Buchbesprechung: Marx, Das Kapital – Ein Bischof glaubt an den Kapitalismus

Buchbesprechung: Bischof Marx, Das KapitalAuf Täuschung getrimmt ist das neue Buch von Bischof
Reinhard Marx, München, „Das Kapital“. Sieht man es im Buchladen, so meint man
auf den ersten Blick, „Das Kapital“ von Karl Marx in einer neuen Auflage zu
sehen. Blauer Umschlag und Schriftschnitt sind gehalten wie bei den klassischen
Marx-Ausgaben des Dietz-Verlages. Das ist Absicht und Provokation zugleich!

Der Bischof zitiert ausführlich Karl Marx und seine Kritik
am kapitalistischen System. Er gibt ihm an vielen Stellen Recht. Das hört sich
gut an. Er gibt sich selbst als einen „Herz-Jesu-Marxisten“.

So beklagt er „Sozialabbau
und Deregulierung“
(S.17) und dass Gewerkschaften immer häufiger
zähneknirschend „Bündnisse für Arbeit“ schließen müssen, weil sie zunehmend
machtlos geworden seien. Er kritisiert, dass sich „die Gewichte eindeutig zugunsten des Kapitals verschoben“ haben.
(S.17) Er bemängelt, dass das „Wort der
‚Reform’… eher Ängste und Befürchtungen“
(S.19) hervorruft. Er greift an,
dass das „Wohlstandsgefälle zwischen
armen und reichen Ländern“
zunimmt und „die
relative Armut“
ansteigt (S.19)

Bischof Marx meint:

„Ich habe überrascht
festgestellt, dass Sie, Herr Marx, bereits vor 150 Jahren vorhergesagt haben,
uns stehe ‚die Verschlingung aller Völker in das Netz des Weltmarktes und damit
der internationale Charakter der kapitalistischen Regimes’ bevor (MEW 23,
S.790).“
(S.20)

Und weiter meint Bischof Marx:

„Betrachtet man die
heutige weltwirtschaftliche Entwicklung, scheinen sie mit ihrer Auffassung
Recht gehabt zu haben, dass das Kapital stetig nach seiner Vermehrung strebt…“

(S.21)

Der Bischof nennt Zahlen: 1 Milliarde Menschen leben
weltweit in extremer Armut, d.h. sie haben weniger als einen Dollar täglich.
Bei 2 Dollar täglich sind es bereits 2,5 Milliarden Arme. Die Hälfte des
Weltvermögens gehört 2%. 1% der Menschen haben 40% des Weltvermögens in ihren
Händen. Die ärmere Hälfte der Menschheit hat zusammen 1% des Weltvermögens.
(S.22)

Er führt an, dass in den USA das Bruttoinlandsprodukt von
1973-94 um 33% stieg, während die Löhne im gleichen Zeitraum um 19% fielen.
(S.24)

Demagogisch fragt der Bischof:

„Ist es also an der
Zeit, bei Ihnen Abbitte zuleisten?“
(S.25)

Doch er triumphiert:

„Die von Ihnen
propagierte Revolution des Proletariats lässt weiter auf sich warten. Aber der
Kapitalismus steht in unseren Tagen erkennbar unter Rechtfertigungsdruck,
vielleicht so sehr unter Rechtfertigungsdruck wie in den letzten hundert Jahren
nicht mehr.
“ (S.26)

Bischof Marx sieht weiter, dass 73% der Bevölkerung die
wirtschaftlichen Verhältnisse für ungerecht halten. (S.29)

Und wieder fragt er demagogisch:

„Wird der Lauf der
Geschichte Ihnen am Ende also doch Recht geben, Herr Dr. Marx?  Wird der Kapitalismus doch an sich selbst
zugrunde gehen? Ich sage es Ihnen offen: Ich hoffe das nicht.“
(S.29)

Damit ist die Katze aus dem Sack und die ganze Täuschung
wird offensichtlich. Der Bischof beschäftigt sich nicht mit ihm, weil Marx so
aktuell ist, sondern um ihn auch weiterhin mit dem Bannstrahl zu belegen. Viel
Argumente bringt er dafür jedoch nicht. Er sagt selbst: „Er hofft“, dass Marx
nicht Recht behält. Doch vom Hoffen allein bewegt sich die Welt nicht. Die
objektive Realität des Kapitalismus, die der Bischof ja nur zu gut kennt, geht einen
anderen Weg, als seine frommen Wünsche es möchten.

