Begeisternde Streikaktion im Einzelhandel Stuttgart

Ver.di – Tarifrunde Einzelhandel:

Am 2. Februar trauten tausende von Passant/innen in der
Stuttgarter Innenstadt ihren Augen nicht: Über 1000 Menschen bildeten entlang
der gesamten 1,3 km langen Königstraße vom Bahnhof bis zu dem Streikbetrieb
„Zara“, fast auf ganzer Länge der Fußgängerzone, eine Menschenkette. Sie waren
durch rote und weiße Bänder miteinander verbunden – Begeisternd viele
Streikende Gewerkschaftler/innen aus dem Einzelhandel, viele davon sehr jung,
gestalteten so den Auftakt weiterer Streiks im Einzelhandel. Unterstützt wurden
sie von Kolleg/innen aus dem Öffentlichen Dienst, aus der IG Metall, von jungen
Aktivist/innen aus den sozialen- und antifaschistischen Bewegungen und vielen
anderen.
Die anschließende Kundgebung auf dem Schlossplatz war
geprägt von der neuen Streikkultur der vorwiegend jungen Belegschaften der
Einzelhandelsbetriebe: kreativ, fetzig, kämpferisch, phantasievoll,
lebenslustig, voll Schwung und Elan – mit selbst gedichteten Streikliedern,
Sprechchören, umgedichteten Songs Im Mittelpunkt stand der Protest gegen die
Drohung des Einzelhandelskapitals, alle Zuschläge zu streichen.
ver.di-Geschäftsführer Bernd Riexinger bekräftigte in seiner
kämpferischen Rede, dass der Arbeitskampf so lange fortgesetzt wird, „bis eine
anständige Tariferhöhung durchgesetzt und die Zuschläge für die Spät- und
Nachtarbeit gesichert sind“. Ab Mitte Februar will ver.di die
Arbeitskampfmaßnahmen im ganzen Land und bundesweit deutlich verschärfen.
ver.di-Verhandlungsführer für den Einzelhandel, Werner Wild,
auf dem Schlossplatz: „Nach 10 Monaten Tarifrunde wird es allerhöchste Zeit,
dass die Hardliner im Arbeitgeberlager begreifen, dass sie mit ihrer
Blockadehaltung nicht durchkommen und mit vernünftigen Angeboten an den
Verhandlungstisch zurückkehren“.
Die Einzelhandelsstreiks hätten bereits „deutliche Bewegung
auf der Arbeitgeberseite“ bewirkt. Die „Betonköpfe bei Metro und Karstadt“, so
Wild, seien verantwortlich, dass es in der Branche keine Ruhe gibt. „Die
Zuschläge für die sozial ungünstigen Arbeitszeiten am Abend und in der Nacht
müssen bleiben und eine ordentliche Erhöhung der Gehälter und Löhne auch für
die Beschäftigten des Einzelhandels muss her!“ – so Wild, dann könne der
Tarifkonflikt schnell beendet werden.

Unverschämte Haltung der Arbeitgeber!

Die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) fordert
für die rund 220.000 Beschäftigten der Branche in Baden-Württemberg
Tariferhöhungen um 5,5 %, mindestens 100 €, sowie ein tarifliches
Mindesteinkommen von 1.500 €. Die Arbeitgeber verweigern dagegen bisher
dauerhafte Tariferhöhungen und legten ihrerseits provokativ umfangreiche
Forderungen zur Verschlechterung des von ihnen zum 31.12.2006 gekündigten
Manteltarifvertrages vor. Empörend dabei insbesondere die Forderung nach Streichung
der tariflichen Zuschläge für Spät- und Nachtarbeit sowie um eine weitgehende
Flexibilisierung der Arbeitszeiten.
Ein neuer Verhandlungstermin ist immer noch nicht
vereinbart.

Kämpfertisch ging es weiter!

