Vom Kleinladen zum Supermarkt

Interview mit einem Insider

Naturkostläden (Bioläden) entstanden in der Bundesrepublik Anfang der 1970er Jahre. Neben dem Anspruch gesunde, aus ökologischem Landbau hergestellte Produkte zu verkaufen, waren zumeist politische Zielsetzungen in der Naturkostbewegung anzutreffen. Themen wie Umweltbewusstsein, Konsumverzicht, Kritik an der konventionellen Landwirtschaft, politische Nähe zur Anti-Atomkraft- und Friedensbewegung wurden von der Naturkostbewegung aufgegriffen. Das Streben nach hohen Gewinnen war am Anfang bei den meisten Ladenbesitzern schwach ausgeprägt. Angefangen hat alles mit kleinen Bio-Läden mit hohen ideellen Ansprüchen. Manche dieser kleinen Läden mit ihren ökologischen und gesellschaftlichen Zielsetzungen bestehen bis heute. Im Laufe der Jahrzehnte hat jedoch in diesem Bereich eine enorme Entwicklung stattgefunden. Aus kleinen Naturkostläden- und Herstellern sind z.T. richtige Konzerne geworden. Discounter wie Aldi u.a. haben längst das Bio-Siegel für sich entdeckt. Vitalia, Basic und andere große Reform- und Naturkostsupermärkte sind entstanden.

 

ARBEIT ZUKUNFT führte ein Gespräch mit einem guten Kenner dieser Entwicklung, der lange selbst in Naturkostläden gearbeitet hat.

AZ: Wie lange hast du in Naturkostläden gearbeitet?

G.P.: Insgesamt habe ich 17 Jahre lang in insgesamt sieben verschieden Naturkostläden gearbeitet.

AZ: Dabei hast du sicherlich viele Erfahrungen gesammelt. In Bayern warst du ab Mitte der achtziger dabei. Welche Bilanz kannst du heute daraus ziehen?

G.P.: Statt um regionale und dezentrale Vermarktung geht es heute um überregionale und zentralistische Vermarktung. Die Naturkostläden und Großhändler konkurrieren heute mit dem konventionellen Lebensmittelhandel. In der Zeit als ich selbst noch in Naturkostläden arbeitete, habe ich die jeweiligen Ladner darum gebeten, die Lebensmittelpreise um 5 Prozent erhöhen, damit ich als Verkäufer sozialversichert bin, und nicht auf der Basis von damals 580 DM angestellt bin. Meine Arbeit dort war wertvoll und unterstützte die Gesundung der Erde, unseres Planeten. Ich wollte damals 20 DM Netto pro Stunde verdienen, doch kein Ladner war bereit mir dieses Gehalt zu zahlen. Eine positive Entwicklung im Naturkostbereich, darf nicht nur hochwertige Lebensmittel aus kontrolliert biologischen Anbau beinhalten, sondern muss auch ein Interesse an zufriedenen gut bezahlten Verkäufern haben. Um es abschließend zusagen: Im Naturkosthandel gibt es heute keinen rebellischen Geist mehr; man lebt nach dem Motto, arbeitsam, brav und angepasst für wenig Geld. Oder nach den christlichen Grundsätzen: arbeiten, beten und leiden!

AZ: Es hat also in diesem Bereich eine Konzentration und Zentralisation von Kapital stattgefunden, wie in anderen wirtschaftlichen Bereichen zuvor. War diese Entwicklung deiner Meinung nach unvermeidlich?

G.P.: Ich hatte mir persönlich natürlich eine ganz andere Entwicklung gewünscht. Die Ladenbesitzer haben irgendwann damit begonnen, mit dem konventionellen Lebensmittelhandel zu konkurrieren. Die Solidarität unter den Naturkostladenbesitzern nahm immer mehr ab, die Konkurrenz untereinander verstärkt. Gleichzeitig wurde der Widerstand gegen die objektiven Verhältnisse, gegen das kapitalistische System aufgegeben.

AZ: Welche fortschrittlichen Zielsetzungen haben sich in der Naturkostbewegung bis heute erhalten können?

G.P.: Positiv ist, gerade in Bayern, dass die Anbauflächen für Bio-Produkte erweitert wurden. Dies dient der Gesundung der Böden. Für die Menschen, für die Konsumenten ist Bio-Nahrung zu einer gesünderen Alternative geworden.

AZ: Danke für das Gespräch.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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