Mit dem Marxismus setzt sich der Herr Bischof Marx nur sehr,
sehr oberflächlich auseinander. Für ihn ist die Sache bereits damit erledigt,
dass „die marxistische Lösung…
gescheitert“
ist. (S.31)

Würde eine solche „Argumentation“ der Realität entsprechen,
dann wäre der Kapitalismus schon lange gescheitert. Denn auch die erste
bürgerlich-demokratische Revolution in Frankreich scheiterte und endete wieder
mit dem Triumph des Feudalismus. Aus dem Scheitern des ersten Versuchs
herzuleiten, dass das ganze unmöglich ist, das sind nur fromme Wünsche eines
Bischofs. Denn auch der Kapitalismus und die bürgerliche Ordnung, die
kapitalistische Wirtschaft, haben sich vom ersten Scheitern zwar aufhalten,
aber nicht verhindern lassen. Die sozialen Widersprüche waren so groß geworden,
dass es einer neuen Gesellschaftsordnung bedurfte. Und diese kam dann doch.
Genauso ist es heute. Die sozialen Widersprüche des Kapitalismus schreien nach
einer Lösung, nach einer neuen Gesellschaftsordnung. Wenn diese im ersten
Anlauf gescheitert ist, so nimmt sie doch den zweiten Anlauf und wird aus dem
Scheitern Lehren ziehen.

Die „Rezepte“ des Bischofs zur Rettung der „sozialen
Marktwirtschaft, wie er den Kapitalismus beschönigend verkleidet, sind recht
einfache Hausmannskost, die jedoch angesichts ihrer Abgestandenheit schon
ziemlich verdorben ist. Er meint:

„Ähnlich der
nationalstaatlichen Rahmenordnung und den noch weiter zu entwickelnden
europäischen Institutionen brauchen wir heute weltweite Regelungen, wir
brauchen eine Globale Soziale Marktwirtschaft.“
(S.302)

Oder:

„Vielleicht ist es
eine besondere Aufgabe von uns Europäern, der Welt zu zeigen, dass eine solche
Ordnung keine bloße Utopie, sondern eine reale Möglichkeit ist.“
(S.301)

Die „europäischen Institutionen“ als Vorbild? Kennt der
Bischof denn nicht die Politik des Kapitals, die über das vereinte Europa
durchgesetzt wurde? Die „europäischen Institutionen“ bedeuten mehr Freiheit für
das Kapital, Privatisierung, Sozialabbau, Billiglohn. Gerade in der geplanten
europäischen Verfassung, die nun nur anders genannt wird, ist die Freiheit des
Marktes oberstes Prinzip. Und wie der Markt „sozial“ werden soll? Da kann
wirklich nur Glauben und Hoffen helfen. Markt bedeutet ja ausdrücklich,
Konkurrenz und Sieg des starken Kapitals über das schwächere. Markt bedeutet
Ausbeutung und Profit. Langfristig bedeutet das, dass sich die
rücksichtslosesten Kräfte durchsetzen. Der Markt zwingt dazu. Doch der Bischof
gibt sich gar nicht mit Beweisen oder Erklärungen ab. Er hofft und glaubt. Und
immer wieder appelliert er an die Nächstenliebe und die christlichen Werte.

Doch hinter dem Wortgeklingel verbirgt sich eine klar
Zielsetzung, die der Bischof am Ende offenbart:

„Wir stehen vor einer
wirklich epochalen Aufgabe, die besonders Europa herausfordert. Wenn wir ihr
nicht gerecht werden, dann wird uns, davon bin ich zutiefst überzeugt, Karl
Marx als Wiedergänger der Geschichte begegnen. Aber das soll er um des Menschen
willen nicht. Er soll in Frieden ruhen.“
(S.303)

Nun, lieber Herr Bischof, wie heißt es doch schon im
Kommunistischen Manifest: „Ein Gespenst geht um in Europa…“

Und man muss dem Bischof Marx Recht geben: Der Marxismus
steht wieder auf! Dass der Bischof davor so große Angst hat, dass er sein Buch
als Fälschung des großen Werkes von Marx, Das Kapital, präsentiert und sich
gezwungen sieht, sich auf 300 Seiten, wenn auch oberflächlich, mit dem
Marxismus herumzuschlagen, ist ebenfalls ein Beweis dafür. Mit seinen frommen
Wünsche, dem Glauben und Hoffen, wird der Bischof  auch bei noch so viel Täuschung und
Verkleidung die Wissenschaft des Marxismus nicht beseitigen können. Die
kapitalistische Realität beweist täglich ihre Richtigkeit.

 

Reinhard Marx, Das Kapital, Pattloch-Verlag,  Oktober 2008, 304 Seiten, ISBN 3629021557,
19,95 Euro

dm