Tarifabschluss in der Metall- und Elektro-Industrie: Abschluss wieder ohne die Kolleg/innen!

Am
Morgen des 22. April 2006 wurde nach über 19stündigen Verhandlungen in
der siebten Verhandlungsrunde ein Ergebnis erzielt: Die Drei steht; es gibt
drei Prozent, drei Tarifverträge und 310 € für drei Monate.
Im einzelnen:

Löhne,
Gehälter und Ausbildungsvergütungen
steigen von Juni 2006 bis März 2007 um 3,0 Prozent. Für die
Monate März bis Mai 2006 gibt es eine Einmalzahlung in Höhe von 310 €. Sie kann
betrieblich zwischen 0 und 620 € schwanken. Wenn es im Betrieb keine Einigung
gibt, bleibt es bei 310 €. (Laufzeit: bis 31. März 2007; also insgesamt 13 Monate).

Es
gibt einen Tarifvertrag zur Weiterbildung und Qualifizierung: Zukünftig
beraten Arbeitgeber und Betriebsrat den Qualifizierungsbedarf im Unternehmen.
Mit den Arbeitnehmern ist einmal jährlich der individuelle
Qualifizierungsbedarf zu klären sowie notwendige Bildungsmaßnahmen zu
vereinbaren.

Die
bisherigen „Vermögenswirksamen Leistungen“ (VWL) werden zu „Altersvorsorgewirksamen
Leistungen“ VWL)
. Für eine längere Übergangszeit können die Gelder
noch wie bisher angelegt (und bestehende Verträge selbstverständlich weiterhin
bedient) werden; danach werden die Leistungen (319 € im Jahr) zur
Altersvorsorge eingesetzt.

Die Verhandlungen zum Lohnrahmentarif II (so
genannte „Steinkühlerpause“) sollen noch am 22. April zu einem
Abschluss geführt werden; die Verhandlungen dazu beginnen um 14 Uhr in
Düsseldorf.

So lautete die erste offizielle Stellungnahme der IG Metall
auf ihrer Homepage am 22. April 2006.

Es ist einer dieser bei allen kämpferischen Kolleginnen und
Kollegen in der Gewerkschaftsbewegung verhassten Nacht- und Nebel-Abschlüsse,
die durchaus clever und schlau gestrickt sind, so dass die IG-Metall-Führung
sie in der Organisation durchsetzen kann. Einer dieser Abschlüsse ohne
Urabstimmung, die die Mitglieder hinnehmen müssen, denen aber eben auch viele
zustimmen, weil sie besser aussehen, als man erwartet hat, aber die niemanden
wirklich überzeugen. Die großen Tarifkommissionen werden in der letzten
Aprilwoche zu entscheiden haben, ob sie dieses Spiel mitspielen.

Gefordert waren 5% Prozent Lohnerhöhung. Unsere Zeitung
forderte mit vielen anderen Kräften die volle Durchsetzung dieser Forderung,
war diese doch schon ein innerorganisatorischer Kompromiss mit den
kämpferischen Kräften in der IG Metall, die sehr viel höhere Forderungen (bis
zu 10 %) aufgestellt hatten.

Und diese Forderungen waren durchaus begründet: Die Gewinne
in der Metall- und Elektroindustrie sind massiv gestiegen, der Branche geht es
gut. Die Produktivität wurde auf Kosten der Kolleg/innen massiv gesteigert, In
den letzten Jahren gab es dagegen für die Beschäftigten ständige
Reallohnsenkungen. Die Löhne und Gehälter liegen heute nach Angaben des
Statistischen Bundesamtes real auf dem Stand Anfang der 90er Jahre des letzten
Jahrhunderts, während die Gewinne massiv gestiegen sind. Zudem trifft die
Mitarbeiter/innen der ständig zunehmende Sozialabbau. Somit gab es allen Grund
für einen volle Durchsetzung der 5 %.

Und wie so oft war die Lage günstig. In den letzten Wochen
hatte sich eine massive Warnstreikbewegung in den Metallbetrieben entwickelt!
Hunderttausende nahmen nach IG-Metall-Angaben daran teil. Und das nicht nur in
den bekannten Zentren, sondern auch in den abgelegenen Industriestandorten und
in zahlreichen mittelständischen Betrieben. Allein die IG Metall
Baden-Württemberg meldete am 7. April bereits 150.000 Warnstreikende!

