Mindestlohn – was sonst?

Die Massenarbeitslosigkeit in Deutschland steigt
unaufhörlich. Es zeigt sich immer deutlicher, dass ein Grund dafür nicht nur
die Verlagerung von Produktion ins Ausland ist, sondern eben auch der Import an
billigen Arbeitskräften. Obwohl im Rahmen der EU-Osterweiterung Arbeitnehmer
aus den neuen Beitrittsländern, also Polen, Litauen Tschechien und anderen erst
nach mehreren Jahren nach Deutschland kommen dürfen, ist die Realität eine
andere. Nach Gewerkschaftsangaben sind seit der EU-Erweiterung zum Beispiel
20.000 Beschäftigte der fleischverarbeitenden Industrie entlassen wurden. Die
Arbeit machen jetzt Arbeiter aus Polen, zum Teil sind dies sogar
Akademikerinnen, für die ein Lohn von 5 Euro pro Stunde, trotz eines einsamen
Lebens, fern der Familie in Wohnheimen oder Wohncontainern, immer noch ein
Anreiz ist, in Deutschland zu arbeiten.

Das ist möglich, weil ein Gesetz, die so genannte
Dienstleistungsrichtlinie, es erlaubt, dass ausländische Unternehmer der EU ihre
Beschäftigten nach den Gesetzen ihres jeweiligen Heimatlandes beschäftigen. Die
Beschränkungen auf dem Arbeitsmarkt für Osteuropäer gelten bislang nur für
Angestellte. Selbstständige aus der EU können in Deutschland ohne
Beschränkungen arbeiten.

Das so genannte Entsendegesetz, das für die 800.000
Beschäftigten des Baugewerbes gilt, schreibt vor, dass Arbeitgeber
ausländischen Mitarbeitern den per Tarif vereinbarten deutschen Mindestlohn
zahlen müssen.

Bundesregierung und Opposition erhoffen sich nun durch eine
Ausweitung des Entsendegesetzes auf andere Branchen einen Schutz vor der
Niedriglohn-Konkurrenz. Für die Branchen, in denen es Tarifverträge gibt, würde
das faktisch die Einführung von Mindestlöhnen bedeuten.

Die Tariflöhne liegen je nach Branche aber unterschiedlich
und teilweise auf erschreckend niedrigem Niveau. Der niedrigste Tariflohn in
Deutschland liegt bei gerade 2,74 Euro.

Teile der SPD und selbst Stoiber hatten aber einen
gesetzlichen Mindestlohn in die Diskussion gebracht, von dem sich Stoiber
zumindest wieder schnell distanziert hat.

Denn beim Wort „Mindestlohn“ schreien die Kapitalisten sofort
auf. Arbeitgeberchef Hundt forderte Stoiber erfolgreich auf: „Diese
Überlegungen sollten ganz schnell wieder in der Schublade verschwinden.“

(HB, 11.4.05) Bei einem Mindestlohn seien gar bis zu drei Millionen Jobs
gefährdet. Im Falle der Fleischindustrie argumentieren sie, würden eben die
Unternehmer die Schlachttiere nach Polen schaffen, sie dort schlachten,
zerlegen und wieder zurückbringen. So gingen noch mehr Arbeitsplätze verloren.
Der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelstages Ludwig Georg Braun
argumentierte im Handelsblatt, die „Abschottungsdebatten“ führten in die
Irre. „Wettbewerb ist keine reine Schönwetterveranstaltung – höchstens für
die Konsumenten. Es werden immer an der einen Stelle Arbeitsplätze verloren
gehen und an anderer neue entstehen.“

Der Chef des Münchener Ifo-Instituts Hans Werner Sinn
belehrt uns sogar, dass der Begriff „Lohndumping“ fehl am Platze sei. „Dumping
ist eine Preissenkung unter die eigenen Kosten, nicht unter die Kosten der
Wettbewerber.“
Erst wenn die Polen bei uns billiger arbeiten würden, als
sie es in Polen tun, läge Dumping vor, erläuterte er im Handelsblatt.

Dass das Kapital gegen Mindestlöhne ist, erklärt sich von
selbst. Endlich ist das Kapital dort, wo es immer hinwollte. