Korrespondenz eines Lesers aus Berlin: >WIR ZAHLEN NICHT FÜR EURE KRISE<

DEMONSTRATION IN BERLIN ANLÄSSLICH DES
INTERNATIONALEN AKTIONSTAGS ZUM
G-20-GIPEL

                 

Schätzungsweise
zwischen 20.000 und 25.000 Menschen nahmen in Berlin unter dem Motto >Wir
zahlen nicht für Eure Krise< anlässlich des Internationalen Aktionstages
gegen den G-20-Gipfel in London an den bundesweiten Protesten zum 28.03. teil.

Zeit-
und mottogleich versammelten sich in Frankfurt/Main circa 15.000 Menschen zur
Demonstration.

Insgesamt
verlief die Berliner Demonstration ohne größere Zwischenfälle, zum Ende der
Demonstration lief die Polizei jedoch in Höhe einer besonders engen
Straßenzuführung zum Platz der Abschlusskundgebung Spalier neben dem
antikapitalistischen Block der Demo, was als Provokation aufgefasst wurde, so
dass es zu kleineren Gerangel zwischen vereinzelten TeilnehmerInnen und der
Polizei kam, die sich auf der Abschlusskundgebung fortsetzten sollten. Unter
der neuen Berliner Polizeitaktik der so genannten „beweissicheren Festnahme“ –
vorheriges Filmen angeblich überführter Randalierer mit anschließender
Verhaftung durch kleinere Polizeigreiftrupps – wurden nach unterschiedlichen Quellen
circa 25 Demonstranten festgenommen, gegen einen Haftbefehl erlassen.

Auch
in einem weiteren Punkt hatte die Berliner Polizei bereits im Vorfeld ihre
Taktik über die Interessen der Organisatoren gestellt, indem sie den Ort der
Abschlusskundgebung eigenmächtig von einem historischen Platz in der Mitte
wieder auf den Auftaktkundgebungsplatz zurückverlegte und dies ziemlich
durchsichtig mit Randalen anlässlich einer Kiezdemo einige Tage vorher
begründete.

Sieht
man von den absehbaren Störmanövern der Berliner Polizei ab, so rundeten
Abschluss- wie Auftaktkundgebungen insgesamt eine Demonstration ab, die
bezüglich der erreichten TeilnehmerInnenzahlen für die Organisatoren und
beteiligten Gruppen im Rahmen der in diesen Demonstrationstermin gesetzten
Erwartungen lagen, zumal zum Schluss der Demovorbereitungen auch noch die
Ortsverwaltung der IGM Berlin-Brandenburg mit einem Aufruf  an die Vertrauensleute in den Betrieben und
einem Redebeitrag auf der Auftaktkundgebung die Demonstration –  im Gegensatz zum DGB – unterstützte. Die
regionalen Gliederungen von Ver.di Berlin-Brandenburg hatten ebenfalls – im
Gegensatz zu ihrer Bundesorganisation – die Demonstrationsvorbereitungen von
Anfang an unterstützt und stellten einem Redner.

 

ALLES
IM RAHMEN DER ERWARTUNGEN?

 

Dass
die Zahl der DemonstrationsteilnehmerInnen nicht unter die avisierten 20 -25000
fiel und der Aufruf der regionalen Gewerkschaftsgliederungen  zur Teilnahme an der Demo sind letztendlich
die herauszuhebenden Punkte aus Berliner Sicht auf einen über dreieinhalb
Monate währenden Diskussionsprozess zwischen den beteiligten Gruppen, Parteien
und Verbänden. Er lässt hinsichtlich des erklärten Ziels der
Bündnisprotagonisten – sowohl auf Bundes- als auch auf regionaler Ebene – die
beiden bundesdeutschen Demonstrationen als Auftakt eines Prozesses der
Weiterentwicklung sozialen Protests in der aktuell zugespitzten Krise des
Kapitals anzusehen,  viele Fragen offen.

 

AUFRUFE
(bundesweiter und Berliner Separataufruf)

 

Der
schließlich auch von dem Berliner Bündnis angenommene korrigierte
Riexinger-Entwurf  (Riexinger ist
Ver.di-Bezirksleiter in Stuttgart und Mitglied der Partei die Linke) ist ein
Dokument des Reformismus und setzt auf  die
keynesianische Variante, um mit einem anderen, einem >sozialeren Kapitalismus<
den sich aktuell zeigenden Auswüchsen des Kapitalismus in seiner neoliberalen
Variante zu begegnen; Forderungen nach

 

einer
Millionärssteuer und einer „kräftigen Vermögenssteuer“,

einem
Mindestlohn von 7, 50 Euro/h,

Anhebung
des Regelsatzes von Alg II auf 435,-/ Monat

Festschreibung
einer Rente mit 65

„Wirtschaftssdemokratie“
sowie Demokratie und politisches Streikrecht

 

sind
Eckpunkte des Wahlkampfprogramms der Partei die Linke und eher eine Anbiederung
an die Adresse der Sozialdemokratie für eine zukünftige Koalition.

