Die Lage in Ecuador

Aus Anlass der Durchreise eines Genossen der Leitung der
Kommunistischen Marxistisch-Leninistischen Partei Ecuadors (PCMLE) konnten wir
uns über die Lage in seinem Land und ganz allgemein in Lateinamerika
austauschen. Hier Auszüge seiner Erläuterungen.

 

Die unmittelbaren Gründe für den Sturz der Regierung
Gutierrez

 

Bekanntlich ist die augenblickliche Lage in Ecuador das
Ergebnis einer tiefen Krise, die alle Teile der Gesellschaft erfasst hat: eine
wirtschaftliche, politische und institutionelle Krise…

Das Misstrauen der Massen gegenüber der Regierung, der
Justiz und der Polizei war offenkundig. Selbst die katholische Kirche wie die
wichtigsten politischen Parteien, die tief in die Korruption verstrickt waren,
waren von diesem Misstrauen betroffen. In der Armee verschärften sich die
Widersprüche; kurzum, die da oben konnten nicht mehr regieren wie zuvor… und
die unten wollten nicht mehr… In dieser Situation erlebte Ecuador die
Entwicklung einer Volksbewegung, die von Kampfeswillen beseelt nach einer
breiten Einheit strebte, um einen Umschwung herbeizuführen. Ein bedeutender
Teil der Mittelschichten hat sich dieser Bewegung angeschlossen und eine
wichtige Rolle beim Sturz von Gutierrez gespielt.

 

Die Regierung Correa

 

Die gegenwärtige Regierung, die aus den Wahlen vom November
2006 hervorging, ist Ausdruck einer demokratischen, patriotischen,
fortschrittlichen und linken Strömung. Correa wurde von den Arbeitern, Bauern,
dem Halbproletariat und großen Teilen des Kleinbürgertums, besonders der
Intelligenz, gewählt. Im 2. Wahlgang hat er auf sich 56% der Stimmen vereinigt,
was das beste Wahlergebnis in Ecuador seit 30 Jahren darstellt.

Während der ersten Monate seiner Regierung hat er einen
guten Teil seiner Wahlversprechungen eingelöst, was seine Popularität weiter
ansteigen ließ. Insbesondere hat er die Schuldentilgung verringert, die
Vertreter der Weltbank ausgewiesen, den Vertrag über die US-Basis Manta in
Ekuador angegriffen, den „Plan Kolumbien“ verweigert und Uribe
(rechtsgerichteter Präsident Kolumbiens – d.Ü.) angegriffen. Er hat Verträge
mit Chavez und Lula geschlossen, die Löhne erhöht, die Hilfen für arme Familien
und auch das Wohngeld verdoppelt. Er hat auch angekündigt, die Subventionen für
Haushaltsgas beizubehalten und die Preise für Elektrizität zu verringern.

Den gestiegenen Preis des Erdöls, das Ecuador produziert,
nutzend, dienen die staatlichen Mehreinnahmen nicht der Zahlung von Zinsen für
die Staatsschulden, sondern werden an die Bedürftigsten verteilt. Darüber
hinaus zögerte Correa nicht, sich den rechten Kräften zu widersetzen, die vom
Parlament aus, wo sie die Mehrheit haben, die Gegenoffensive führten. Sich auf
die Volksbewegung stützend hat Correa ein Referendum über die Einberufung einer
verfassungsgebenden Versammlung organisiert. Diese Volksabstimmung ergab am 15.
April 80% Ja-Stimmen.

 

Der Kampf um die Wahlen zur verfassungsgebenden Versammlung

 

Das ecuadorianische Volk und seine Organisationen sind also
jetzt mit der Kampagne zur Wahl ihrer Abgeordneten zur verfassungsgebenden
Versammlung beschäftigt. Diese Wahl wird am 30. September dieses Jahres
stattfinden. Die ecuadorianischen Immigranten, viele im Ausland (USA,
Lateinamerika und Europa) können ebenfalls ihre Vertreter in die verfassungsgebenden
Versammlung wählen. Jede Partei, die eine Liste aufstellen will, muss 98 000
Unterschriften von Mitbürgern sammeln. In der Volksbewegung gibt es sicherlich
Illusionen über diese Wahlen und die Veränderung, die sie herbeiführen kann;
die Mehrheit denkt, dass mit der verfassungsgebenden Versammlung alles gelöst
sein wird, dass dasn Land gerettet werden wird!

