Bundesrepublik
tritt Menschenrechte mit Füßen
Hildesheim,
10. Februar 2005: Ahmed Siala, geduldeter Flüchtling, regulärer Mitarbeiter
einer Schlachterei, bringt seine Töchter Noura (9)und Amina (10) zur Schule.
Zurück zu Hause gerät er in einen realen Alptraum. Eine Polizeieinheit hat in
seiner Wohnung gerade seine schwangere Frau Gazale Salame(26) festgenommen. Sie
soll abgeschoben werden. Kein Bitten und keine Diskussion helfen. Die Polizei
ist unerbittlich. Die Frau hat das dritte, noch nicht schulpflichtige Mädchen,
Shams, an sich gerissen und will es nicht loslassen. Die Polizei sagt, nur die
Mutter, nicht das Kind solle abgeschoben werden! Der Vater soll nicht
abgeschoben werden, er hat eine Duldung.
Hildesheimer
Kreidekreis! Bleibt das Kind beim Vater, wird es von der Mutter losgerissen,
Bleibt es bei der Mutter, wird es Vater und Geschwistern entrissen. Ein
Polizist entscheidet vor Ort, dass das Mädchen bei der Mutter bleibt. Und das
heißt: Es wird mit abgeschoben! Und so geschieht es tatsächlich! Allein das
ist schon ein schwerer Willkürakt!
Warum
hat keiner der Polizisten die Traute zu sagen: Hier herrschen skandalöse
Umstände, menschenrechtswidrige Anweisungen, hier wird erst einmal niemand
festgenommen und niemand abgeschoben?? Wer wollte wegen einer solchen
Entscheidung gegen ihn vorgehen?
Obwohl
Gazale keinerlei persönliche oder verwandtschaftliche Beziehung in die Türkei
hat, lassen Innenminister Schünemann (CDU) und seine Ausländerbürokratie sie in
Istanbul aus dem Flugzeug vor die Füße der türkischen Polizei werfen, die sie
nach einem Tag auf die Straße setzt. Es gelingt den Helfern/innen der„Initiative
Menschen – Solidarität und Bleiberecht Hildesheim“, von Hildesheim aus
Kontakt zu einer Familie herzustellen, die ebenfalls in die Türkei abgeschoben
wurde und nun in Izmir lebt. Hier kommt Gazale Salame vorerst unter, unter
unsäglichen Bedingungen für alle Beteiligten. Immerhin kann von Hildesheim
Kontakt gehalten und eine gewisse Unterstützung organisiert werden. Nach einigen
Monaten wird in Izmir Sohn Ghazi geboren, sein Vater hat ihn bis heute nicht
gesehen. Er kann seine Frau nicht besuchen. Verlässt er Deutschland, verlöre er
seine Duldung und käme nicht wieder ins Land. Und er würde Arbeit und Einkommen
verlieren, von dem die Familie lebt. Allen Familienmitgliedern droht nach
alledem das Schicksal, unter dem Leid zusammenzubrechen
Ein
Alptraum seit drei Jahren!
Was
sind die Hintergründe? Schon 1986 kam Gazale Salame mit ihren Eltern nach
Deutschland, wächst hier auf, geht zur Schule, gründet eine Familie und zieht
Kinder groß. Sie lebt hier, ist integriert, sie ist eigentlich Bürgerin des
Landes. Aber nach dem deutschen Bürokratenwahnsinn hat Gazale einen Fehler
gemacht: Sie hat die Behörden über ihre wahre Herkunft getäuscht. Wann? Bei der
Einreise natürlich. So etwas wird dann in der Öffentlichkeit breitgetreten,
damit der Spießer denkt: Ja, so ein hinterlistiges Luder, geschieht der recht!
Wer nachrechnet, merkt: Gazale war erst 5 Jahre alt bei der Einreise: Sie kam mit
ihren Eltern aus dem Libanon, wo diese vor dem dort tobenden Bürgerkrieg
flohen. Was hat Gazale dann verbrochen? Nichts! Nur kamen ihre Eltern aus einer
türkischen Stadt hierher, wo sie sich nach der direkten Flucht kurz aufgehalten
hatten.
Und
das hat komplizierte Folgen: Sie entstammen einem arabischen Stamm, der erst
vor ca. 80 Jahren aus der Türkei, wo er während des osmanischen Reich ansässig
war, wieder in die arabische Heimat Libanon ausgewiesen worden war. Aber es
gibt in der Türkei noch Akten über diese Familien. Und nun kamen diese
Libanon-Flüchtlinge, mit diesem Hintergrund, ausgerechnet aus der Türkei nach
Deutschland. So etwas findet die deutsche Ausländerbürokratie auf der Suche
nach Gründen, den „Aufenthalt zu verweigern“ heraus, da werden weder Kosten
noch Mühe gescheut! Der zuständige Sachbearbeiter beim Kreis Hildesheim, Jürgen
Kalmbach, reist sogar auf Staatskosten eigens in die Türkei, um das zu
recherchieren und erstellt einen 5-seitigen Reisebericht. Kernaussage: Die
türkischen Personenstandsregister sind dubios! Aber er bezieht sich trotzdem
auf diese: Das sind ja Türken und keine Libanesen!, schließt er messerscharf.
