Aktuelle Reportage zum Lokführerstreik: Wir haben schon mächtigere Streiks erlebt.

Gestern, am 11. Oktober, verteilten Freunde und Genossen von
Arbeit-Zukunft das auf unserer Homepage veröffentlichte Solidaritätsflugblatt
zum Streik der in der GDL organisierten Lokführer. Unser Aufruf: „Streikrecht
verteidigen! Solidarität mit den Lokführern!

Gegen 6:30 Uhr in der S-Bahn-Tief-Haltestelle des
Stuttgarter Hauptbahnhofs. Die Anzeigetafel zeigte mehrere, aber keine
durchgängigen Zugausfälle. Es waren nicht allzu viele Fahrgäste da, denn schon
im Vorfeld hatte das DB-Management über die Medien aufgerufen, Alternativen zum
DB Nahverkehr zu suchen: Das eigene Auto, oder nicht an die DB gebundene
Bereiche des ÖPNV. Dies war offensichtlich nicht ohne Wirkung geblieben. Unser
Flugblatt wurde von etlichen Wartenden gern angenommen, auch wenn es zu diesem
Zeitpunkt auch schon einige gab, die eher gereizt reagierten. Wir waren
erstaunt, dass trotzdem recht viele Züge fuhren. Wir befragten die Lokführer
einiger S-Bahnen. Bis auf einen waren alle Beamte, denen das Streikrecht per
Gesetz verweigert wird. Auffällig: Alle erklärten ihre Sympathie mit dem Streik
der GDL-Lokführer und nahmen sogleich unser Flugblatt.

Szenenwechsel: Hauptbahnhof Stuttgart 6:45 Uhr, Fern- und
Regionalverkehr. Der Ausfall mehrerer Regionalzüge, sehr stark auf den
Verbindungen Stuttgart-Heilbronn-Würzburg und Stuttgart-Heidelberg, wurde
angezeigt. Auch Fernzüge wurden als zum Teil stark verspätet angezeigt,
ausdrücklich mit dem Hinweis, dass dies Streikfolgen seien. Wenige genervte
Fahrgäste, viele äußern Verständnis.

Ein Lokführer verlässt seine IC-Lok, schließt ab und schaut
sich um. Unser Genosse fragt ihn warum er nicht am Streik beteiligt sei.
Antwort: „Ich bin Beamter, ich darf nicht streiken. Ich muss fahren. Ich gehe
jetzt zum Steuerwagen am anderen Zug-Ende, ich muss den Zug weiterfahren, wenn
mein Arbeitgeber mich lässt. Neulich, bei den kurzen Warnstreiks am letzten
Donnerstag, standen wir anweisungsgemäß auch bereit, durften aber dann auf
Grund des so genannten Notfahrplans gar nicht fahren, eine halbe Aussperrung!“.
Ein Kollege, der dazu kommt, erwähnt, dass es in einigen Bahnhöfen massive
Drohungen der Vorgesetzten gab, die Kolleg/innen in angebliche „Notdienste“ zu
zwingen versuchten.

Was uns auffiel: Nirgends war Vertreter/innen der GDL zu
erblicken, weder im Bahnhof, noch außerhalb. Am letzten Donnerstag beim
Warnstreik hatten GDL-Funktionäre und streikende Lokführer/innen Hausverbot
erhalten. Aber auch im näheren Umfeld des Bahnhofs konnten wir niemanden
finden.

