Milchbauern weiter auf dem Vormarsch

Zehn Tage hatte der Lieferboykott der Milchbauern gedauert.
Romuald Schaber, Vorsitzender des Bundesverbandes Deutscher Milchviehhalter
(BDM) rief die Tausende Bauern auf der Kundgebung vor dem Brandenburger Tor in
Berlin dazu auf, „ab heute Abend wieder Milch zu liefern“. Damit war der
Boykott am Donnerstag, den 5.06.2008 beendet.

Die Milchbauern waren erleichtert. „Zehn Tage haben wir die
Milch weggeschüttet.“ äußerste sich laut Süddeutsche Zeitung ein Landwirt. „Sie
wegzuschütten, hat jedes Mal wehgetan.“

Bis zu diesem Zeitpunkt waren in Bayern lediglich zwei
Milchwerke auf die Forderung der Bauern nach einem höheren Milchpreis
eingegangen – gefordert wurden 43 Cent pro Liter. Es waren dies die Andechser
Molkerei “Scheitz“, die vor allem Biomilch verarbeitet  und die weiterhin 50 Cent pro Liter bezahlt
und die Milchwerke „Berchtesgadener Land“, die 43 Cent pro Liter bezahlen
wollen.

Lidl und Aldi-Süd, die großen Discounterketten, hatten
Verhandlungsbereitschaft erklärt, also nichts Festes, keine wesentlichen
vertraglichen Regelungen vor dem Abbruch des Boykotts.

Trotzdem war es natürlich richtig, den Boykott zu dem
Zeitpunkt zu beenden, einen geordneten Rückzug bei eingetretener
Streikmüdigkeit anzutreten. Hinzu kam, dass die Fußball-EM kurz bevorstand und
alles Bemühen in den Hintergrund getreten wäre.

Die Bauern wurden hingehalten. Verhandlungen über
Verhandlungen mit dem „Milchgipfel“ als vorläufigem Abschluss. Die Händler,
Aldi, Lidl, Edeka und Co. Spielten mit den Milchkonzernen, der Industrie, das
„Schwarze-Peter“-Spiel. Letztere behaupteten, die Discounter wollten nicht mehr
bezahlen, diese wiederum, Müller-Milch, Nordmilch, die Käsefabriken etc. sollten
ihre Zulieferer, die Bauern, ordentlich bezahlen.

Beim „Milchgipfel“ unter der Leitung des
Bundeslandwirtschaftsministers Seehofer wurden Absichtserklärungen abgegeben,
Maßnahmen zu ergreifen, um die Milchmenge etwas zu reduzieren – nämlich
Aufhebung der so genannten Saldierung – und um den „Umrechnungsfaktor“ zu verändern.
Die abgegebene Milchmenge wird nämlich in Litern berechnet, während der Preis
sich auf Kilogramm bezieht. Dabei werden die Bauern beschissen. Dies soll
aufhören.

Die Bauern wurden desillusioniert, auch in ihren Erwartungen
in und Hoffnungen auf Seehofer.

Wer jetzt denkt, die Bauern seien geschlagen und ließen den
Kopf hängen, der irrt sich gewaltig. Der Boykott, der jahrelang vorbereitet
worden ist, war noch vor einigen Monaten von der Masse der Bauern als praktisch
undurchführbar angesehen worden. „3 Bauern bringst Du nicht unter einen Hut,
wenn Du nicht zwei davon totschlägst“, so lautet eine der sprichwörtlichen
Bauernweisheiten. Durch den dramatischen Preisverfall, der von Lidl durch
Senkung des Butterpreises um ca. 17% eingeläutet und von Aldi sofort kopiert
wurde und die entsprechende Auswirkung auf den Milchpreis kamen die Bauern in
eine Existenzkrise. Die Erlöse beim Milchverkauf konnten nicht mehr die
Betriebsausgaben decken.

Das war der Grund, warum der durch den BDM vorbereitete
Streik zustande kam. Es war ein historisches Ereignis. So etwas war in der
Geschichte bislang in dieser flächendeckenden Form noch nie geschehen. Die
Beteiligung lag in ganz Deutschland über allen  Erwartungen. In den Nachbarländern Österreich,
Schweiz, Holland, Belgien kam es zu Solidarisierungsaktionen. Im Allgäu und in
Oberbayern beteiligten sich ca. 80% der Bauern am Boykott.

