Die große Koalition ist ein Bündnis der Verlierer. Denn
tatsächlich haben sowohl die SPD als auch die CDU/CSU ihre Wahlziele erreicht.
Dass beide Seiten Verlierer sind zeigt sich deutlich, an den wochenlangen
mühseligen Verhandlungen und an den ständigen Querelen. Angela Merkel, künftige
Kanzlerin, ist von gefährlichen Freunden umgeben. Sie ist schwach und hat in
ihrer Partei viele, die darauf hoffen, sie eines Tages zu beerben. Nur mühsam
unterdrückt sie die Diskussion um die Wahlniederlage. Und ihre Feinde folgen
ihr nur, weil irgendwie doch eine Regierung des Kapitals her muss. Stoiber tönt
tönern herum, ist aber ebenfalls schwach. Mit einem CSU-Wahlergebnis unter 50%
kann er nicht glänzen. In der CSU werden bereits die Messer für die Nachfolge
gewetzt. Und die SPD hat gerade noch mit viel sozialer Demagogie das Schlimmste
verhindert. Den Zugewinn konnten Schröder und die SPD nur dadurch erreichen,
dass sie sich auf einmal als Kämpfer für „soziale Gerechtigkeit“ präsentierten.
Leute wie Müntefering, die eben noch Hartz IV und ALG II mit durchgepaukt
hatten, redeten auf einmal von Heuschrecken und gebärdeten sich
anti-kapitalistisch. Nur mit linker Verkleidung konnte die SPD sich über Wasser
halten. Doch der Lack ist ab. Die SPD ist zerrissen und am Ende, wie sich jetzt
mit dem Rücktritt von Müntefering zeigt.
Wie gut, dass die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger kein
Vertrauen mehr in die Parteien der herrschenden Klasse hat. Rund 70%
versprechen sich keine grundlegenden Veränderungen durch einen
Regierungswechsel. Das Wahlergebnis mit der Niederlage für alle bürgerlichen
Parteien war Ergebnis dieses Misstrauens. Das Wahlergebnis zeigt ebenso die
Krise des kapitalistischen Systems.
Dem Kapital ist diese Situation nicht recht. Es hatte sich
eine starke Regierung des radikalen Sozialabbaus gewünscht. CDU/CSU und FDP
waren die Hoffnungsträger der Reichen. Nun muss das Kapital sich eine instabile
Regierung aus CDU/CSU und SPD zusammenzimmern, um doch noch seine Ziele des
Sozialabbaus durchzusetzen.
Verschärfter Soziallabbau
Eine große Koalition des Sozialabbaus ist für das Kapital
die einzige Rettung in dieser Situation. Es befindet sich selbst in der Krise –
trotz steigender Profite bei einigen Großkonzernen. Die vom Kapital
herbeigeführte Globalisierung hat die Konkurrenz ungeheuer verschärft, die
ökonomische Situation unsicherer und die Realisierung von Profiten schwieriger
gemacht. Die Konkurrenz erzwingt immer neue Investitionen von immer größerer Höhe,
um zu rationalisieren, Arbeitskräfte abzubauen und mithalten zu können. Das
verschärft jedoch die Krise des Absatzes und die politische Krise das ganzen
Systems. Der einzige Ausweg, den das Kapital sieht und mit ungeheurer
Radikalität geht, besteht in Sozialabbau, Lohnkürzungen und einem immer
unsicheren Leben auf niedrigerem Niveau für die Masse der Menschen.
Unmittelbar nach den Wahlen rückten große Konzerne wie
Siemens, VW. DaimlerChrysler mit massiven Plänen für Stellenabbau und
Lohnkürzungen heraus, die sie zuvor zurückgehalten hatten, um ein Wahlergebnis
in ihrem Sinn zu ermöglichen.
Trotz ihrer Wahlniederlagen
findet das Kapital in CDU/CSU und SPD willige Helfer. Bereits am Wahlabend
verkündete Schröder, dass der eingeschlagene Weg der „Reformen“ entschlossen
fortgesetzt werden müsse. Noch-Wirtschaftsminister Clement von der SPD jagte
auf einmal nicht mehr die „Heuschrecken“ sondern die „Abzocker“, die Hartz
IV-Empfänger. In den jetzigen Koalitionsverhandlungen wurde lange Zeit eine
Nebelwand aus Postengeschacher und Personalspekulationen medienwirksam aufgebaut,
um die Inhalte der kommenden Regierungsarbeit nicht zu einem öffentlichen Thema
zu machen. Doch die Nebelschwaden lichten sich und eine Liste von Grausamkeiten
(siehe S.2) kommt zum Vorschein. Damit kann das Kapital unter den gegebenen
Umständen leben.