 

Die Positionen und der Kampf der PCMLE

 

Die ecuadorianische Partei und die Volksorganisationen, die
sie führt, engagieren sich in dieser Kampagne und haben schon die nötige Zahl
Unterschriften gesammelt.

Für unsere Genossen der PCMLE ist die Kampagne für die
verfassungsgebende Versammlung ein Mittel, das es erlaubt, die Vorschläge,
welche die Partei für einen Wechsel im Land macht, breit zu erklären. Das wird
die Gelegenheit sein, ihre Vorschläge denen der Rechten und der
Sozialdemokratie gegenüberzustellen. Das ist ein Kampfgebiet, um die Rechte der
Arbeiter, die demokratischen Rechte und die nationale Souveränität zu
entwickeln.

Die Partei arbeitet im Moment an der Redaktion eines
Verfassungsvorschlags, dessen Hauptelement folgende sein werden:

  • Nationale Souveränität; Verteidigung der
    Reichtümer des Landes, Verbot von Konzessionen; zurück zu einer nationalen
    Währung (1)
  • Neuaufteilung und Regulierung der verschiedenen
    Eigentumsformen: privat, öffentlich, gemischt kollektiv…
  • Demokratie: volle Gültigkeit aller
    demokratischen Rechte für die Arbeiter, allgemeine Wahl des obersten Gerichtshofs.
  • Wahlrecht für Militärangehörige, Wahlrecht mit
    16 Jahren…
  • Verteidigung der öffentlichen Erziehung, des
    Gesundheitswesens und der Sozialversicherung…

Wenn dieser Vorschlag erst einmal ausgearbeitet ist, wird er
in allen sozialen Organisationen diskutiert, ehe er der verfassungsgebenden
Versammlung im Namen dieser Organisationen und der „Volksfront“ (2) vorgestellt
wird.

Der politische Kampf trifft also in Ecuador voll ins
Schwarze bei einem derzeit für das Volkslager günstigen Kräfteverhältnis. Die
Partei rechnet damit, in diesem Kampf einige Sitze in der verfassungsgebenden
Versammlung erringen.

 

Das Erstarken einer linken Strömung in Lateinamerika

 

Die letzten Jahre erlebten wir Veränderungen in mehreren
lateinamerikanischen Ländern: Chavez in Venezuela, Morales in Bolivien, ganz
zuletzt Correa in Ecuador… jede dieser Regierungen haben ihre Besonderheiten,
aber eines haben sie gemeinsam:

  • Sich
    der neoliberalen Politik und insbesondere den Privatisierungen
    entgegenzustellen,
  • den
    Schuldendienst neu verhandeln zu wollen, um günstigere Zahlungsbedingungen
    zu bekommen,
  • gegen
    die aggressive Militärpolitik Bushs zu opponieren,
  • anzustreben,
    dass die Reichtrümer ihrer Länder den Bürgern des Landes zugute kommen.

 

Chavez verkörpert sicherlich die radikalste Strömung, die
sich direkt gegen den US-Imperialismus stellt. Er hat eine breite Unterstützung
bei den Volksmassen seines Landes und darüber hinaus in Lateinamerika. Seine
Popularität übersteigt langsam die von Cuba und seinem „Massimo Leader“.

Morales vertritt die indigene Bevölkerung. Seine Opposition
gegen den US-Imperialismus und die bolivianische Oligarchie ist gedämpfter.

Correa ist ein linker Intellektueller, ein praktizierender
Katholik, der von sich sagt, für den „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ zu
kämpfen, einen ecuadorianischen Sozialismus, der das Privateigentum nicht
unterdrückt, aber ausländische und nationale Investitionen anstoßen will.

