Filmbesprechung: Bis nichts mehr bleibt

Frank Reiners (Felix Klare, "Tatort"-Kommissar im SWR) kämpft vor Gericht um das Sorgerecht für seine Tochter. Erst vor kurzer Zeit ist er bei Scientology ausgestiegen.

Dabei fing alles ganz harmlos an. Ahnungslos ließ sich Reiners bei einem zwanglosen Essen mit Rechtsanwalt Dr. Gerd Ruppert (Kai Wiesinger, "14 Tage Lebenslänglich") von der ebenfalls anwesenden Helen Berg (Nina Kunzendorf, "Entführt") zu einem Persönlichkeitstest einladen. Beruflich stand Reiners zu diesem Zeitpunkt im Abseits, und auch seine Schwiegereltern (Robert Atzorn, Sabine Postel) hätten lieber einen anderen Mann für ihre Tochter Gine (Silke Bodenbender) gesehen.

Dieser Persönlichkeitstest und das ganze Drumherum amüsieren zunächst Frank Reiners. Doch als ihm Helen Berg "eine Brücke zur völligen Freiheit" verspricht, kann sich Frank den Verlockungen der Organisation nicht mehr entziehen. Immer weiter gerät er in die Abhängigkeit der Sekte. Schließlich überredet Frank auch seine Frau, Mitglied der Organisation zu werden. Gine jedoch macht schnell Karriere bei Scientology und überholt ihren Mann auf der Erfolgsleiter. Als darunter die Ehe und vor allem der Kontakt zu seiner Tochter leidet, die mittlerweile ebenfalls unter der Kontrolle von Scientology steht, erkennt Frank, mit welchem Gegner er es zu tun hat. Gemeinsam mit seinem Schwiegervater und der engagierten Anw&ältin und Scientology-Kennerin Ursula Friedrich (Susanne von Borsody) versucht Frank das Unmögliche, nämlich seine Familie aus den Fängen der Sekte zu befreien…

Das Thema Scientology war bisher für Filmemacher ein heikles Thema. Regisseur Niki Stein wagte sich als Erster an diesen Stoff und zeigt eine Studie über eine junge Familie, die in die Fänge von Scientology gerät. Dabei beruft sich Niki Stein nicht nur auf Schilderungen ehemaliger Scientologen, die den Ausstieg geschafft haben, sondern auch auf das Studium der Lehren Hubbards, dem Gründer von Scientology. Aus diesen vielen kleinen Schicksalen und Erfahrungen formte Stein eine fiktive Geschichte, die so oder ähnlich tatsächlich stattgefunden haben könnte.

Nach eigenen Aussagen habe Niki Stein im Film 5% dessen gezeigt, was man zeigen könnte über Scientology. Und selbst diese 5% zeigen, mit welchen Methoden und Mechanismen Menschen manipuliert und somit abhängig gemacht werden können.

Niki Stein gelingt dabei der Spagat, einerseits die Praktiken der Lächerlich preiszugeben, wenn z.B. über jedes Gespräch ein seitenlanger selbstverfasster Bericht angefordert wird oder schon mal die Wand gegrüßt wird, andererseits sieht man, wie wenig man benötigt, um Menschen wie Roboter zu programmieren oder Einfluss auf ihr Leben zu nehmen und sie sozial und finanziell zu ruinieren – bis eben nichts mehr bleibt!

Die Verhandlung vor dem Familiengericht ist dabei die Klammer, die den Film zusammenhält. Immer wieder wird zurück geblendet auf Reiners Leben vor und während seiner Mitgliedschaft bei Scientology. Um eine größtmögliche Authentizität zu wahren, lässt Niki Stein die Personen auch im typischen Scienetology-Jargon sprechen. Das irritiert zunächst den Zuschauer, weil man die Bedeutung nicht immer auf Anhieb versteht, aber auch hier lässt der Regisseur den Zuschauer nicht allein. An Stelle des Zuschauers stellt im Film die Richterin Fragen zu Begriffen und Deutungen und lässt sich (und dem Zuschauer) von den Anwälten die Antwort geben.

Niki Stein konnte sich bei den Dreharbeiten auf ein hervorragendes Darstellerensemble verlassen. Zunächst war er ein wenig skeptisch, weil viele Schauspieler ohne zu zögern sofort zugesagt haben. Inzwischen weiß Stein aber, dass er "die Besten bekommen" hat. Und alle Schauspieler seien sich im Klaren darüber, dass ihre Chancen, noch einmal in ihrer Karriere in einer Hollywood-Produktion mitspielen zu dürfen, sehr gering sein dürften angesichts vieler Scientology-Mitglieder in der amerikanischen Filmbranche.

