Aus der Arbeit der Roten Hilfe: Der bayerische Heimatschriftsteller Oskar Maria Graf und die Rote Hilfe

Im November 1932 richtete der „Provinzschriftsteller“ Oskar Maria Graf einen flammenden Gruß an den in Moskau tagenden Kongress der Internationalen Rote Hilfe: „Übersieht man die zahllosen Aktionen der Roten Hilfe, so spürt man die unüberwindliche Kraft wahrer Solidarität“. Das Grußwort zum 10. Geburtstag der weltumfassenden Hilfsorganisation für politische Gefangene aus der Arbeiterbewegung endet mit dem Gelöbnis: „Die Internationale Rote Hilfe sei uns allen stets ein Beispiel und Ansporn im Kampf um die Erringung einer Weltordnung, in welcher der Grundsatz wahrhaft wirkt: `Einer für alle! Alle für einen!“

Der parteilose Gefühlskommunist Oskar Maria Graf hatte Ende der 20er Jahre in der Roten Hilfe Deutschlands, einer proletarischen Hilfsorganisation für politische Gefangene, eine politische Heimat und Wirkungsstätte gefunden. Gemeinsam mit zahlreichen anderen Persönlichkeiten aus Wissenschaft und Kultur wie etwa den Schriftstellern Heinrich und Thomas Mann, der Künstlerin Käthe Kollwitz oder dem Physiknobelpreisträger Albert Einstein warb Graf mit seinem Namen für Amnestiekampagnen der Roten Hilfe. Doch darüber hinaus und im Unterschied zu den meisten anderen prominenten Unterstützerinnen und Unterstützern der Roten Hilfe engagierte er sich auch praktisch innerhalb der Organisation. Er sammelte Hilfsgelder für die Familien politischer Gefangener, er repräsentierte die Rote Hilfe nach außen gegenüber dem Münchner Polizeipräsidenten, er rezitierte auf Kundgebungen der Roten Hilfe aus seinen Werken.

„Der Arbeiterdichter Oskar Maria Graf begrüßte unter großem Beifall die Delegierten mit einem die Solidarität, das Kampf- und Klassenbewusstsein der Roten Helfer aufrüttelnden Prolog“, berichtet so die kommunistische Neue Zeitung von einem Auftritt Grafs auf der von 2000 Arbeiterinnen und Arbeitern besuchten Eröffnungskundgebung des zweiten Landeskongresses der Roten Hilfe Bayern am 6. Oktober 1928 im Münchner Bürgerbräukeller. Damals gehörten bereits 7000 Mitglieder in 1000 Ortsgruppen der bayerischen Roten Hilfe an.


Sacco und Vanzetti

1927 bildeten sich deutschlandweit Komitees, um für die Freilassung der in den USA unschuldig zu Tode verurteilten Anarchisten Nicola Sacco und Bartolomeo Vanzetti zu kämpfen. In München ging die Initiative zur Gründung eines Sacco-Vanzetti-Kommitees von der anarchosyndikalistischen Freien Arbeiterunion Deutschlands aus, die hier rund 130 Mitglieder hatte. Oskar Maria Graf übernahm den Vorsitz des Komitees, dem sich auch die Rote Hilfe anschloss. Da eine für Montag 1.August 1927 in München geplante Massenkundgebung mit Graf und dem Schriftleiter der satirischen Zeitschrift Simplizissimus Peter Scher als Hauptredner von der Polizei verboten wurde, beschloss das Komitee einen schriftlichen Protest gegen die drohende Hinrichtung an das US-Konsulat zu richten. Am 6.August löste die Polizei eine als „kommunistisch“ eingestufte Demonstration vor dem US-Generalkonsulat in der Ledererstrasse bereits im Entstehen auf und nahm mehrere Personen fest. Die weltweiten Proteste blieben erfolglos. In der Nacht vom 22. zum 23. August 1927 kurz nach Mitternacht wurden Sacco und Vanzetti im Staatsgefängnis Massachusetts auf dem elektrischen Stuhl ermordet. In München wurde die Trauerkundgebung der Roten Hilfe verboten. Die Polizei nahm 22 Personen fest, die dem US-Konsul eine Protestnote überbringen wollten.