Auch musste die Kapitalseite damit rechnen, dass sie
angesichts ihrer guten Ertragslage die Medienöffentlichkeit zumindest nicht
leichthin auf ihrer Seite haben würde.

Die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Urabstimmung waren
damit sehr gut.

Die kämpferische Stimmung dürfte zusätzlich beflügelt worden
sein von den Streikaktionen der Ver.di-Kolleg/innen, die sich unter den
Metaller/innen großer Sympathie und Solidarität erfreuten.

Es ist bezeichnend, wenn auch nicht neu, dass die Kampfkraft
dieser Bewegung von der IG-Metallführung bewusst nicht ausgeschöpft, sondern
lediglich als Pokermasse benutzt wurde.

Die nun vereinbarten 3% tragen sicherlich trotzdem den
Stempel dieser Streikbewegung. Aber sie müssen äußerst kritisch unter die Lupe
genommen werden. Sie sind keinesfalls sicher gegeben.

Da der Tarifvertrag eine Laufzeit bis vom 1. März 2006 bis
zum 31 März 2007 hat, die Lohnerhöhung aber erst zum Juni 2006 beginnt, muss
die Frage gestellt werden, was von März bis Mai 2006 mit den Löhnen geschehen
soll: Die für diesen Zeitraum vereinbarte Einmalzahlung von durchschnittlich
310 Euro kann in der innerbetrieblichen Auseinandersetzung auf bis zu 0 Euro
gesenkt werden, wenn es dem Unternehmen angeblich schlecht geht und bis zu 620
Euro gesteigert werden, wenn es ihm gut geht. Die Akteure bei dieser Frage aber
sind die Unternehmensleitungen und die Betriebsräte. Zwar kann der Betriebsrat
nein sagen zu einer Senkung, ist aber voll den betrieblichen Kräfteverhältnissen
ausgesetzt.

Wie das Metall- und Elektrokapital diese Frage sieht, kann
man in der Welt am Sonntag vom 23. April 2006, einen Tag nach
Tarifabschluss, nachlesen. Dort heißt es sehr aufschlussreich: „Bei
Gesamtmetall schätzt man, dass sich drei Viertel der Unternehmen im Verband die
Einmalzahlung denn auch nicht leisten können und sich mit ihren jeweiligen
Betriebsräten auf eine Streichung einigen werden
.“ Das ist deutlich!

Natürlich ist das eine politische Aussage, und was davon
wahr wird, muss sich erst noch zeigen. Aber zwei Dinge werden verständlich:

Erstens: Wie hoch die Tariferhöhung wirklich ist, wird erst
im Betrieb entschieden, wird erst dann entschieden, wenn sich der
Bundesvorstand der IG Metall schon längst wieder der Pflege seines blitzenden
Hochhauses in der Frankfurter Leuschnerstr. und der Vermietung der dort leer
stehenden Etagen zugewandt hat.

Dann müssen die Kollegen im Betrieb sich mit der Frage
herumschlagen, wie hoch die Einmalzahlungen sein werden bzw. ob sie überhaupt
eine bekommen. Uns sind Fälle bekannt, da erzielen mittelständische Unternehmen
die besten Ergebnisse der Firmengeschichte und verlangen trotzdem kategorisch
Verzicht von Ihren Mitarbeitern, indem sie schon vor der Tarifrunde
ankündigten, beispielsweise die Lohnerhöhung mit freiwilligen Leistungen zu
verrechnen. Wie geht es in solchen Betrieben bei der Einmalzahlung zu? Es wird
Druck ohne Ende herrschen, sie zu streichen oder so niedrig wie nur möglich zu
halten. Das ist heute die soziale Wirklichkeit! Hier entscheiden die Kräfteverhältnisse
im Einzelbetrieb.

