Kommentar zu den Sindelfinger Ereignissen
Wenn die sehr bürgerliche “Stuttgarter Zeitung“ ihren „Gewerkschaftsspezialisten“ Schiermeier bei Daimler in Sindelfingen den Ausnahmezustand ausrufen lässt, dann muss da echt etwas passiert sein. Und es ist etwas geschehen! Nach dem pflichtgemässen Protest vorm Tor am 1. Dezember gegen Zetsches Verlagerungspläne, der allein schon 12000 Kollegen mobilisierte, wollten diese nicht einfach weiterarbeiten bis zur Betriebsversammlung, die Woche darauf am Mittwoch. Sie kämpften einfach weiter, und zwar so machtvoll, dass in den nachfolgenden Tagen in Sindelfingen nicht mehr viel Produktion gelaufen sein kann.
So machtvoll, dass Betriebsrat und IG Metall einen gehörigen Schrecken bekamen!
So machtvoll, dass sich sogar Konzernboss Zetsche in die vorgezogene Betriebsversammlung bemühte, um Ruhe zu schaffen.
Und so machtvoll, dass zumindest auf dem Papier ein Verhandlungsergebnis stehen musste, dass der Heftigkeit des Kampfes halbwegs entsprach. Also:
Keine betriebsbedingten Kündigungen bis 2020, verlängerte, verbesserte Abfindungsregelungen für, die, die freiwillig gehen wollen (oder sich dazu genötigt sehen). Bestandsgarantien für die Ausbildung.
Jeder, der sich ein wenig in der Materie auskennt, weiss genau, dass diese Regelungen wenig wert sind: Kündigungsschutzvereinbarungen halten nur bis zur nächsten Krise mit ihren neuen Angriffen.
Abfindungsregelungen, da folgen wir ganz entschieden den Kolleg/innen von „Was tun?“, deren lebendige Berichte wir in unserem Artikel zitierten: Das ist und bleibt Arbeitsplatzabbau!
Schlimmer noch: Nach dem verhassten „Outsourcing“, der Fremdvergabe bisher eigener Produktion, nun das „Insourcing“: Man holt´s zurück. Der Kampf der Kollegen muss von den Daimler-Verantwortlichen als so massiv empfunden worden sein, dass sie diesen Weg wählten, die Autositzfertigung und alles mögliche andere an Fertigung zurück ins Werk zu holen, um überhaupt Arbeitsplatzversprechungen machen zu können! Aber das sind dann vernichtete Arbeitsplätze anderswo, bei Recaro, dem benachbarten Autositzeshersteller und bei anderen Zulieferern.
Der Deal macht deutlich: Was von Leuten wie Klemm (BR-Chef bei Daimler) und der Stuttgarter IG Metall-Führung für akzeptabel gehalten wird, ist nur die Verlagerung des Kampfes in kampfschwächere Betriebe oder zu Kollegen, die einfach überrumpelt werden. Wer will denn diesen Kolleg/innen das Recht absprechen, nun selber die Messer des betrieblichen Widerstands zu wetzen?
Einen solchen Abschluss kann man nicht akzeptieren. Aber wie kann der Widerstand fortgeführt werden, nachdem Klemm die Sache wieder an sich riss, die Kämpfenden in die Defensive drängte?
Mit einem solchen Abschluss kann man die Industriegewerkschaft nur ruinieren. Man kann die Kollegen in Sindelfingen nur unterstützen, die empört diesen Deal anprangern und den gemeinsamen Kampf mit den Kollegen bei den Zulieferer fordern. Das ist ein heute viel schwererer Weg, aber er muss gegangen werden! Es kann nicht angehen, dass „mein Arbeitsplatz“ damit gesichert(?) werden soll, dass der meines Kollegen im anderen Unternehmen vernichtet wird.
Aber gemeinsamer Kampf über die Betriebsgrenzen hinaus braucht gemeinsame Perspektiven. Raus aus der Standortkonkurrenz, weg von dieser Leimrute des Kapitals in der Gewerkschaftsbewegung! Eine zentrale und immer wichtigere gemeinsame Forderung für alle, die gemeinsam gegen das Kapital kämpfen, ist der Wiedereinstieg in die Arbeitszeitverkürzung, für die 30-Stundenwoche bei vollem Lohn- und Personalausgleich! Wenn das angeblich der Kapitalismus nicht mehr zu leisten im Stande ist, dann wäre diese Aussage zugleich sein Testament. Dann kann er eben nicht mehr allen Menschen die würdige Teilhabe am gesellschaftlich Reproduktionsprozess gewährleisten, am gesellschaftlichen Leben, dann zeigt sich an einem weiteren Merkmal, wie historisch überholt dieses System ist.
Aber Sindelfingen zeigt noch etwas: Die klassenkämpferischen Kolleg/innen überall müssen ihre Kraft endlich darauf richten, Machtpositionen in diesen Gewerkschaften anzustreben und denen, die derweil das Sagen haben, den Klemm und Huber diese ernsthaft streitig zu machen. Unsere Resolution zum Vorgehen in Betrieb und Gewerkschaft (siehe oben) soll dieses Vorhaben unterstützen.
ft