Nachmittags 16:30 Uhr S-Bahnstation Hauptbahnhof. Jetzt sind
die Zugausfälle deutlicher zu sehen. Der Bahnsteig steht voller wartender
Fahrgäste, wenn auch keinesfalls extreme Zustände herrschen. Unser Flugblatt
findet jetzt noch deutlich stärkeres Interesse, aber auch zum Teil scharfe
Ablehnung! Die Stimmung hat sich polarisiert. Ein Frau beschimpft einen von uns
in fast schon hasserfüllter Weise. „Sie
verteilen hier den ganzen Tag ihre Blätter, ich dagegen muss arbeiten und komme
nur mit Mühe dahin!“
Der Genosse weist sie darauf hin, dass auch er gerade
von der Arbeit komme, wo er den ganzen Tag in einer Schlosserwerkstatt
gearbeitet hätte. Aber sie legt immer stärkere Wut an den Tag: „Ich werde dafür
sorgen, dass immer weniger dass niemand mehr in die Gewerkschaften eintritt und
immer mehr austreten, ein Landplage sind Sie!“ Er weist sie auf das geringe
Lohnniveau der Lokführer hin. Sie sagt nur noch: „Mit Ihnen diskutiere ich nicht!“ Der Wortwechsel weckt die
Aufmerksamkeit der Umstehenden und das Interesse an unserem Flugblatt wächst
spürbar.

Die vor Ort aktiven Bahnmitarbeiter/innen nehmen jetzt unser
Flugblatt sofort, voller Neugier und Interesse. Ihnen ist die Erregung über die
Lage deutlich anzumerken! Was für eine bescheuerte Situation! Sie dürfen nicht
streiken, etliche sind in der Transnet organisiert und outen sich auch so. Bei
ihnen gibt es keine bösen Äußerungen über die Streikenden.

Trotzdem fahren immer wieder auch S-Bahnen. Auffällig laute
Ansagen über Lautsprecher, frei gesprochen weisen auf die Hilfsverbindungen
hin, die das Bahnmanagement in aller Eile zusammengestoppelt hat.

Erneut Szenenwechsel. Wieder Hauptbahnhof, Fernbahn- und
Regioverkehrsbahnsteige. Auch hier hat sich die Stimmung gegenüber dem Morgen
verändert. Heftige Ablehnung einerseits, andererseits solches Interesse, dass
Leute eigens zum Flugblattverteiler kommen. Wir führen Diskussionen. Kein
Lokführer im meist per Beamtenrecht erzwungenen Streikbruch-Einsatz verweigert
sich dem Flugblatt und erst Recht nicht dem Gespräch. Einer, nicht organisiert,
bekennt, wie beschissen er sich im Fahrstand seiner Lok fühlt, nimmt
hochinteressiert das Flugi. Ein anderer Lokführer outet sich als
Transnet-Mitglied und beklagt die gewerkschaftliche Spaltung. Er beklagt, dass
er in den letzten zehn Jahren Bahn-AG ca. 500 Euro Lohn verloren habe!! Bis auf
zwei(!!) Ausnahmen nehmen jetzt alle im Einsatz befindlichen Bahnkolleg/innen
unser Flugblatt, kommen teilweise extra, um es zu holen. Großes Interesse bei
vielen Fahrgästen, aber auch wieder und wieder wütende Ablehnung. Interesse
auch bei denen, die die Speisewagen der ICs und ICEs beliefern, Interesse bei
denen, die an den zahlreichen improvisierten Brezel- und Kaffeeständen die
Fahrgäste bei Launen halten müssen. An vielen Stellen stehen aus den Büros
geholte Bahnangestellte und –beamte, um Fahrgäste zu beraten. Auch sie
interessieren sich für unser Flugi.

Ein Fahrgast empört sich, als ich im Gespräch von dem
Lohnverlust berichte, von dem mir der oben erwähnte Lokführer berichtete: „Die Lokführer haben doch recht, auch wenn
es für Reisende eine Härte bedeutet!“

Mehrere Hundert Flugis sind bald weg. Zum Schluss verteilen
wir gezielt nur noch an Bahnpersonal.