Felix Klare spielt den anfangs etwas naiven, später kämpferischen Frank Reiners, der zunächst voller Euphorie ist, aber schnell erkennen muss, dass er nur ausgenutzt wird. Die Versprechungen Helens und der anderen "Ethik-Offiziere" bei Scientology zerplatzen bald wie Seifenblasen.

Gerade diese Helen, dargestellt von Nina Kunzendorf, bleibt im Gedächtnis hängen. Kunzendorfs Spiel lebt vor allem von ihrem Spiel mit der Mimik. Mit angsteinflößenden Blicken, dabei nie dem Gegenüber ausweichend, schüchtert sie regelrecht ihre Gegner ein, unterstützt durch selbstsicheres und stolzes Auftreten. Aber auch das andere Extrem zeigt Nina Kunzendorf: eine gebrochene, ihrer hohen Funktion entbundene Frau, eingeschüchtert in einem Arbeitslager der Organisation, unfähig zu fliehen. Auch wenn es eher um die Familie Reiners gehen sollte, die eigentliche Dramatik bezieht der Film aus dem Duell Frank Reiners/Helen Berg.

Dass man Scientologen nicht immer auf Anhieb erkennt, zeigt Kai Wiesingers Rolle als Anwalt. Auch dieser Dr. Ruppert steht in der Hierarchie bei Scientology ziemlich weit oben. Aber er hat etwas Vertrauenswürdiges. Eben kein Anwalt, der Einem auf Anhieb unsympathisch ist. Und selbst in der Verhandlung, als er Auskunft über die Organisation gibt, kommt es so rüber, als sei Scientology nur ein kleiner Kegelverein. Mit der Wahl Wiesingers gelang Niki Stein jedenfalls ein Glücksgriff.

Ein nicht ganz so großer Glücksgriff ist die Rolle der Gine Reiners, dargestellt von Silke Bodenbender. Dabei liegt es nicht einmal an der Besetzung der Rolle durch Silke Bodenbender, denn auch sie hat großartige Szenen, vor allem als Gine auf der Karriereleiter alle Anderen überholt und sie total berauscht und verblendet mit ihrer Familie bricht. Aber der Aufstieg Gines wird nicht ganz so intensiv dargestellt wie Franks Weg und dient eher als Füllstoff für den Fortgang der eigentlichen Handlung.

Auch die Nebenrollen sind bestens besetzt. Neben Robert Atzorn ("Unser Lehrer Doktor Specht") und Sabine Postel ("Tatort" aus Bremen) fällt besonders Paula Schramm ("Allein unter Bauern", "Französisch für Anfänger") auf, die hier eindrucksvoll gegen ihr Schulmädchen-Image anspielt. Die von ihr dargestellte Angela ist ebenfalls Mitglied bei Scientology. Ihre Position in der Hierarchie ist für den Zuschauer etwas unklar, weil sie eher so etwas wie "Mädchen für Alles" ist. Aber die Rolle gewinnt zunehmend für den weiteren Verlauf der Handlung an Bedeutung, weil sie Mitauslöser für Reiners Ausstieg aus Scientology ist. Paula Schramm hat großartige Szenen, die eine völlig andere Seite von ihr zeigen und Beweis für ihr unzweifelhaft vorhandenes schauspielerisches Talent sind!

"Bis nichts mehr bleibt" ist der erste Film, der die Organisation beim Namen nennt und sich nicht hinter Pseudonymen versteckt. Um die Dreharbeiten nicht zu gefährden und sich vor möglichen Gegenmaßnahmen seitens Scientology zu schützen, wurde der Film unter größter Geheimhaltung als Tatort-Episode mit dem Titel "Der Tote im Sund" gedreht. Auch die Schauspieler wurden zu Stillschweigen verpflichtet.

Es ist ein Film, der zugleich Tempo und Ruhe hat. Dank der Kameraführung von Arthur W. Ahrweiler, der sich zuweilen stark auf die Gesichter und damit auf Gestik und Mimik der Darsteller konzentriert, brennen sich die Bilder tiefer ins Gedächtnis. Es ist aber vor allem ein Film, der aufklärt, ohne belehrend zu sein.

"Bis nichts mehr bleibt" wird nicht verhindern können, dass Scientology neue Mitglieder gewinnt, aber er wird deren Arbeit erschweren. Denn wer diesen Film gesehen hat, wird gewarnt und informiert sein vor Scientology und deren Praktiken. Und so bleibt eben doch etwas!

Thoralf Haß

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Erstveröffentlichung:
American Rebel, 24. März ’10
Veröffentlichung mit freundlicher
Genehmigung der Redaktion