Dass die Eltern fließend arabisch sprachen aber nur minimal türkisch,
interessierte keinen. „Betrüger“ waren überführt!! Wie dem auch sei: Das hatten
doch die Eltern „verbrochen“, aber die waren in den achtziger Jahren weder in
den Libanon noch in die Türkei „abschiebbar“. Auch heute sind sie es nicht, der
Vater ist schwer krank, was hier immerhin zählt.
Dieser
Wahnsinn kam erst auf den Tisch, als es um das Aufenthaltsrecht der inzwischen
herangewachsenen, voll integrierten, verheiraten Tochter ging. „Gazale Salame
lebt hier auf Grund vorgetäuschter Angaben zur Herkunft“! Schweinerei! Raus! Da
sahen die Ausländerbehörden plötzlich keine Möglichkeit, die
Aufenthaltsgenehmigung für sie aufrecht zu erhalten (geschweige denn, ihr und
ihrer Familie ein dauerhaftes Bleiberecht – Sicherheit! – zu gewähren.).
Aberkennen, Abschieben! Das Kind haftet für die Eltern. Ihr wird die angebliche
Täuschung, die die Eltern begangen haben sollen, angelastet!
Hier
werden elementare Rechtsgrundsätze außer Kraft gesetzt. Hier wird auf
Menschenrechten herumgetrampelt. Und das ist der vor allem der Hannoveraner
CDU-FDP-Landesregierung sowie der Kreisbürokratie in Hildesheim anzulasten. Das
niedersächsische Innenministerium und Minister Schünemann (CDU) sind die
„Hardliner“.
Ehemann
Siala gewann am 21. Juni 2006 das Gerichtsverfahren um ein Aufenthaltsrecht der
Familie vor dem Verwaltungsgericht Hannover! Aber es war das niedersächsische
Innenministerium, das die Ausländerbehörde des Kreises anwies und
verpflichtete, dagegen vor dem Oberverwaltungsgericht zu klagen. Und das hob am
27.09.2007 die Entscheidung des Verwaltungsgerichts auf und erklärte die
Verweigerung einer Aufenthaltserlaubnis an Ahmed Siala für rechtmäßig, weil
auch Ahmed türkische Vorfahren habe. Steht jetzt auch der Ehemann unmittelbar
auf der Abschussliste?! Die Anwältin Silke Schäfer hat Revision beim
Bundesverwaltungsgericht eingelegt. Das Verfahren dauert an. Dabei existieren
rechtlich durchaus Ermessensspielräume zu Gunsten der Familie, aber diese
werden nur gegen sie gewendet.
Innenminister
Schünemann, im vollen Wissen um die katastrophalen Folgen, verschärft, spitzt
zu, tritt Menschenrechte mit Füßen, zerreißt und zerstört eine Familie, die
hier einmal Schutz suchte! Schünemann lässt Menschen „rausschmeißen“ in ein
Land, mit dem sie nichts zu tun haben, dessen Sprache sie nicht können, mit
kleinen Kindern, ohne Einkommen, erpresst den hier verbliebenen Familienteil,
der Deutschland nicht verlassen kann ohne der Gefahr ausgesetzt zu sein, Heim
und Einkommen zu verlieren.
Ja,
ja, wir wissen, Herr Schünemann, sie müssen die Gesetze einhalten! Aber diese
haben Sie selbst, bzw. Ihre Partei, Ihre Parteifreunde, Ihre
Gesinnungsgenossinnen und -genossen in Landtag, Bundestag, Bundesrat selber
gemacht! (Wobei bei der Ausländergesetzgebung die „Verdienste“ der SPD auch
nicht vergessen werden dürfen.) Schünemann bzw. seine Partei haben zusammen mit
anderen Parteien abgestimmt und diese Bestimmungen gegen alle geäußerte Kritik
durchgesetzt, verschärft, verteidigt. Und Schünemann verhindert jede humane
Ausnutzung der Ermessenspielräume zu Gunsten der Familie. Eine Schande für dies
Land, das auch humane Traditionen hat!