In
einer zweiten, redigierten Fassung des Bundesaufrufs wurde schließlich ein
Aufruf lanciert, der diese offen reformistischen Forderungen dadurch zu
kaschieren suchte, indem nunmehr viele „Forderungen“ verallgemeinert wurde,
ohne jedoch grundsätzlich die politische Tendenz der Autoren verstecken zu
können.

Ein
solches Vorgehen der Frankfurter und Stuttgarter Arbeiteraristokratie aus den
Ver.di-Bezirksvorständen und der Partei die Linke war selbst einer Mehrheit des
nicht gerade als kapitalismuskritisch zu charakterisierenden Berliner
Bündnisplenum zuwider, so dass sich eine Mehrheit aus diesem Plenum zur
Verfassung eines parallelen Berliner Bündnisaufrufs entschloss, der von seinen
wesentlichen Aussagen her jedoch nicht weniger unproblematisch ist:

 

>
Menschen vor statt Profite

>Linke
Alternativen zur Krise des Kapitalismus

>Öffentliche
Güter für eine solidarische Gesellschaft – Umverteilung des gesellschaftlichen
Reichtums
> Ausbau der öffentlichen Daseinsvorsorge. Finanzierung zu Lasten von
Kapitalgewinnen und Vermögensbesitz,
>Abschaffung der Leih- und Zeitarbeit, bis dahin: Gleichstellung in den
Arbeits- und Entlohnungsbedingungen,

>
Rücknahme der Agenda 2010 und der Hartz-Gesetze, bis dahin sofortiges Anheben
der Regelsätze,

>
Die Privatisierung des Rentensystems gefährdet die Renten und hat zur
Verschärfung der Finanzspekulationen geführt,

>
Demokratisierung der Betriebe durch Ausbau der Rechte der Beschäftigten,

>
Durchsetzung des politischen Streikrechts

 

Letztendlich
zielen alle diese Forderungen darauf, das bestehende kapitalistische System in
einer „sozialeren“ Variante fortzuschreiben, die weder die bestehende
Produktions- und Wirtschaftsverhältnisse in Frage stellen, geschweige denn auf
die Klassengegensätze zurückführt, die auf
den kapitalistischen Besitzverhältnissen beruhen.

Ein
solcher Aufruf  sitzt der Strategie des
Kapitals auf,  die Besitzverhältnisse im
Kapitalismus nicht  zu hinterfragen, nur
sozial soll er eben sein… zurück zu der kurzen neokeynesianischen Phase
Anfang der 1970er Jahre, wobei unreflektiert bleibt, dass gerade die großen
Arbeitskämpfe in der Automobilindustrie zwischen 1973 und 1975 geeignet
sind,  den Mythos von einem
ausgleichenden Kapitalismus zu entlarven.

 

REFORMISTISCHE
DOMINANZ

 

Bereits  auf den bundesweiten Koordinierungstreffen in
Frankfurt in Vorbereitung der Demonstrationen vom 28.03. wurde das
unerträgliche Dominanzstreben der Parteien und Verbände des reformistischen
Spektrums überdeutlich. Dies ging soweit, dass die Linkspartei latent mit ihrem
Ausstieg aus dem Bündnis und der Finanzierung des Mobilisierungsmaterials
drohte, sollte die Riexinger-Version nicht als Grundlage für den bundesweiten
Aufruf durchgehen. – Die Drohung in Form des oben vorgestellten finalen
bundesweiten Korrekturaufrufs zeigte – nach einigen konspirativ anmutenden
Telefonkonferenzen mit handverlesenen Teilnehmern – die beabsichtigte  Wirkung.

In
der Konsequenz etablierten einige Gruppen und Einzelpersonen aus sozialen und
politischen Basiszusammenhängen sowie Schüler und Studenten ein
antikapitalistisches Bündnis. Trotz großer Mobilisierungsfähigkeit mit circa
einem Drittel  der Gesamtteilnehmerzahl
an der Demonstration – den sogenannten Schwarzen Block nicht eingeschlossen –
scheiterte dieser antikapitalistische Bündnisansatz jedoch bei der Frage des
Rederechts auf der Auftakt- beziehungsweise Abschlusskundgebung an der Dominanz
des reformistischen Parteien- und Verbändeklüngels im Gesamtplenum, weil die
Mehrzahl der in diesem Bündnis vertretenen Gruppen dann letztendlich aus falsch
verstandener Zurückhaltung davor zurückschreckten, mehr als den einen
zugestandenen Redner durchzusetzen.