Eines hat sich gegenüber den Morgenstunden nicht geändert:
Ansprechpartner/innen oder Streikposten der GDL sind trotz intensiver Suche
nicht zu entdecken; weder im Bahnhof, noch davor, noch in weiterer Umgebung.
Das SWR-Fernsehen ist da, filmt und interviewt im Hauptbahnhof und steht davor
auf der anderen Straßenseite mit Ü-Wagen und Reporter vor Ort. Ein Genosse fragt
ihn nach der GDL, auch er kann nicht wirklich helfen. Es ist nun fast 18:00
Uhr, der Streik soll noch bis Mitternacht gehen, aber der SWR-Reporter hat nur
gehört, dass die GDL sich angeblich „bei der alten Post“ (einige Straßenzüge
weiter!!!) aufgehalten habe, aber nur bis 16:00 Uhr. „Wollen Sie denen mal ein paar Takte lang die Meinung sagen?“,
fragt der SWR-Mann aufmunternd?“ „Nö“,
sage der Genosse, „Ich will den
Streikenden meine Solidarität erklären, ich verteile hier schon eine ganze Zeit
Soli-Flugblätter. Die würde ich natürlich denen auch ganz gern geben.“
Er
reagiert ganz positiv und nimmt auch ein Flugblatt.

Auch die Recherche bei der alten Post bringt keinen Kontakt
zur GDL!

Zurück im Hauptbahnhof. Beim „Infopoint“ der Bahn reihen
sich die Fahrgäste in langer Schlange, um sich nach ihren Verbindungen zu
erkundigen, über unnütze Fahrscheine zu verhandeln etc. Ein Verteiler gibt den
Kollegen am Schalter das Flugblatt, es wird sofort genommen. Auch die Wartenden
nehmen vielfach das Blatt. Daneben stehen zwei DB-Arbeiter, die Brezeln und
Kaffee anbieten. Auch sie nehmen gern das Flugblatt. Wir fragen sie nach der
GDL. „Nein, da wissen wir auch nichts“,
sagt der eine. „Vielleicht stehen sie ja
draußen.“
Wir sagen, da hätten wir auch schon gesucht, und wollen gehen. „Halt“, ruft uns der eine nach, „da hat jemand nach Euch gesucht! Der hat
gefragt, ob wir die gesehen haben, die Euer Flugblatt verteilen. Die sind von
der Security und sollen Euch
rausschmeißen“
Ein Genosse dankt ihm fröhlich für die Warnung und sagt: „Das sollen die mal probieren, Wenn sie wieder
kommen grüß sie schön und sage ihnen, sie sollen nach einem Typ im grünen
Anorak suchen.“

Ein Wechselbad von Eindrücken, so die nachträgliche
Bewertung des Erlebten.

Die Bahn ist nicht wirklich zum Stehen gekommen, aber es hat
hörbar und – für Bahnchef Harmut Mehdorn und seine Verhandlungsführerin Margret
Suckale – sehr ärgerlich sowie sehr kostenträchtig geknirscht. Die streikenden
Lokführer brauchen sich nicht verstecken, aber sie geben nicht alles, was sie
draufhaben, sind noch viel zu defensiv eingestellt und könnten sicherlich die
ganze Bahn weitgehend lahm legen, weitergehend jedenfalls als am Freitag, dem
12.10.2007. Wir haben schon mächtigere Streikaktionen gesehen. Wenn es zu
weiteren Streiks kommt, dann gibt es noch jede Menge „Offensivpotential“ Nicht
zu Haus sitzen, wie abends der SWR in den Regionalnachrichten berichtete,
sondern selbst wirkungsvoll die Bahnreisenden ansprechen, die Öffentlichkeit
ansprechen und offensiv demonstrieren.

Aber nach wie vor ist zu fragen, ob die GDL-Führung das
alles wirklich will. Erneut sind Verhandlungen für Montag (15.10.07) angesetzt.
Schon am heutigen Samstag heißt es in den Medien, ein Abschluss stünde am
Montag unmittelbar bevor. Was läuft da??

