Proteste der Klinikärzte

3000 Krankenhausärzte demonstrierten Anfang des Monats August
in Berlin gegen überlange Arbeitszeiten und schlechte Bezahlung. Mehrere Länder
haben die Tarifverträge gekündigt und damit begonnen, die 42-Stunden Woche durchzusetzen.
Gleichzeitig wurde das Weihnachtsgeld auf 60% gekürzt und das Urlaubsgeld
gestrichen. Diese Verschlechterung, die für Neuverträge gelten soll, tritt auch
bei Vertragsverlängerung und bei tariflicher Höhergruppierung in Kraft. Da die
meisten jungen Ärzte befristete Arbeitsverträge haben, trifft diese
Einkommenseinbuße von bis zu 20% fast alle.

 

Bis vor kurzem war es sehr schwer, überhaupt Krankenhausarzt
/- ärztin zu werden

Um Medizin studieren zu können, musste und muss man sehr
gute Noten haben. Bis vor kurzem hatten es angehende Ärzte noch sehr schwer,
überhaupt eine Stelle zu erhalten, um die geforderte Weiterbildung zum Facharzt
zu absolvieren. Noch vor wenigen Jahren stapelten sich die Bewerbungen auf den
Tischen der Chefärzte. Das machte es den Assistenzärzten im Krankenhaus schwer,
für Verbesserungen ihrer Situation zu kämpfen. Nicht wenige Ärzte waren in
ihrer Verzweiflung sogar bereit, umsonst im Krankenhaus zu arbeiten, um
wenigstens irgendwie weiterzukommen. Der Begriff „Ärzteschwemme“ ist für viele noch
in Erinnerung.

 

Unerträgliche Arbeitsverhältnisse erreichten Ende der
90-er Jahre einen Höhepunkt

Zu diesem Zeitpunkt waren die Arbeitsverhältnisse im
Krankenhaus absolut unerträglich geworden. Tägliche Überstunden waren und sind
für viele die Norm, oftmals kein Frühstück, kein Mittagessen. Durch den Abbau
von Krankenhausbetten und die Verkürzung der Liegezeiten mussten mehr Patienten
in der gleichen Zeit aufgenommen und entlassen werden, um die Belegung gleichzuhalten.
Immer mehr Arbeit muss in der gleichen Zeit geschafft werden. Der Arbeitstag
wird dadurch so verdichtet, dass oft keinerlei Pausen mehr möglich sind.
Notfälle sind hierbei gar nicht eingerechnet. Arztberichte müssen regelmäßig
erst nach Feierabend erstellt werden. Gleichzeitig wuchs die Verwaltungsarbeit
in den Krankenhäusern, bedingt dadurch dass die verschlüsselte Falldokumentation
immer besser werden musste, um im Wettbewerb der Krankenhäuser und bei den
Verhandlungen mit den Krankenkassen zu bestehen. Gleichzeitig bemerkte man,
dass es am billigsten war, die elektronische Datenerfassungs- und
Verschlüsselungsarbeit den Ärzten zuzuweisen, da deren Überstunden nichts
kosteten.

 

Warum werden die Überstunden der Ärzte nicht bezahlt?

Wer die Verhältnisse in den Krankenhäusern kennt, weiß, dass
nach einem Arbeitstag der (Nacht)- „Dienst“ beginnt. Oft geht die
Regelarbeitszeit für den Dienstarzt am nächsten Tag weiter. In den Fällen, in
denen nach dem Dienst Freizeitausgleich stattfindet, herrscht oft das
ungeschriebene Gesetz, dass erst noch alles Notwendige auf Station erledigt
werden muss, bevor der Kollege nach Hause gehen darf. Das kann sich bis in die
Mittagsstunden hinziehen. Oder: der junge Assistenzarzt will nach dem
Nachtdienst nach Hause (wie vorgesehen). Doch der Chefarzt raunt ihm zu, dass
er dafür kein Verständnis habe. Oder der Kollege hat zwar nach dem Nachtdienst
frei, steht aber auf dem OP-Plan. Da er die Operationen für seine Weiterbildung
braucht, bleibt er natürlich. Oft bleiben auch nach einem Regelarbeitstag ohne
besondere Vorkommnisse zwei, drei oder auch mehr Überstunden übrig. Eine
Stunde, um mit den Untersuchungen und Behandlungen bei den Patienten fertig zu
werden und Fragen der Angehörigen zu beantworten. Eine Stunde, um Berichte zu
diktieren und eine Stunde, um verschlüsselte Diagnosen und Daten in den
Computer einzugeben. Vorgesetzte sind meist unwillig, die tatsächlich
geleisteten Überstunden formell anzuordnen und dadurch ihre Bezahlung zu
ermöglichen. Viele Chefärzte vom alten Schlag meinen: Ein Arzt kennt keine
Überstunden. Erst in den Fällen, in denen die Verwaltung Arztstellen streicht,
weil angeblich überflüssig, sind die Chefs manchmal bereit, Überstunden der
Mitarbeiter zu dokumentieren.