Wo bleibt die Linkspartei?
In dieser Situation hat die Linkspartei ihr Mandat, dass ihr
über 8% der Wähler gegeben haben, nicht ausreichend wahrgenommen. Jetzt wäre
die Zeit gewesen, den Wildwuchs an Spekulationen um Posten und Personen
anzugreifen und klare Forderungen für eine neue Regierung zu erheben:
Kein weiterer Sozialabbau!
Weg mit den Hartz-Gesetzen!
Drastische Steuererhöhungen für die Reichen!
Dass Schröder nur mit einer linken Verkleidung das
Schlimmste für die SPD verhindern konnte, zeigt deutlich wie stark der
Widerstand im Volk gegen weiteren Sozialabbau ist. Das spiegelt sich ebenso im
guten Abschneiden der Linkspartei wieder. Die Montagsdemonstrationen waren
keine Eintagsfliegen, wie die Herrschenden gehofft haben. Die Bewegung gegen
Sozialabbau hat tiefe Spuren im Bewusstsein der Menschen hinterlassen. Das
konnten und können die Herrschenden mit ihrem Propaganda-Feuer von der
Notwendigkeit weiterer „Reformen“ also Kürzungen nicht mehr ausradieren. Diese
starke Volksbewegung hat die politische Landschaft verändert: Diskussionen über
den Kapitalismus, über eine andere Gesellschaftsordnung, über die Zukunft sind
wieder möglich. Mit der Linkspartei hat sich, ob gewollt oder nicht spielt
dabei keine Rolle, der politische Spielraum weiter vergrößert. Waren z.B. die
Gewerkschaften bislang unbestrittenes Territorium der SPD, so ist dies nun
nicht mehr der Fall. Deshalb konnte die DGB-Führung auch keine offene
Unterstützung der SPD mehr wagen, auch wenn rechtssozialdemokratische
Gewerkschaftsführer wie z.B. von der IG Chemie dies forderten. In den
Gewerkschaften kann nun wieder leichter über den Kurs und die Forderungen der
Arbeiterinnen und Arbeiter diskutiert werden.
Egal welche Koalition in Berlin
regieren wird, es wird immer eine Koalition des Kapitals sein. Zugleich haben
sich aber die Möglichkeiten für alle fortschrittlichen und revolutionären
Kräfte erhöht. Wir haben trotz aller offen geäußerter Vorbehalte die Wahl der
Linkspartei unterstützt. Wir werden die Abgeordneten der Linkspartei nun daran
messen, was sie im Parlament für die Interessen der Arbeiterinnen und Arbeiter,
für die Jugend, für die Frauen, für die Arbeitslosen, für die Rentner usw. real
tun werden. Das war bisher bescheiden. Und wir werden ebenso den gewachsenen
Spielraum nach Kräften nutzen.
Wie weiter?
Die weit verbreitete Unzufriedenheit im Volk mit der
wirtschaftlichen und politischen Situation, die ersten Elemente eines
auflebenden Widerstandes gegen den Sozialabbau werden sich durch eine Große
Koalition des Sozialabbaus weiter entwickeln. Der Klassenkampf von oben wird
den Klassenkampf von unten voran bringen. Es ist deshalb möglich und wichtig,
die außerparlamentarischen Widerstandsbewegungen gegen Sozialabbau und auch den
gewerkschaftlichen Kampf in den Betrieben zu organisieren und auszuweiten.
Dabei müssen geduldig Hindernisse aus dem Weg geräumt und diejenigen z.B.
rechte Gewerkschaftsführer bekämpft werden, die einer Entfaltung des Kampfes im
Wege stehen. Es gibt viel zu tun! Packen wir’s an!
Die Wahl hat allerdings erneut die Schwäche der
revolutionären Kräfte in Deutschland gezeigt. Ihre Möglichkeiten steigen durch
die positive Entwicklung im Volk, aber real können diese Möglichkeiten durch
Zersplitterung, durch Opportunismus und Sektierertum nicht genutzt werden. Sie
mussten deshalb passiv zuschauen, wie sich eine linkssozialdemokratische
Linkspartei die Bewegung gegen Sozialabbau zunutze machte. Diese Schwäche der
revolutionären Kräfte muss überwunden werden. Wir brauchen eine starke
kommunistische Arbeiterpartei in unserem Land.
ernst