Die Bauern wurden in diesen Wochen ungemein politisiert. Bei
den Blockaden der Milchwerke kamen sie in Konfrontation mit dem Staatsapparat,
Polizei und Justiz, lernten die Stimmungsmache von Teilen der Presse kennen,
die Heuchelei der Politiker, die Sympathie der Mitbürger und vor allem die
Tatenlosigkeit und Streikbrecherei der Führung des Deutschen Bauernverbandes
(DBV) mit Sonnleitner an der Spitze.

Im Vorfeld des Boykotts war bereits Kontakt mit der
Gewerkschaft der Lokomotivführer (GDL) aufgenommen worden. Der damalige
Vorsitzende Schell hielt auf einer Großveranstaltung der Bauern ein Referat zum
Thema: „Starke Verbände schaffen eine Perspektive.“ Die Führer des BDM suchen
Verbündete und finden sie zwangsläufig in Organisationen, die kämpferisch die
legitimen Interessen ihrer Mitglieder, z.B. bezüglich ihres Lohnes, vertreten.

Es wird auch weitsichtig Umschau gehalten. Auf einem
baden-württembergischen Milchbauerntag wird dann schon mal Chavez genannt, der
davon gesprochen hat, dass man eventuell die Milchkonzerne enteignen muss. Und
es wird von „Systemwechsel“ gesprochen. Hier meint man, dass in das
Machtgeschehen massiv eingegriffen werden müsse, dass dies die ganze
Gesellschaft betreffe. Man fordert ein gentechnikfreies Europa. Man brauche
keine Subventionen, wenn der Milchpreis stimme.

Damit dieser stimmt, muss die Milch verknappt werden. Dazu
muss die Milchquote erhalten bleiben. Das heißt, dass jeder Bauer nur eine
bestimmte Menge, ein Kontingent, abliefern darf. Die EU, Sonnleitner, die
Großbauern und die entscheidenden Politiker sind jedoch für eine Abschaffung
der Quote bis 2015. Als der Erzeugerpreis der Milch in diesem Frühjahr sensationell
hoch bei 40 Cent pro Liter lag, wurde die Quote gleich EU-weit um 2% erhöht.
Dies führte unter Anderem auch zum Absturz des Erzeugerpreises.

Milch ist Macht. Die Kompetenz in Sachen Milch hat der BDM.
Der Bayerische und der Deutsche Bauernverband haben sich nicht am Streik
beteiligt. Also muss der BDM gestärkt werden. Auf dem Milchbauerntag wurde die
Aktionslosung ausgegeben, dass die Organisation von 35.000 auf 50.000
Mitglieder aufgestockt wird.

Die Bauern liefen, insbesondere nach der Rede Sonnleitners
auf dem Deutschen Bauerntag in Berlin, die er anlässlich der Grünen Woche in
Anwesenheit von Kanzlerin Merkel hielt, in Scharen zum BDM über. Im
Unterallgäu, dem rinderreichsten Gebiet ganz Europas, zogen über 80 Bauern mit
Traktoren vor das Büro des Bayerischen Bauernverbands und gaben pressewirksam
ihre Mitgliedsausweise ab.

„Der Milchboykott ist erst der Auftakt eines lang währenden
Kampfs um den Rohstoff Milch“, so ein BDM-Führer. Das Ziel ist, eine Art OPEC
zu schaffen, um die Preise durch eventuelle Verknappung hoch zu halten. Dazu
soll die Macht in den Genossenschaften, über die 70% der Milch verarbeitet
werden, von den „Genossen“ Bauern übernommen werden. Die Manager, die den
Streik unterliefen, indem sie durch melkende Bauern angelieferte Milch heimlich
an die großen Milchfabriken verkauften, sollen, wenn sie nicht spuren, abgelöst
werden.

Das Kampfmittel Streik ist für den Bauern, der für seien
Schufterei hundsmiserabel bezahlt wird, andrerseits aber Unternehmer und auf
den Verkauf der Milch angewiesen ist, eine zweischneidige Waffe, mit der er
sich selbst verletzt. Er hat sie in der Praxis kennen und schätzen gelernt. Er
wird sie wieder einsetzen, wenn es darauf ankommt, vielleicht auch im Rahmen
anderweitiger Streiks, z.B. von Lokomotivführern, Piloten, Truck-Fahrern,
Fabrikarbeitern, Krankenhauspersonal. Man braucht dann auch die Milch nicht
mehr wegschütten, sondern gibt sie und die Butter den streikenden Kollegen.

Träumereien?? Träumen ist doch einem Marxisten, einem
revolutionären Kommunisten auch erlaubt? Oder?!

 

eni