Aber
die Reaktion ist noch nicht fertig mit dem Fall. Was sie bis jetzt angerichtet
hat, reicht immer noch nicht. Obwohl jetzt eine Wiedereinreise von Gazale Same
rechtlich möglich wäre, wird die Genehmigung dazu wie eine heiße Kartoffel
zwischen Kreisbürokratie Hildesheim und Innenministerium Hannover hin und her
geschoben, nur um sie immer weiter herauszuschieben. Dabei liegt die
Entscheidungskompetenz beim Kreis. Traut der sich nicht oder will er –
rechtswidrig – nicht? Es wird einem speiübel!
Zum
neuesten Stand siehe: http://www.papiere-fuer-alle.org/node/389
Fazit:
Ein Drama, verursacht von der deutschen Reaktion um die CDU und die abgedrehte
deutsche Staatsbürokratie! Hier werden Menschenrechte mit Füßen getreten, über
welche die Verantwortlichen diese Falls sonst tränenerstickte Sonntagsreden
halten!
Angesichts der tragischen Lage Salames und der Not ihrer Familie
hat sich jetzt der Sprecher der „Initiative Menschen – Solidarität und
Bleiberecht Hildesheim“, Andreas Vasterling, zu einem Hungerstreik
entschlossen. Wir dokumentieren hier seinen offenen Brief an den
niedersächsischen Innenminister Schünemann. Arbeit-Zukunft ruft auf zur
Solidarität mit der Familie und der Aktion.
Solidaritätsadressen an:
Andreas Vasterling
Speicherstraße 7
31134 Hildesheim
05121-17 48 87
Offener
Brief von 2.1. 2008
Sehr
geehrter Herr Schünemann,
die
Initiative, deren Sprecher ich bin, ist ihnen wahrscheinlich bekannt.
„Menschen für Menschen – Solidarität und Bleiberecht
Hildesheim“ gründete sich unmittelbar nach der Abschiebung von Gazale Salame.
Die Abschiebung erfolgte im Februar 2005. Die daraus resultierende Trennung der
Familie dauert nun fast 3 Jahre an.
Wir
unterstützen seither die betroffene Familie nach Kräften. Dies gilt sowohl für
den Ehemann Gazales, Ahmed Siala, und die mit ihm bisher hier verbliebenen
Kinder Noura und Amina, als auch für Gazale selbst und den mit ihr in Izmir
lebenden Kindern Shams und Ghazi.
Der
Hintergrund dieser Tragödie ist allen Protagonisten bestens bekannt.
Am
10. Februar 2005 wurde Gazale zusammen mit der jüngsten Tochter Schamps im
dritten Monat schwanger von der Polizei abgeholt und in die Türkei abgeschoben,
während ihr Mann Ahmed die beiden größeren Mädchen in die Schule brachte.
Gazale ist im Alter von sechs Jahren mit ihren Eltern aus dem Libanon geflohen
und in Deutschland aufgewachsen. Hier hat sie zusammen mit ihrem Mann Ahmed
Siala eine Familie begründet. Die Familie hat vier Kinder. Weil Gazale, die
zusammen mit ihren Eltern und Geschwistern im Jahr 1990 aufgrund des
Bürgerkriegs im Libanon ein Bleiberecht erhielt, zwar aus dem Libanon stammt,
aber als kleines Mädchen in den 80er Jahren zeitweise auch in der Türkei gelebt
hat, entzog der Landkreis Hildesheim ihr nach 17-jährigem Aufenthalt in
Deutschland die Aufenthaltsgenehmigung und schob sie in die Türkei ab. Zwar
gewann ihr Mann am 21. Juni 2006 das Verfahren um ein Aufenthaltsrecht der
Familie vor dem Verwaltungsgericht Hannover, aber das niedersächsische
Innenministerium verpflichtete die Ausländerbehörde des Landkreises, dagegen
vor dem Oberverwaltungsgericht zu klagen. Das OVG hob mit Urteil vom 27.09.2007
die Entscheidung des Verwaltungsgerichts auf und erklärte die Verweigerung
einer Aufenthaltserlaubnis an Ahmed Siala für rechtmäßig, weil Ahmed türkische
Vorfahren habe. Dagegen hat die Anwältin Silke Schäfer nun Revision beim
Bundesverwaltungsgericht eingelegt. Das Verfahren wird also noch weiter
andauern.
Die Frage nach den sich daraus ergebenden Konsequenzen
Herr
Minister, über die juristische Seite dieser Angelegenheit will ich nur so viel
sagen: Wir, also die Unterstützer, sind uns sicher, dass am Ende festgestellt
wird, dass Ahmed Siala hier in Deutschland bleiben darf und demzufolge auch
seine Frau und die beiden, bei ihr lebenden Kinder, nach Deutschland
zurückkehren dürfen.
Nur,
was geschieht bis dahin?