Zweitens: Der Abschluss ist der Einstieg in die
„ergebnisabhängige“, in Wirklichkeit in die vom jeweiligen betrieblichen
Kräfteverhältnis abhängige „Flächentarifgestaltung“. Allein diese Tatsache
lässt die Strategen des Kapitals jubeln. Das lässt sie über die für sie
hässliche 3% milde lächeln. „Metallbranche revolutioniert Tarifverträge“
frohlockt die Welt am Sonntag per Hauptschlagzeile auf Seite eins. Hier wurde
ein Einbruch in den Flächentarif bei der Entlohnung erzielt!

Nüchterne Rechner bewerten die 3%ige Lohnerhöhung denn auch
je nach Höhe der Einmalzahlung zwischen 2,3 und 2,9 %.

Damit läge sie im „normalen“ Rahmen für das Kapital.
Mitglieder in betrieblichen Wirtschaftsausschüssen wissen bereits seit 2005,
dass viele Firmen mit ca. 2,5% Lohnerhöhung für 2006 kalkulieren. Sie werden
nicht groß umplanen müssen.

Für die Kolleg/innen aber ist das nicht einmal der
Inflations- und Sozialabbau-Ausgleich.

 

Einbruch in die
Steinkühler-Pause!

 

Die IG Metall hatte gefordert, dass es keinen Abschluss ohne
den Erhalt des baden-württembergischen Lohnrahmentarifvertrages II geben wird,
dessen wichtigster Bestandteil die so genannte Steinkühlerpause von 5 Minuten
pro Stunde für Akkordlöhner/innen ist. Diese gilt nur im Tarifgebiet
Nord-Württemberg-Nordbaden.

Diese Erholpause wurde zwar nicht gestrichen, aber laut
Aussage von Jörg Hofmann, dem Bezirksleiter Baden Württemberg der IG Metall
eingeschränkt, so dass etliche Gruppen, die diese Pause bisher hatte (genannt
wurden Transporter und Einrichter?), sie nicht mehr gewährt bekommen.
Einzelheiten sind bis Redaktionsschluss noch nicht bekannt, aber auch hier
gelang den Vertretern des Kapitals offenbar ein gewisser Einbruch, der
sicherlich bei nächster Gelegenheit dann weiter ausgeweitet werden wird.

Der gekündigte Tarifvertrag über die Vermögenswirksamen
Leistungen wurde umgewidmet wieder in Kraft gesetzt.

Das ist vielleicht der positivste Teil der Einigung. Jetzt
können wieder alle Kolleg/innen, in den Genuss der Zahlungen von jährlich 319
Euro zur so genannten Vermögensbildung kommen. Der Tarifvertrag war gekündigt,
lief aber für die Kollegen, die bereits Spar- oder ähnliche Vertrage hatten,
weiter, nicht aber für neu eingestellte Mitarbeiter/innen. Diese können nun
auch vermögenswirksame Leistungen erhalten, allerdings jetzt auf Verträge über
die so genannte Riester-Rente beschränkt.

 

Die Kraft der
Arbeiter/innen-Klasse kommt nicht zum Tragen!

 

Wie beim Ver.di-Abschluss ist der Gewerkschaftsführung
vorzuhalten: Sie will und wollte keinen wirklichen Kampf gegen das Kapital und
speist die Kolleg/innen mit Magermilch ab. Sie vermeidet die Urabstimmung wie
der Teufel das Weihwasser.

Sicherlich wäre es ein sehr harter Kampf geworden, wenn es
zu Urabstimmung und Streik gekommen wäre. Die Haltung der Arbeitgeber wäre
ähnlich wie bei Ver.di gewesen. Aber die Chancen waren sehr gut für einen
massiven Streik.

Es gibt nur eine Perspektive in den Gewerkschaften des
Landes. Die klassenkämpferischen Kolleginnen und Kollegen müssen eingemeinsame
Bewegung in der Gewerkschaft aufbauen, mittels derer ein klassenkämpferischer
Kurs, gestützt auf die Mitgliedermasse und alle kämpferischen Kolleg/innen
möglich wird.

Forderungen nach Demokratisierung der Organisation und nach
Belebung der Basisarbeit sind genauso wichtig wie die Initiierung einer
gesellschaftlich orientierten Debatte über die Tarif- und vor allem die
Arbeitszeitpolitik. Es gibt keine wirkliche Interessenvertretung, wenn man auf
das Kapital und den Kapitalismus Rücksicht nimmt.

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