Ziemlich laut und bunt war es am Abend des 18. November vor dem Kieler Landeshaus, als dort der Landtag über das Streichpaket der schwarz-gelben Regierung debattierte. Ein Bündnis von 42 Organisationen, vom DGB über die Studentenausschüsse der Unis und Fachhochschulen, diversen Frauenorganisationen bis hin zum Flüchtlingsrat, dem Paritätischen und ATTAC hatten unter dem Motto „Gerecht geht anders“ aufgerufen.
Gekommen waren nach Angaben von Polizei und Veranstaltern über 10.000, es könnten allerdings auch Ein- oder Zweitausend weniger gewesen sein. So oder so für Schleswig-Holstein – es war landesweit aufgerufen worden – eine beachtliche Demonstration, die zudem ungewöhnlich bunt und kämpferisch war.
Das lag auch daran, dass der Protest gegen die Streichungen im Landeshaushalt mit den Aktionstagen der Gewerkschaften gegen die sozialen Grausamkeiten der Berliner Koalition zusammenfiel. Auf Initiative von ATTAC und anderen hatte sich bereits im Sommer ein Bündnis gegen die Kürzungen gebildet, die die CDU-FDP-Landesregierung plant.
Die haben es in der Tat in sich. Immer mehr werde an den Schulen gestrichen, meinte Lynn Moldaenke vom Kieler Bildungsbündnis. Kerstin Schoneboom, Sprecherin der Landeskonferenz der Frauenbeauftragten, schilderte den Abbau in der Frauen- und Mädchenarbeit. Gleich vier Mädchentreffs in der ländlichen Region werden die Mittel völlig gestrichen. Die Beratungsstellen Frauen und Beruf werden geschlossen. Tiefe Einschnitte gibt es auch bei den Beratungsstellen für Migranten und den Frauenhäusern. Künftig werde 300 Frauen jährlich weniger Hilfe geleistet werden können, meinte Claudia Franke, die für die Frauenorganisationen im Bündnis sprach. Statt der Kürzungen sei mehr Hilfe für Opfer von Frauenhandel, Gewalt, Folter und Zwangsehen nötig. Die Kieler Koalition würde mit ihren Streichungen ein Klima der sozialen Kälte schaffen und zudem unabsehbare Folgekosten herauf beschwören.
An der Kieler Uni hatte es am Donnerstag Nachmittag eine Vollversammlung gegeben, in deren Anschluss sich über Tausend Studierende in die Innenstadt aufmachten. Zunächst schlossen sie sich einer von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaften organisierten Menschenkette zwischen dem Bildungsministerium und der HSH-Nordbank an. Mit dieser sollte auf den Widerspruch aufmerksam gemacht werden, einerseits mit der Landesbank Milliardensummen am US-Immobilienmarkt in den Sand zu setzen und andererseits bei der Bildung zu streichen. An der hiesigen Universitätsklinik, die die Landesregierung gerne privatisieren möchte, wurden zum Beispiel schon vor Jahren sämtliche Stellen für die Fachbibliotheken gestrichen. Für Lehre und Forschung eine kleine Katastrophe.
Aber nur eine von vielen: Ein Krankenpflegeschüler von der Klinik berichtete, dass meist nur eine ausgebildete Kraft und ein Azubi für 30 Patienten zuständig seien. Derartige Schlüssel hätten noch vor einigen Jahren als Notfallpläne gegolten. Extremer Stress, Zynismus und Burn-out-Erkrankungen würden um sich greifen, und immer öfter träten wegen mangelhafter Hygiene multiresistente Bakterienstämme auf. Nicht nur für die Beschäftigten sei also die Profitorientierung im Gesundheitssystem gefährlich, sondern auch für die Patienten.
Aus Berlin waren der DGB-Vorsitzende Michael Sommer und Peter Grottian angereist, der für ATTAC sprach (Grottian sprach auf Einladung des Bündnisses, Anm. der Red.). Sommer geißelte in einer kämpferischen Rede die Politik der Bundesregierung, die nun, nach dem die Krise vorbei sei, die Arbeitenden wieder als Menschen zweiter Klasse behandele. Dabei habe man doch erst durch Lohnverzicht und andere Opfer möglich gemacht, dass die Krise überwunden werden konnte. Die „selbsternannten Eliten“ hätten sich in eine Parallelgesellschaft der Boni und Privatunis zurückgezogen. „Wir haben es satt, von dieser Kaste bespitzelt und missachtet zu werden“, meinte der DGB-Chef unter tosenden Beifall.