 

Wenn die revolutionäre Linke an diesen drei Prozessen
teilnimmt, dann ist sie dort nicht in der Mehrheit, und in Venezuela wie in
Bolivien existiert nicht einmal eine marxistisch-leninistische Partei. In
Ecuador ist die ecuadorianische Bruderpartei eine Kraft, die zählt. Die Partei unterstützt
den stattfindenden Prozess, indem sie gleichzeitig dafür kämpft, die Massen für
ihre Politik zu gewinnen.

 

Das Kräfteverhältnis zwischen dem Imperialismus und den
Völkern hat sich gewandelt!
 

 

Heute können in Lateinamerika nur drei Regierungen als
USA-treu angesehen werden. Es handelt sich um Mexiko, Kolumbien und Peru. Die
Regierungen von Brasilien, Uruguay, Nicaragua, Panama, Argentinien und Chile
haben alle Widersprüche mit dem US-Imperialismus und blicken zunehmend auf
Europa und Asien, ja sogar den Iran. Mit Kuba, Venezuela, Bolivien und jetzt
Ecuador ist die Opposition gegen den US-Imperialismus noch lebhafter. Es
herrscht der Wille dieser Länder, auf mehreren Gebieten zusammenzuarbeiten, um
ihrem Widerstand gegen die Supermacht USA die ökonomischen Mittel zu
verschaffen. Die Gründung der „Banco Sur“, die vor Ende 2007 geschaffen werden
soll, und die Union der Südamerikanischen Nationen (UNASUR) sind Beispiele
dafür. Insbesondere die „Banco Sur“ zielt darauf ab, die Wiederaneignung der
natürlichen Ressourcen durch die Völker des Südens zu unterstützen und sollte
zur Finanzierung der Projekte im Gesundheits- und Erziehungswesen, in der
Infrastruktur, der Industrie usw. beitragen.  

Ganz klar bleibt der nordamerikanische Imperialismus nicht
untätig, und wenn er auch öffentlich den Anschein erweckt, er würde diese
Veränderungen akzeptieren, so arbeitet er doch verdeckt mit der Reaktion und
der Oligarchie dieser Länder zusammen in dem Versuch, den Gang der Dinge zu
ändern. Wenn es jetzt seit 30 Jahren keinen militärischen Staatsstreich mehr in
Lateinamerika gegeben hat, so heißt das nicht, dass sich das nicht ändern kann!

 

Schlussbemerkungen

 

Wenn unsere Partei und die Parteien der Internationalen
Konferenz der marxistisch-leninistischen Parteien und Organisationen diese
Regierungen in ihrem Kampf verteidigen, sich aus der Umklammerung und dem
Diktat durch den US-Imperialismus zu befreien, so sind wir uns bewusst, dass,
wenn sie auch einen Fortschritt, ein Voranschreiten im Kampf der Völker
Lateinamerikas für die Befreiung markieren, ihre Natur es bedingt, dass sie
nicht mit dem Imperialismus brechen wollen; sie wollen nur die Bedingungen der
Abhängigkeit verändern. Das heißt, dass die Marxisten-Leninisten und die
Organisationen des Volkes, die sie beeinflussen, indem sie diesen Prozess
unterstützen, an der Seite der Massen sind und mit ihnen kämpfen, ihre
Alternative erkämpfen müssen: den Sozialismus.

 

Anmerkungen:

1) Im Januar 2000 wurde die nationale Währung, der „Sucre“
durch den Dollar ersetzt. Diese Entscheidung bindet die ecuadorianische
Wirtschaft noch mehr an die der USA.

2) Die „Volksfront“ ist ein Zusammenschluss von politischen
und gesellschaftlichen Kräften, die insbesondere die Volksdemokratische
Bewegung (MPD) umfasst, welche Parlamentsabgeordnete hat.  

Aus La Forge Nr. 475 (Juni 2007), Zeitung der Kommunistischen Arbeiterpartei Frankreichs