Die vergangenen Tage brachten einen großartigen Aufschwung, einerseits der Jugend- und Studentenbewegung, andererseits der Gewerkschaftsbewegung. Insbesondere führten zehntausende Mitglieder von ver.di, Erzieherinnen, Erzieher, Sozialarbeiter einen wichtigen Kampf um Löhne und Eingruppierung im Rahmen des Tarifvertrages öffentlicher Dienst (TvöD). Genauso wichtig ist dabei der Kampf um die Einführung von Gesundheitsstandards, um einklagbaren Arbeits- und Gesundheitsschutz in den Einrichtungen der Kindertagesstätten (KITAs).
Am 17. Juni 2009 sind bundesweit im Rahmen der Bildungsstreikwochen über hunderttausende Jugendliche, Studenten, Schüler auf die Straßen gegangen, haben Hörsäle und Schulen verlassen und kämpften gegen die reaktionäre Bildungs- und Jugendpolitik der Bundesrepublik: Gegen Studiengebühren, gegen die Aufteilung der Schulen in Haupt- und Realschulen sowie Gymnasien, für den freien Zugang zur Bildung, gegen Kürzung der Bildungsmittel, gegen die dumpfe Zurichtung von Schulen und Universitäten auf die nackten Kapitalverwertungsinteressen.
Aber gegenüber früheren Bewegungen hat sich eine neue Situation ergeben, die alle Kämpfer für den Fortschritt, für die soziale Gerechtigkeit elektrisieren muss: Sie taten es zusammen mit den von ver.di organisierten Streikenden aus den Kindertagesstätten, ja sogar aus den Kaufhäusern und dem Einzelhandel.
In Stuttgart war die Demonstration am 17. Juni 2009 so mächtig, dass selbst die in der Regel nicht eben gewerkschafts- und bewegungsfreundliche Stuttgarter Zeitung ihre Anerkennung aussprechen musste: „Als die zwei Demonstrationszüge der Erzieherinnen sowie der Schüler und Auszubildenden wie geplant kurz vor 12 Uhr an der Theodor-Heuss-Straße miteinander verschmelzen, halten viele Passanten/-innen. `Wow´, entfährt es einem Straßenkehrer angesichts der Menschenmasse vor ihm. `Das sind aber viele!´.“ In einer Zeitung, die es fertigbringt, in diesem Jahr eine kämpferische Maidemonstration von rund 4500 Teilnehmern mit keinem Wort zu erwähnen, ist das ein Ritterschlag!
Aktionen im Rahmen der Bildungsstreikwoche gab es in mehr als 70 Städten! An ihnen nahmen geschätzt fast ein Viertel Million Schüler und Studenten teil, an vielen Stellen gemeinsam mit Streikenden von ver.di. Ihre Forderungen:
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Abschaffung der Studiengebühren
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Reform der im Rahmen des Bologna-Prozesses der EU eingeführten Bachelor- und Master-Ausbildung an denen
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Die Abschaffung des 8-jährigen Gymnasiums
Es sind komplexe Forderungen, in denen sich Kritikwürdiges mit Richtigem mischen. Gerade die erste und die letzte Forderung aber machen deutlich, dass in dieser Bewegung, wie historisch so oft in der Geschichte der Widerstandsbewegungen, gerade die Jugend zur Trägerin einer wichtigen Radikalität geworden ist. Welche andere Kraft der Gesellschaft stellt heut in dieser Klarheit die zentrale Forderung nach Abschaffung des dreigliedrigen Schulsystems? Niemand! (Stimmt nicht! Die GEW, soweit ich weiß). In dieser Forderung vereinen sich der Hass auf Unterdrückung und Diskriminierung mit Sehnsucht nach Freiheit und nach ungehinderter Bildung, Ausbildung, nach freier Entwicklung des Individuums in einer solidarischen Gesellschaft von Gleichen!