Bisher
hat die Trennung bei allen Mitgliedern der Familie tiefe seelische Spuren
hinterlassen. Es ist kein Stilmittel von mir, wenn ich ihnen sage, dass ich
manchmal in der Nacht wach werde und mich frage, wie es Gazale wohl im Moment
gehen mag. Uns ist es gelungen Kontakt zu ihr zu halten und daher wissen wir,
wie schlecht es ihr geht. Mittlerweile hatten auch Sie Gelegenheit, über
Fernsehberichterstattung, die katastrophalen Folgen dieser Abschiebung
wahrzunehmen.
Es
sollte ihnen auch somit klar sein, dass alles was wir zum gesundheitlichen
Zustand von Gazale Salame verlauten ließen, der Wahrheit entspricht.
An
dieser Stelle will ich so direkt sein, wie man mich immer fürchtet.
Was
werden sie sagen, wenn Gazale sich aus purer Verzweiflung selbst tötet,
vielleicht vorher sogar die Tochter Shams und den Sohn Ghazi, sie wurde von
einer Psychologin des TIHV (türkischer Menschenrechtsverein), als
Suizidgefährdet diagnostiziert.
Dazu
werden sie gar nichts sagen können. Auch das Leid, der hier verbliebenen
Töchter verursacht mir und anderen förmlich Schmerzen. Beide waren 3 Jahre
zuvor aufgeweckte, fröhliche Kinder, die in der Schule überhaupt keine Probleme
hatten. Nunmehr unterliegen sie der Betreuung einer Kinderpsychologin. Auch
Ahmed, den ich für seine Stärke bewundere, kann nicht immer kaschieren, wie
stark er unter Druck steht. Die ganze Situation ist eine Schande für unsere
Gesellschaft. Die Trennung der Familie hätte nie stattfinden dürfen. Warum wurde
nicht abgewartet, wie das Verfahren des Ehemanns ausgeht? Dies wäre ohne
weiteres möglich gewesen. Wenn sich dann am Ende die Vorwürfe gegen Ahmed als
richtig erwiesen hätten, wovon ich, wie ich nochmals betonen möchte, nicht
ausgehe, hätte die Familie gemeinsam abgeschoben werden können. Dies wäre aus
Sicht vieler immer noch eine Tragödie, aber diese seelische Folter für die
Betroffenen, ich kann es nicht anders definieren, wäre vermieden worden.
Eine humanitäre Lösung bietet sich an
Ahmed
Siala arbeitet seit geraumer Zeit in einer Schlachterei in Salzgitter und ist
in der Lage, auch eine sechsköpfige Familie zu ernähren, ohne irgendwelche
staatliche Leistungen in Anspruch nehmen zu müssen. Welcher Schaden würde dem
Land Niedersachsen entstehen, ließe man die Frau und ihre Kinder vorübergehend,
bis zum Beispiel das Bundesverwaltungsgericht eine Entscheidung in dieser Sache
getroffen hat, wieder einreisen? Keiner!
Unsere
Initiative hat eingehend darüber diskutiert. Wir sind bereit auch die
notwendigen Bürgschaften zu leisten. Diese Form stellt eine Lösung dar, die
einer Demokratie würdig wäre, wie sie unser Gesellschaftssystem ja sein will
und sein sollte.
Dies
ist die Bitte, welche ich auch im Namen von „Menschen für Menschen –
Solidarität und Bleiberecht“ an sie herantrage.
Meine ganz persönliche Konsequenz
Wie
Sie vielleicht wissen, ist unsere Initiative von der Landtagsfraktion des
Bündnisses 90/die Grünen für das Engagement im Kontext zu diesem Drama mit dem
GriBS-Preis ausgezeichnet worden. Wissen Sie, für mich ganz persönlich leitet
sich daraus auch eine Verpflichtung ab.
Hier
geht es um das Schicksal von Menschen, um nicht zu sagen, um deren psychische
und physische Integrität.
Seit
der Verhandlung vor dem OVG-Lüneburg lässt mich die Sorge um diese arme Familie
gar nicht mehr los. Niemand weiß, wann die Verhandlung in Leipzig vor dem BVG
stattfinden wird. Wird es wieder ein Jahr dauern, gar länger?
Dies
wäre der Tod für Gazale und würde die Zerstörung dieser Familie bedeuten.
Daher
habe ich mich entschlossen, als einzelner Mensch, die Initiative trägt ihnen
die Bitte vor, welche ich oben formulierte, noch einen Schritt weiter zu gehen.
Ich
persönlich bitte Sie nicht, sondern ich fordere von ihnen, die vorübergehende
Wiedereinreise, in der beschriebenen Form, von Gazale und den Kindern
zuzulassen.
Ab
Heute befinde ich mich Hungerstreik, den ich erst beende, wenn sie sich nicht
weiter gegen einen humanitären Umgang mit der Familie sperren.
Mit
freundlichen und entschlossenen Grüßen,
Andreas
Vasterling