Milchkrieg

Am Montag, den 2. 6. war eine Großveranstaltung der
Milchbauern in Kirchdorf, Landkreis Unterallgäu, bei Türkheim und Bad
Wörishofen, angesetzt worden. Zufällig fand sie auf dem Höhepunkt des
Milchstreiks statt, der am 26. 5. anlässlich einer Großdemonstration in  Freising, Firmensitz von Müller-Milch, durch
Romuald Schaber vor etwa 10.000 Landwirten ausgerufen worden war.

An diesem Montag, dem 2. 6., hatte sich der Kampf drastisch
verschärft, indem die Bauern Milchfabriken wie z.B. im Unterallgäu die Fa.
Ehrmann in Oberschönegg und die Fa. Karwendel (Exquisa) in Buchloe meist mit
großen Traktoren blockierten. Buchloe ist nur 10 km vom Festzelt in Kirchdorf,
wo die Großveranstaltung stattfand, entfernt.

Wir waren zu dritt und verteilten unsere Zeitung „Arbeit
Zukunft“ an die kleinen Gruppen von Bauern, die von den Parkplätzen kamen. Wir
wurden freundlich aufgenommen. „Was verteilt Ihr?“. „Arbeiterzeitung !“
Gelegentlich: „Von welcher Organisation seid Ihr?“ „Klassische Kommunisten“,
oder „Organisation für den Aufbau einer kommunistischen Arbeiterpartei“, oder
„Marxisten“. Selten wurde eine Zeitung zurückgegeben. Öfters gab es einen
Kommentar, der aber meist im Weitergehen ohne größeren Affekt, abgegeben wurde.
Es war uns klar, dass wir nicht mit offenen Armen begrüßt würden. Die Haltung
uns gegenüber war eher neutral, eher skeptisch.

Im Zelt waren vielleicht 1.500 Bauern und Bäuerinnen, wenige
Konsumenten. Begrüßt wurden der Landrat Weirather und der Bürgermeister von Bad
Wörishofen, Holletschek. Der Beifall war zurückhaltend höflich.

Die Veranstaltung begann chaotisch. Es tat sich die erste
halbe Stunde nicht viel. Es wurde lediglich gesagt, dass Romuald Schaber,
Vorsitzender des BDM (Bund deutscher Milchviehhalter), durch die Verhandlungen
in Köln verhindert sei.

Dann trat eine jüngere Bäuerin ans Mikrofon und gab bekannt,
dass die Polizei in Buchloe beabsichtige, die Blockade der Bauern aufzubrechen.
Sie forderte die Bauern, die aus der näheren Umgebung waren, auf, nach Hause zu
gehen, ihre Traktoren zu holen, um die Kollegen vor Exquisa tatkräftig zu
unterstützen. Auch PKW-Fahrer sollten sich auf den Weg machen. Zuerst folgten
einzelne dem Aufruf, dann eine ganze Kolonne von vielleicht 70, hauptsächlich
jüngeren und wie die Bauern nun einmal sind, kräftigen Männern: tosender
Beifall. Viele standen dabei auf. Der Funken hatte wohl bei den etwas
kampfmüden Leuten – viele waren schon bei den Aktionen vor Ehrmann, Karwendel
und anderen dabei – gezündet.

Von Bierzeltstimmung war da nichts, aber auch gar nichts zu
spüren, obwohl der Dirigent der örtlichen Blasmusik alles tat, um die Stimmung
des Wochenendes – es war Bezirksmusikfest – wieder aufleben zu lassen. So
forderte er zu Beginn auf: „Die Krüge hoch“ und später, nach Auszug der
Hilfsmannschaft, intonierte er: „Ein Prosit, ein Prosit der Gemütlichkeit“.
Natürlich ohne erkennbare Reaktion der Bauern, die untereinander diskutierten,
was am Stimmengewirr zu erkennen war.

Dann endlich sprachen die offensichtlich mit Verspätung
eingetroffenen Referenten: ein Landwirt aus der Kölner Gegend und Joseph
Taffertshofer, Bürgermeister von Wildsteig, einer oberbayerischen Gemeinde mit
1.240 Einwohnern und 12 Gemeinderäten, alle 12 Bauern.

Hervorgehoben wurde die europaweite Solidarität. Der
Milchlieferboykott war nach Österreich und in die Niederlande übergesprungen.
Die Kernforderung lautet: 43 Cent pro Liter Milch. Der Preis war auf 27-35 Cent
gefallen, nachdem Lidl, Aldi und Müller-Milch durch die abgeschlossenen
Verträge Preisbrecher gespielt hatten. Um eine Maß (= 1l) Bier zu kaufen,
muss der Bauer 15 l Milch verkaufen. Milch, so die Bauern, sei das
wichtigste Lebensmittel. „Milch ist Macht“. Die Bauern wollen eine Art OPEC im
Marktsektor Milch anstreben. Wer die Menge kontrolliert, hat die Macht. Kritisiert
wurden die Genossenschaften, die an die großen Milchwerke geliefert hatten. Das
muss anders werden. Die Bauern sind momentan nur Mitglieder der
Genossenschaften ohne Einfluss. Die Geschäftsführer handeln nur nach
Marktinteressen und unterlaufen den Lieferboykott.

Immer wieder wurde auf das Wichtigste im Streik hingewiesen:
die Solidarität. Es hieß: „Erstmals kämpfen wir miteinender, früher kämpften
wir gegeneinander. Wir wurden gespalten: konventionell Produzierende gegen
Biobauern, ost- gegen westdeutsche Bauern, große gegen kleine usw. Damit ist
Schluss.“ Sehr positiv sei die Rede des ehemaligen GDL-Vorsitzenden Schell, der
auf Einladung des BDM in der Nähe von Bad Tölz sprach, aufgenommen worden. Die
Solidarität sei dabei übergesprungen.

Die Bauern zeigten auch keine Angst vor Milchtransporten aus
dem Ausland. Ein Milchfahrer aus Italien habe auf seinen staubigen Transporter
die Zahl „60“ geschrieben, nach dem gefragt worden war, was die Großmolkerei
Ehrmann pro Liter bezahlt habe. Also wollte man den Streik mit weit überzogenen
Kampfpreisen unterlaufen. Das rechnet sich auf Dauer nicht. Solidarität auch
vom Verbraucher, so sei die momentane Stimmung.

Der Handel will abhängige Produzenten. Deswegen muss der
Druck auf die Molkereiwirtschaft erhöht werden. Der Streik wird verstärkt. Die
Fa. Ehrmann habe eben, nachdem sie von mehreren hundert Blockierern total
abgeriegelt worden war, bekundet, dass sie die Kernforderung von 43 Cent
mittrage. Weiter wurde betont, dass die Bauern das Volk ernähren, dass sie,
wenn sie Geld haben, zu Hause und nicht im Ausland investieren, dass die
Bäuerinnen viele Kinder haben und damit viel für die Zukunft der Gesellschaft
tun. Auch wurde eine ordentliche Krankenversicherung eingefordert. Mit
nochmaligem Appell, weiterzukämpfen, wurde der auch für uns politisch äußerst
lehrreiche Abend beendet.

Wir fordern alle Leser unserer Zeitung auf, soweit möglich,
Kontakte mit den Bauern herzustellen und praktische Solidarität zu üben, am
Besten durch Kauf regionaler, möglichst biologischer Produkte auf den Märkten
und im Kaufladen oder direkt beim Bauern auf dem Hof.

eni