Das „Recht“ der deutschen Reaktion, das staatliche Pflichtschulsystem in einer (selbst für Teile des Kapitals!) unerträglichen Form zum sozialen Selektions- und damit zum Klassenunterdrückungsinstrument zu machen ist eine Schande für diese Gesellschaft, in der sich der deutsche Kapitalismus und Imperialismus gewaltige Reichtümer und Machtmittel zusammengerafft hat und dafür immer mehr Menschen in Abhängigkeit und Elend stürzt, weltweit sowieso, aber auch immer mehr im eigenen Land.
Die Forderung nach der Abschaffung des dreigliedrigen Schulsystem ist keine „pädagogische Frage“, keine Frage der „Schulreife“ oder der „Begabung“, wie das die Kultusminister so gerne darstellen, sondern eine klare soziale Frage. Aber indem das „Bündnis Bildungsstreik 2009“, gestützt von ver.di und dem DGB (wo ist die IG Metall?), diese Forderung unverstellt erhebt, zeigt sie das große Umgestaltungspotential der kämpferischen Jugendbewegung. Die Jugend hat revolutionäres Potential!
Es ist jetzt die Aufgabe, aller Menschen, die für den gesellschaftlichen Fortschritt eintreten und kämpfen, auch aller Kommunisten/-innen, sich ohne Einschränkung hinter diese Forderung zu stellen, sie zu vertiefen und umfassend zu begründen. Es gilt, die internationalen Erfahrungen genauso in diese Debatte einzubringen wie auch die grundsätzlich richtige Position aus der Geschichte der Arbeiterbewegung, dass eine Gemeinschafts- oder Einheitsschule die praktische Tätigkeit, die Produktion, die Technik braucht, eben eine polytechnische Ausbildung, Pädagogik, Didaktik.
Die Frage der Unterstützung dieser Jugendbewegung gehört darüber hinaus in alle Gremien der Gewerkschaften, in die Vertrauensleutekörper, in die Delegiertenkonferenzen und Vertreterversammlungen, ja, wo dies möglich ist, auch in Betriebsräte und auf Betriebsversammlungen. Es kann nicht sein, um die Verbesserung der beruflichen Ausbildung, dies klassische Gewerkschaftsthema, zu streiten, aber die Augen davor zu verschließen, wie gerade die Kinder der Arbeiterinnen und Arbeiter, der unteren Angestellten zuvor in der staatlichen Schule „ausgelesen“, diskriminiert und bewusst vom Gesamtbildungsangebot abgeschnitten werden!
Kommunisten haben hier eine klare Aufgabe und eine klare Position! Und wir setzen uns dafür ein, dass die Jugendbewegungen ihre Positionen vortragen – und mit unserer Hilfe – in die Betriebe tragen muss. Wir kämpfen dafür, dass zukünftig jeder weitere Jugendprotest in Betrieben und Gewerkschaften Stützpunkt und aktive Rückendeckung hat.
Schließlich kann niemand die Augen davor verschließen, dass der Kampf gegen die grottenreaktionäre Bildungs- und Jugendpolitik der Bundesrepublik, gegen Studiengebühren und das dreigliedrige Schulsystem, für freien Zugang zur Bildung, gegen Kürzung der Bildungsmittel, im Wesen ein Kampf gegen das kapitalistische System ist. Die ideologisch verblendete, unverstellte Zurichtung des Bildungswesens auf die nackten Kapitalverwertungsinteressen – das ist der Motor, der die heutige Bildungspolitik antreibt. Das Kapital hasst die für seine Verwertung „unnützen Kosten“, will sie minimieren, damit unter den Bedingungen seiner Krise möglichst viele Geldmittel in mehrwertschaffendes Kapital verwandelt werden können. Also wird jeder Cent für die Jugend, für die Bildung, zehnmal umgedreht und wenn möglich aus den Hochschul-, Schul- und Bildungsbudgets gestrichen. So tickt dieses System, und ehe das nicht geändert wird, solange der Kapitalismus nicht beseitigt wird, werden immer neue Zumutungen auf die Menschen zukommen.
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