 

Die autoritären Strukturen im Krankenhaus in Deutschland haben
Tradition.

In England, Skandinavien, der Schweiz, Frankreich, und anderen
Ländern herrschen andere Bedingungen. Das Lernklima ist besser, das Teamgefühl
zwischen Ärzten und anderen Berufsgruppe ist besser, die Hierarchien sind
flacher, Frauen bekommen leichter eine Stelle und die Arbeit ist
familienfreundlicher.

 Die deutsche Medizin
wurde im 19.Jahrhundert durch die Preußische Militärakademie, die „Pépinière“
geprägt. Der preußische Staat benötigte vor allem gute Militärärzte. Die
Mehrzahl der deutschen Nobelpreisträger Anfang des 20-ten Jahrhunderts waren an
dieser Eliteschule ausgebildet worden. Die Medizin war nach militärischem
Vorbild organisiert. Untergebene hatten Anweisungen zu befolgen, Kritik und
Widerspruch hatten strenge Sanktionen zur Folge. Die Folgen dieser Ausbildung
sind jetzt noch spürbar. Auch jetzt haben Querdenker und weniger angepasste
Kollegen im Krankenhaus wenig Karrierechancen. Viele der jetzigen Chef- und
Oberärzte können sich noch an gottgleich-autoritäre cholerische Vorgesetzte
erinnern. Auch in der Krankenpflege gibt es eine autoritäre Tradition, nämlich
die der kirchlichen Ausbildung. Im Pflegebereich hat es eine
Emanzipationsbewegung von dieser Tradition gegeben, im ärztlichen Bereich
weniger. Auch die Arbeitsverträge, die fast alle befristet sind, manchmal sogar
nur für einige Monate, tragen zur Einschüchterung bei.

 

Von der Ärzteschwemme zum Ärztemangel

Früher gab es für die Klinikärzte immer den Lichtblick der
Niederlassung in die eigene Praxis. Die Klinikzeit wurde als „Nadelöhr“
betrachtet, während der man sich einiges bieten lassen musste. Dahinter winkte
jedoch eine goldene Zukunft. Aber die Niederlassung ist heutzutage nicht leicht
und finanziell nicht mehr so attraktiv wie früher. In den letzten 4-5 Jahren
kann man daher eine Trendwende beobachten. Viele junge Ärzte wollen nicht mehr
im Krankenhaus arbeiten, und suchen sich daher andere Berufsfelder. Viele gehen
ins Ausland, wo das Arbeitsklima besser und das Gehalt z.T. doppelt so hoch
ist. Die unerträglichen Zustände in den Krankenhäusern sind der hauptsächliche
Grund für den Ärztemangel. Die Arbeitsbedingungen haben sich bisher aber nicht
gebessert. Die Ärzte, die noch hier im Krankenhaus arbeiten, sind
selbstbewusster geworden und gewerkschaftlich aktiver als in der Vergangenheit.
Der Marburger Bund errechnete, dass pro Jahr von den Klinikärzten 50 Millionen
unbezahlter Überstunden im Wert von 1 Milliarde Euro erbracht wurden. Wochenarbeitszeiten
von 60 bis 80 Stunden sind nicht selten. Vor diesem Hintergrund sind die
Arbeitszeitverlängerung auf 42 Stunden und die Gehaltskürzungen die
Provokation, die das Fass zum Überlaufen bringt.
(J.T.)