Amnestiekampf

1927 und 1928 beteiligte sich Oskar Maria Graf am Amnestiekampf der Roten Hilfe für die zahlreichen proletarischen politischen Gefangenen. So gehörte er einem im Frühjahr 1927 aus 163 Persönlichkeiten gebildeten „Neutralen Komitee für Max Hoelz“ an, dass die „schleunige Herbeiführung eines neuen Urteils über die Taten und über die Person von Max Hoelz“ forderte und gegen die „auffallend langsame Bearbeitung des Rechtsfalles“ sowie die „ungleichmäßige Anwendung der Amnestiegesetze“ protestierte. Max Hoelz hatte während des kommunistischen Aufstandes im mitteldeutschen Industrierevier 1921 einen Arbeiterpartisanentrupp geführt und wurde wegen eines von ihm nachweislich nicht begangenen Mordes an einem Gutsbesitzer zu lebenslänglicher Zuchthaushaft verurteilt. Die Rote Hilfe in München veranstaltete auch eine Großkundgebung mit Traute Hölz, einer Kommunistin, die auf Initiative der Roten Hilfe Hoelz im Gefängnis geheiratet hatte, um den Kontakt zum ihm zu halten.

Zu den Mitveranstaltern einer Amnestiekundgebung der Roten Hilfe im Sommer 1928 gehörte auch der von Oskar Maria Graf geleitete Jungmünchner Kulturbund. Dies war durchaus konsequent. Schließlich hatte Graf den Jungmünchner Kulturbund im Jahr zuvor gemeinsam mit Kommunisten, Linkssozialisten und Syndikalisten zur Verteidigung der Presse- und Meinungsfreiheit gegründet. Unter den politischen Gefangenen und Verfolgten befand sich eine Anzahl so genannter „literarischer Hochverräter“, deren Artikel in kommunistischen Zeitungen als staatsgefährdend eingestuft wurden.

Als die neugewählte sozialdemokratisch geführte Reichsregierung am 14.Juli 1928 ein weitreichendes Amnestiegesetz verkündete, fiel neben den letzten noch inhaftierten bayerischen Räterepublikanern auch Max Hoelz darunter.


Rechtsberatung

Ab 1929 häuften sich auch in München die gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen zu meist sozialistisch eingestellten Arbeiterinnen und Arbeitern und der faschistischen SA, die provokativ durch proletarische Stadtviertel wie Giesing oder Haidhausen marschierte. Auf der Anklagebank fanden sich in der Regel die Arbeiter wieder. Die Rote Hilfe bot in München wöchentlich zwei Stunden unentgeltliche Rechtsauskunft in ihrem Bezirksbüro in der Rumfordstraße 38/II im Glockenbachviertel an. Auch Oskar Maria Graf beriet hier Genossinnen und Genossen, die Probleme mit Polizei und Justiz hatten. So berichtete der spätere Gründer des Valentin-Musäums, Hannes König, der seit 1928 der KPD angehörte und selber ein Jahr lang als Kassierer der Roten Hilfe tätig war, von einer solchen Beratung durch den Schriftsteller. König hatte bei einer Demonstration einen berittenen Polizisten vom Pferd gezogen und war dafür in erster Instanz zu acht Monaten Haft verurteilt worden. Von der Roten Hilfe wollte König erfahren, ob sein Fall politisch-agitatorisch für ein Berufungsverfahren tauge. Nach kurzer Überlegung riet ihm Graf allerdings: „Die acht Monat`, die sitzt` ab.“


Faschismus

„Ich sah meinen halbtotgehetzten Freund Max Holy auf der Straße vorbeisausen. Er stoppte und hastete mir ins Ohr: `Du gehst nach Wasserburg aufs Land? – Schau rum, ob wir da und dort einen sicheren Bauern fürs Unterschlüpfen kriegen können´“, erinnert sich Graf an die letzte Begegnung mit dem südbayerischen Rote-Hilfe-Sekretär Max Holy vor der Machtübernahme der Faschisten. Graf, der bereits am 17.Februar 1933 ins Exil gegangen war, stellte seine Wohnung in der Münchner Hohenzollernstrasse den beiden KPD-Landtagsabgeordneten und regelmäßigen Rednern auf Rote-Hilfe-Veranstaltungen Sepp Götz und Fritz Dressel als illegales Quartier zur Verfügung. Beide wurden wenige Wochen später verhaftet und im Konzentrationslager Dachau auf bestialische Weise ermordet. Auch Max Holy, der ganz Bayern bereiste, um Rote Hilfe Ortsgruppen neu aufzubauen, wurde Ende April festgenommen, als er Fluchtverbindungen von Bayern nach Österreich herzustellen suchte. Bis Kriegsende blieb Holy im KZ Dachau inhaftiert.