Diese  Zurückhaltung war ein Fehler und setzt
falsche Zeichen sowohl in Richtung des reformistischen Spektrums, als auch vor
allem in Hinsicht auf den Anlass des Internationalen Aktionstages am 28.03.: Es
geht um nichts geringeres, als in einer Zeit der verstärkten Angriffe des
Kapitals auf die Bevölkerungen weltweit, ein deutliches solidarisches Zeichen
gegen den Kapitalismus und seine für viele Menschen existenziellen
Krisenphänomene zu setzen. – Hier der kapitalfreundlichen, reformistischen
Dominanzfraktion in Form ihrer Gysis und Lafontaines aus vorauseilenden
bündnispolitischen Überlegungen, bei vielen jüngeren Menschen vielleicht auch
nur aus politischer Unerfahrenheit, das Feld des sozialen Protests zu
überlassen heißt letztendlich nichts anderes, als auf eine Radikalisierung des
sozialen Protests zu verzichten.

 

           GRENZEN DER BÜNDNISZUSAMMENARBEIT –
SCHERE IM KOPF

 

 Die Bestrebungen von ATTAC, Partei die Linke
und den lokalen Gewerkschaftsaristokratien zur Dominierung der sozialen
Proteste gegen die aktuelle Krise des Kapitals
zeigen deutliche Parallelen zu ihrer Rolle auf dem Höhepunkt der
Monatagsdemonstrationen gegen das Hartz-Gesetzgesetzgebungsverfahren im
August/September 2004 in Berlin. Als den Partei- und Verbandsfunktionären die
Proteste auf der Straße anscheinend aus dem Ruder zu laufen schienen und zwischenzeitlich
eine starke Basisbewegung unabhängig von den reformistischen Parteien eine
wahrnehmbare Gegenströmung darstellten, waren sich die Reformisten nicht zu
schade, unter dem Vorwand einer streitig gemachten Demoanmeldung durch die MLPD
ihre Platzanmeldung für die letzte Kundgebung im September 2004 sogar mit der
Polizei durchzusetzen, die Demo vorzeitig zu beenden und unter dem Vorwand
dieses selbst verursachten Schreckensszenarios fortan die Proteste „von der
Straße ins Parlament zu verlegen“… . Die Bewegung war nicht nur gespalten,
schlimmer noch: von den die Bevölkerung abschreckenden Auseinandersetzungen
hatte sich die damalige Protestbewegung gegen die Hartz-Gesetze nie wieder
erholt.

In
Berlin besteht faktisch sogar eine Personalidentität zwischen den
reformistischen Protagonisten damals wie heute, bis hinunter zum Kassenwart.

 

Damals
wie heute bestand für die außerparlamentarische und systemoppositionelle Linke
eine historisch nicht ungünstige Situation, in eine neue Offensive gegen das
Kapital zu kommen, die auch von einer breiten Stimmung in der Bevölkerung
getragen wurde.

Tatsächlich
behindert das dominante Verhalten des Reformismus in der aktuellen
Auseinandersetzung sowohl eine qualitative und inhaltliche Verbreiterung des
Protests in Hinsicht auf die Aktivierung weiterer aktiver politischer Spektren
jenseits des Reformismus aufgrund der mit diesen gemachten Erfahrungen,  andererseits ist mit weichgespülten
reformistischen Aufrufen keine wesentliche Verbreiterung des Protests in die
Bevölkerung hinein zu bewerkstelligen, da deren Forderungen zum Teil von der
aktuellen etablierten Politik bereits vollzogen wurden, etwa in Bezug auf das
sogenannte >Finanzmarktmodernisierungsgesetz< (Enteignungsoption der
Banken im Fall der Hypo Real Estate). –  Das muss bei der gemeinen Bevölkerung den
Eindruck von der Unabhängigkeit und Handlungsfähigkeit des Staates in der
aktuellen „Finanzkrise“ suggerieren, ohne dass dessen tatsächliche Rolle im
demokratischen Kapitalismus ernsthaft hinterfragt werden braucht.

 

Nach
den zurückliegenden und aktuellen Erfahrungen mit den reformistischen
Fraktionen innerhalb der regionalen Bündnisse kann es keine weitere
unreflektierte Zusammenarbeit  des
außerparlamentarischen Spektrums mit diesen geben.