Aktionsteilnehmer berichten vom Fortgang der Ereignisse: „Gemeinsam
zogen wir zum bestreikten Kaufhof – dort gab es dann 2 Aktionen: eine vor dem Haupteingang
des Kaufhofs, um die Kund/innen über die Streikziele zu informieren und sie
aufzufordern, sich solidarisch zu zeigen. Es war laut und bunt wie die
Kundgebung zuvor auf dem Schlossplatz. Die Aktion zeigte einen mitreißenden
Kampfgeist und breite Beteiligung der Streikenden. Es wurde gesungen, in einer
langen Kette getanzt und immer wieder neue, überraschende Parolen vorgetragen.
Ohrenbetäubend war manchmal die Lautstärke. Karneval mischte sich mit Wut, wenn
hunderte Aktionsteilnehmer dem nervös im Eingangsbereich stehenden Geschäftführer
entgegensangen:

Ihr könnt das
bezahlen, Ihr habt soviel Geld! Ihr habt soviel Pinkepinke, und wir woll´n mehr
Geld!

Auch bei vielen Streiksympathisanten war die Empörung groß!
Spontan fanden deshalb im Kaufhof selbst mehrere Flash Mob-Aktionen durch
geschätzte 100 Menschen statt. Die Schuhabteilung war danach nur noch Chaos,
kaum begehbar, und es wird sicher noch lange dauern, bis alle passenden
Schuhmodelle und Schuhgrößen wieder richtig sortiert sind. Verkäufer/innen
wurden von „Flashmobbern“ voll beschäftigt, so dass „echte“ Kund/innen keine
Chance hatten. An den Kassen gab es meterlange Schlangen – die Geldscheine
waren groß, die Gespräche lang, die Sucherei nach dem Geldbeutel dauerte, die
Umtauschrate war extrem hoch – schließlich wollten wir dann doch keine
„Weltmeisterhüte“ mit nach Hause nehmen. In der Mantelabteilung waren die
Lederjacken (so ab 300 Euro aufwärts) die Begehrtesten, alle wollten sie
anprobieren – und nicht nur eine. Ein Dutzend mussten es schon mindestens sein.
Die Sicherheitsüberwachung piepte unüberhörbar und ausdauernd durch die gesamte
Abteilung. Die Umkleidekabinen in der Hemdenabteilung waren auch blockiert,
schließlich mussten die sauber mit Nadeln zusammengesteckten Hemden sorgsam
entnadelt und auseinandergefaltet werden und in den Kabinen kunstvoll
angeordnet werden. Das dauert und die Schlangen wurden auch dort immer länger.
Das Personal wurde in diesen Abteilungen zusammengezogen, so
dass in den anderen Abteilungen jede/r sich frei entfalten und seiner Kreativität
freien Lauf lassen konnte.
Der krönende Abschluss war dann ein gemeinsam verabredeter
Abgang über die Rolltreppen – begleitet von einem gellenden Trillerpfeifenkonzert.
Der Kaufhof dröhnte von oben bis unten. Der Empfang der Flashmobber/innen am Ausgang
durch den Beifall der Streikenden machte deutlich, dass dies eine erfolgreiche
Streikunterstützungsaktion war. Alle waren von der Aktion begeistert, sie hat
viel Spaß gemacht und wird die nächsten Wochen sicher öfter wiederholt werden.
 

Ein solche Aktion war vor zwei, drei Jahren für die
kämpferischen Kolleg/innen im Handel noch ein Traum. Heute schaffen sie es! Es ist
anzunehmen und zu hoffen, dass diese Aktion und hoffentlich noch manche weitere
den Betonköpfen und Provokateuren in den Vorständen der Handelskonzerne so in
den Ohren gellen, dass sie begreifen, was die Stunde geschlagen hat! Die
Kolleg/innen haben deutlich gemacht: Wir organisieren uns immer breiter, wir lassen
uns nicht länger wie Eure Sklaven behandlen! Wir wünschen den
ver.di-Kolleg/innen vollen Erfolg!
Mehr Berichte und Bilder: https://handel-bawue.verdi.de/

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