Mit seinem 1936 verfassten „Zeitroman“ „Der Abgrund“ hat Graf der Roten Hilfe ein literarisches Denkmal gesetzt. Eigentliches Thema des Buches ist die kampflose Kapitulation der bürokratisierten und Legalitätsbesessenen Sozialdemokratie vor den Nazis. Positive Identifikationsfigur ist der junge Arbeiter Joseph Hochegger. Obwohl er sich organisatorisch nicht von der Sozialdemokratie trennen kann, schlägt sein Herz angesichts des Versagens der SPD für die Kommunisten. Josef engagiert sich in München bei der Roten Hilfe und nach seiner Flucht zusammen mit seiner Frau Klara im illegalen Beratungsdienst der österreichischen Roten Hilfe in Wien. „Klara las endlich im `Neuen Wiener Tageblatt´ die Losung und fand in das Versteck der `Roten Hilfe´. Da waren fremde Genossen, die Tag und Nacht schufteten. Versprengte und Gefährdete wurden verboten, mit falschen Papieren und Geld versehen und auf die Flucht gebracht.“

Wie für seine Romanfigur Joseph Hochegger war für Oskar Maria Graf die Rote Hilfe eine Möglichkeit, von unten an der Einheit der Sozialisten mitzuwirken. Für den Tatmenschen Graf stand dabei immer die praktische Solidarität über Parteigrenzen hinweg im Vordergrund vor sektiererischen Streitigkeiten oder bürokratischer Verkrustung der Arbeiterparteien. Zwar glaubte Graf an die Zukunft des Sozialismus und zeichnete auch einen Wahlaufruf für die KPD. Doch einen Parteieintritt verweigerte er im Interesse einer Einheitsfront, „da ich bei den Arbeitern stehen will und weder die von der SP, von den Gewerkschaften noch von der KP als Genossen verlieren will.“

Nick Brauns

Der Autor ist Vorsitzender des Hans-Litten-Archivs.

Eine ausführliche Untersuchung
über die Arbeit der Rote Hilfe
in München ist im Jahrbuch 2008 der
Oskar Maria Graf Gesellschaft erschienen.


Anhang:

Dokument aus Tribunal Nr 16, Ende November 1932, S.6.:

 Die unüberwindbare Kraft wahrer Solidarität

Der bekannte Schriftsteller Oskar Maria Graf, München, schreibt zum Weltkongress der Internationalen Roten Hilfe an den Zentralvorstand der RHD:

„Zum bevorstehenden Weltkongress der IRH in Moskau anlässlich des zehnjährigen Bestehens dieser außerordentlich wertvollen proletarischen Hilfsorganisation sende ich Euch meinen aufrichtigen Glückwunsch. Man hat es heute nicht mehr nötig, die Verdienste der Internationalen Roten Hilfe aufzuzählen. – Jeder Revolutionär, jeder klassenbewusste Prolet, jeder freiheitlich denkende Intellektuelle kennt sie. Fast aus einem Nichts ist diese gewaltige Organisation hervorgegangen und zählt heute Millionen zu ihren Mitgliedern und nicht nur das!

Übersieht man die zahllosen Aktionen der RH, so spürt man die unüberwindliche Kraft wahrer Solidarität. Im Zeichen des verschärften reaktionären und faschistischen Terrors, in einer Epoche, da die kapitalistische regierten Länder dazu übergehen, dem Proletariat alle Rechte zu rauben, in einer Situation, da selbst der harmlose pazifistische Intellektuelle (siehe den Fall `Weltbühne´) zum Landesverräter erklärt wird und wegen längst bekannter Tatsachenveröffentlichung ins Zuchthaus muss – in so einer Zeit internationaler Annäherung ans Mittelalter, ist eine Organisation wie die Rote Hilfe geradezu Schützerin von Zivilisation und Kultur:

Sie steht nicht nur bei den ungerecht Verurteilten und Gefangenen, sie tritt überall da mit aller Kraft auf den Plan, wo der einfachsten Menschlichkeit durch brutale Machtmittel alle Wirkung genommen wird. Darum schon muss die IRH in die verstecktesten Winkel der ganzen Welt getragen werden, darum vor allem ist sie so ins Große gewachsen, darum wird jeder, der überzeugt ist von der Schlagkraft internationaler Solidarität der Unterdrückten, diesen zehnten Geburtstag von Mut und Begeisterung, voll Zuversicht und mit dem Gelöbnis feiern:

Die Internationale Rote Hilfe sie uns allen stets ein Beispiel und Ansporn im Kampf um die Erringung einer Weltordnung, in welcher der Grundsatz wahrhaft wirkt: `Einer für alle! Alle für einen!´“

Dieser Artikel ist
urheberrechtlich geschützt.
Nachdruck nur mit Quellenangabe,
Belxemplar bitte an Nick Brauns.
Erstveröffentlichung in Die Rote Hilfe, 3/2008

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Wir danken Nick Brauns für diese
hervorragenden Zusammenfassung
und fordern unsere Leserinnen und Leser
auf, Mitglied der Roten Hilfe zu werden.

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