 

Es
ist aus diesem Grunde notwendig, dass die außerparlamentarische und
antikapitalistische Bewegung sich deutlicher als bisher klar vom politischen
Reformismus abgrenzt und ihr eigenes Profil schärft. Dazu ist es auf Dauer
notwendig, zu neuen Absprachen innerhalb der systemoppositionellen,
kommunistischen und nonkonformistischen Linken, zu einer neuen
Organisationsdiskussion und einer mittel- bis langfristig
strategisch-programmatischen Neuausrichtung des antikapitalistischen und
antiimperialistischen Widerstands zu kommen.

 

                                                     WIR
FORDERN

 

den
DGB und seine Einzelgewerkschaften auf,
ihr Co-Management mit dem Kapital in Betrieben und Gesellschaft zu
beenden, ihr Mandat einer Interessenvertretung der arbeitenden Klasse offensiv
wahrzunehmen, die wirkliche Zusammenarbeit mit anderen Teilen der Klasse zu
suchen und in einem ersten Schritt einen unbefristeten, politischen
Generalstreik auszurufen;

den
DGB und seine Einzelgewerkschaften auf, aktiv den internationalen
Schulterschluss und die Aktionseinheit mit den Organisationen der arbeitenden
Klasse in anderen europäischen Ländern und weltweit zu suchen und somit einen
Beitrag dazu zu leisten, der nationalen Standortlogik eine Logik der
internationalen Solidarität der Arbeiterklasse entgegenzusetzen.

                            WIR FORDERN IN ERSTEN  SCHRITTEN

statt
vorauseilender Verzichtserklärungen der Arbeiteraristokratie auf  Urlaubs- und

      Weihnachtsgeld für die KollegInnen und
Zurückhaltung bei den anstehenden

      Tarifverhandlungen –  kräftige Lohnerhöhungen zum Ausgleich für die


Reallohnverluste der vergangenen Jahre – Die Kollegen und Kolleginnen in
den

      Betrieben haben die Krise des Kapitals
nicht verursacht;

       –
Festschreibung der Wochenarbeitszeit auf 30 Stunden und  Einführung eines

             gesetzlichen Mindeststundenlohns
von 15 Euro/brutto – Keine Entlassung von

             Leiharbeitern, statt dessen:
Umwandlung von Leih- in Festarbeitsverhältnisse;

 

 

Gleiche
Rechte für Frauen – Noch heute verdienen Frauen in der deutschen Wirtschaft

      durchschnittlich 20 % weniger für die
gleiche Arbeit als ihre männlichen Kollegen;

      –
Gleicher Lohn für gleiche Arbeit – die tarifliche Minderbezahlung von
Kollegen und

       Kolleginnen in den fünf neuen
Bundesländern und im  europäischen
Ausland ist zu

              beenden.

 

       –
Transformation der wirtschaftlichen Tätigkeit auf ein gesellschaftlich
notwendiges              

 und
sinnvolles Niveau;

       –
Konversion der wirtschaftlichen Tätigkeit auf eine nachhaltige
ökologische Produktion

sofort
unter besonderer Förderung regenerativer und
reparierender Umwelttechnologien; Keine Wiedereinführung der Kernkraft.

 

Abschaffung
der Hartz-Gesetzgebung in Deutschland und Transformation der Arbeits- Sozial-,
Bildungs- und Gesundheitssysteme auf eine Ebene, die jedem hier lebenden
Menschen

      +
ein Recht auf  sinnvolle
gesellschaftliche Arbeit und Teilhabe an der Gesellschaft 

            beziehungsweise – wenn dies nicht
möglich ist –

      +
ein Recht auf eine repressionsfreie, ausreichende  Daseinsversorgung ermöglicht

      +
ein Recht auf  angemessene
Gesundheits- und Alterversorgung ermöglicht – bereits

             heute unterliegen circa 15 % der
Bevölkerung in Ost- und  Westdeutschland
einem 

             erhöhten Altersarmuts-Risiko,
Tendenz steigend;          

      +
das Recht auf jeden Bildungszugang unabhängig von Herkunft, Geschlecht
und

              Alter ermöglicht;

      +
Ausstattung von Schulen und Hochschulen mit ausreichenden gesellschaftlichen

            Finanzmitteln, um diese unabhängig
von ökonomisch motivierter Forschung und der

            Lieferung von Forschungsergebnissen
an industrielle Sponsoren mit dem Ziel der

            profitorientierten  Patente-Vermarktung zu machen.

 

–     bedingungslose Enteignung und
Vergesellschaftung  der Banken und
Großkonzerne,

       Neustrukturierung unter
gesellschaftlicher Kontrolle.

 

                        Wir zahlen nicht für
eure Krise!

GD