Millionenfach würden inzwischen Armutslöhne gezahlt. In der Altersgruppe der unter 25jährigen sei sogar jeder Fünfte betroffen. Sommer setzte dagegen gesetzlichen Mindestlohn und die Forderung nach gleichem Lohn für gleiche Arbeit. Es sei ein Skandal, das Frauen noch immer für die gleiche Tätigkeiten schlechter entlohnt würden, als ihre männlichen Kollegen, und die Gewerkschaften würden es auch nicht länger hinnehmen, dass Leiharbeiter für die gleiche Arbeit schlechter bezahlt werden, als die Stammbelegschaften. Sommer versprach, dass die Proteste weitergehen werden, ließ aber offen in welcher Form. So blieb es Peter Grottian, der bis zu seiner Pensionierung an der Berliner Freien Universität Politikwissenschaften gelehrt hat, überlassen, konkreter zu werden. Der Protest müsse sich radikalisieren. Ziviler ungehorsam und stundenweise Streiks seien in den nächsten Wochen und Monaten nötig, denn der Protest nütze nur, wenn er auch das Schienbein der Herrschenden erreicht. Auch hierfür gab es eifrigen Beifall, wenn auch nicht ganz so enthusiastischen wie für die Rede des DGB-Chefs. Es braucht halt noch ein bisschen mehr von jenem Mut zur Wut, den Grottian eingefordert hatte.
(wop/uws)
Fotos: Florian Eggers
Kurzmitteilungen:
1000 leere Pappkartons sorgten für Aufregung
Anlässlich der eindrucksvollen Demonstration am 18. November haben die Demonstranten lautstark ihrem Unmut über die rigorose Sparpolitik vor dem Schleswig-Holsteinischen Landtag Luft gemacht. Dabei wurden 1000 leere Kartons als symbolische Sparpakete unter dem Motto „Annahme verweigert“ vor dem Haupteingang des Landeshauses abgeladen.
Der Landtagspräsident Torsten Geerdts war darüber nicht erfreut. Er beklagte sich drüber, dass die Aktion bewirkt hatte, dass Abgeordnete und Mitarbeiter eineinhalb Stunden lang das Gebäude nur durch Nebeneingänge betreten und verlassen konnten – nun erwartet Geerdts eine Entschuldigung von den Demonstranten!
Kommentar: „Pech gehabt!“
kb
Solidarität mit Peter Grottian
Dem Sozialwissenschaftler Prof. Peter Grottian, der auf Einladung des Bündnisses „Sozial geht anders“ eine Rede hielt, droht eine Strafanzeige des Landtagspräsidenten. In seiner Rede hatte Grottian sich für eine Radikalisierung des bisher eher symbolischen Protestes ausgesprochen. Grottian sagte inhaltlich, dass er sich spontane Arbeitsniederlegungen und eine friedliche Besetzung des Landtages als Kampfmittel durchaus vorstellen könne.
Zusätzlich zur Ankündigung der Strafanzeige wegen … (denen wird schon etwas einfallen) forderte der CDU-Abgeordnete Kalinka, die Einführung einer Bannmeile ums Landeshaus herum. Ein etwas hilfloser Versuch, sich das Volk vom Hals zu halten.
ARBEIT ZUKUNFT solidarisiert sich mit Peter Grottian – wir werden mithelfen Grottinans Vorschläge in die Tat umzusetzen!
kb
Das Bündnis stärken und nicht locker lassen!
Für die Fortsetzung und den Erhalt des Bündnisses „Gerecht geht anders – Schleswig-Holstein“ sprachen sich alle Teilnehmer/innen der Bündnis-Vollversammlung am 27. November aus. Wir werden nicht locker lassen und noch vor Weihnachten einige kleinere Aktionen durchführen. Zudem wollen sich alle für eine Erweiterung des Bündnisses einsetzen und die Organisationen, die noch nicht mitmachen, ansprechen.
Die bisherigen Großdemonstrationen (7.000 und 10.000 Teilnehmer/innen) waren ein großer Erfolg, das Bündnis hat einen guten Namen in Schleswig-Holstein und auch Organisationen, die nicht im Bündnis sind, haben eigenständig zu den Demos aufgerufen. Den Veranstaltern ist es gelungen Gewerkschaften, Wohlfahrtsverbände, Parteien, soziale Bewegungen und soziale Institutionen an einen Tisch zu setzen und zum gemeinschaftlichen Handeln zu bewegen. Das ist in dieser Form in SH einmalig. Die Bündnispartner eint die Ablehnung der unsozialen Kürzungspolitik von Bund und Ländern und die ständige Einkommens- und Vermögensumverteilung von unten nach oben. Dennoch ist klar, dass mit diesen eindrucksvollen Demos die Kürzungspolitik nicht automatisch vom Tisch ist. Der Widerstand braucht einen langen Atem und viele verschiedene Formen des Protestes. Dazu werden wir Kommunisten immer wieder auf die Ursachen der brutalen Umverteilung von unten nach oben hinweisen und uns stets für eine bewusste und verantwortungsvolle Radikalisierung des Protestes einsetzen.
ARBEIT ZUKUNFT-Nord wird an dieser Stelle weiter davon berichten.
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