der Front in kämpferischer Einheit zum Sturz der Regierung Ganouchi aufgerufen und zur Bildung einer wahrhaft provisorischen Regierung, welche die Kräfte des Volkes, das in Bewegung ist, vertritt. Diese Regierung hätte als erste Aufgabe die Organisierung von Wahlen zu einer konstituierenden Versammlung, deren Aufgabe es wäre, eine neue, wirklich demokratische Verfassung auszuarbeiten, um mit diesem diktatorischen Regime Schluss zu machen. „Das Volk will eine konstituierende Versammlung!“ forderten mit Macht die 8.000 Personen, die aus allen Ecken des Landes zusammengekommen waren, um an diesem historischen Treffen teilzunehmen. Dieses Treffen war eine ernste Warnung an Ganouchi und seine Regierung sowie an die politischen und gewerkschaftlichen Kräfte, die ihn noch unterstützen. Die revolutionären Kräfte werden sich nicht mit der Fluch Ben Alis begnügen. Der revolutionäre Prozess muss zu Ende geführt werden.

 

Von der „Front des 14. Januar“ zum „Nationalen Rat zu Rettung der Revolution“.

 

Aber diese „Front des 14. Januar“, welche ein politisches Organ ist, ist nicht gleichbedeutend mit der Kampffront, in die sich die anderen genossenschaftlichen, gewerkschaftlichen und zivilgesellschaftlichen Kräfte einreihen können, die ein Wort über die Zukunft Tunesiens mitzureden haben. Kraft der Dynamik, die durch das Treffen der Front angestoßen wurde und um die örtlichen Widerstandskomitees, die noch in einigen Gebieten des Landes existieren, zu stärken, hat sich am 14. Februar 2011 die Versammlung der politischen, gewerkschaftlichen und genossenschaftlichen Kräfte, unterstützt von der Volksbewegung, als „Nationales Komitee zu Rettung der Revolution“ konstituiert. Dieses Komitee vertritt wahrhaft die Bestrebungen des Volkes und muss die exekutive, legislative und judikative Gewalt haben: es ist die legitime provisorische Regierung! Seit unserer Rückkehr hat der revolutionäre Prozess an Boden gewonnen. Wir erfuhren, dass Ganouchi schließlich anschließend an eine Demonstration von 100.000 Menschen in Tunis die Regierung verlassen musste; eine Demonstration, welche den Abtritt des alten Premierministers forderte – eine Demonstration, nicht zu vergessen, im Verlauf derer 5 Tunesier von den Polizeikräften getötet wurden.

 

Der revolutionäre Prozess ist tunesisch, aber seine Sprengkraft ist international.

 

Die revolutionäre Erfahrung in Tunesien hat zahlreiche, insbesondere arabische, Völker stimuliert, welche diktatorischen Regierungen unterworfen sind, in Ägypten, im Jemen, in Algerien, Jordanien und jetzt in Libyen, aber auch in China! Die Völker der Welt, welche für ihre Würde kämpfen, in Lateinamerika wie in Europa, müssen diese Revolution in Tunesien unterstützen, welche das internationale politische System, das imperialistische System schwächt und daher eine objektive Unterstützung der Völker der Welt, die für die Befreiung von ihren Ketten kämpft, darstellt.

Wir kehren aus Tunesien zurück, mehr denn je von der Notwendigkeit überzeugt, mit den fortschrittlichen Kräften unseres Landes für den Sturz dieses kapitalistischen System zu kämpfen, eines Systems, das ohne Unterlass die Diktatoren unterstützt, die unteren Schichten des Volkes bei uns und anderswo ausbeutet und verarmt und seine Krisen das ganze Volk bezahlen lässt und so den Mitgliedern der Oligarchie und den Mächtigen der Welt zu Diensten ist.

 

Folglich hat der 7. Parteitag unserer Partei seinen politischen Vorschlag „Für eine revolutionäre Volksfront jetzt!“ angenommen. Wir, die Jugendlichen der Partei, sind fest entschlossen, unseren Beitrag zu leisten, dass so schnell wie möglich bildet und als Anfang werden wir dazu beitragen, hier in Frankreich die revolutionäre Erfahrung des tunesischen Volkes und seiner Jugend zu verbreiten.

 

(La Forge, März 2011)