Der DB-Aufsichtrat hat Mehdorn angewiesen, bis dahin ein
neues „Angebot“ zu unterbreiten. Allein aus diesem Grund war es wichtig und
richtig, Freitag in den Streik zu gehen. Immerhin weiß Herr Mehdorn jetzt, dass
mit den Lokführer/innen nicht zu spaßen ist. Schon jetzt lässt GDL-Boss Schell
sich aber so zitieren, dass dann, wenn es einen eigenen Tarifvertrag sowie „noch ein kräftiges Gehaltplus“ geben
würde, man alle anderen Forderungen fallen lassen wolle, was immer das heißen
soll.

Samstag, den 15. 10., wird Transnet-Chef Norbert Hansen im
Deutschlandfunk zu den Ereignissen interviewt und äußert sich – in skandalöser
Weise! – wie ein DB-Vorstandsmitglied. Schell lasse alle Verantwortlichkeit
vermissen. Nur wer die Konkurrenten der Bahn und deren günstigere
Kostensituation im Auge hätte, wer den Ruf der Bahn mit im Auge hätte und die
Bahn-Kunden nicht vergraule, werde seiner Verantwortung gerecht.

Dann fiel ihm scheinbar auf, dass er eigentlich
Gewerkschaftschef ist und musste dann wenigstens noch ein paar danach klingende
Sätze ablassen. Also: Auch Transnet wäre für bessere Entlohnung der Lokführer,
man verhandle doch bereits über die Entgelt-Struktur. Da sei die GDL aber von
Transnet eingeladen, „gestaltend mit
einzugreifen“
. Aber so etwas dauere lange und man könne eben nichts vom
Zaun brechen.

Da ist sie, die Problematik der Eingruppierung der
verschiedenen Berufsbilder. Bei der IG Metall heißt das ERA
(Entgeltrahmenabkommen) ,bei ver.di TVÖD (Tarifvertrag Öffentlicher
Dienst). Immerhin hat Hansen zugegeben, dass es nicht um „31 % Lohnerhöhung“
geht, sondern darum, dass ein Lokführer heute in den Bahntarifverträgen nicht
wie ein hochqualifizierter Facharbeiter oder -techniker mit gewaltiger
Verantwortung für Fahrgäste und gewaltige Warenwerte behandelt und bezahlt wird,
sondern wie ein besserer angelernter Hilfsarbeiter! Und das wollen die Kollegen
und Kolleginnen geändert haben.

Das war auch einem Taxifahrer am Stuttgarter Hauptbahnhof
klar, der uns sagte, es sei Leuteverdummung, wenn in den Medien behauptet
würde, dass die Lokführer einfach 31 % mehr haben wollten. In Wirklichkeit
wollten sie ihre Tätigkeit korrekt anerkannt und dann vergütet haben.

Wenn Herr Hansen, dem beste persönliche Beziehungen zu Herrn
Mehdorn nachgesagt werden, sich sorgt, dass „Bahnkunden“ vergrault würden, dann
sollte er sich mal um die Management-Künste des Bahnvorstandes kümmern, der das
Bahnfahren zu einem Abenteuer aus Verspätungen und gestrichenen Zügen,
fehlenden Loks und Organisationspannen gemacht hat, freilich das alles mit bis
zur Schmerzgrenze ausgedünnten Personal und miserabel gewarteten Wagen und
Loks. Aber alles superkostengünstig! In manchen Bereichen der Bahn hätte seine
Transnet über Gefahrenzulagen für des Zugbegleitungs-Personal zu verhandeln,
denn sie müssen den ganzen Frust der Fahrgäste ertragen, der auf Grund der
„Managementkünste“ der DB entsteht. Nicht die Lokführer vergraulen die Kunden,
nein, das ist bei der Deutschen Bahn Chefsache! Da ist Herr Mehdorn selbst
verantwortlich. Das wäre eine Stellungnahme, die eines Transnet-Chefs würdig
wäre.

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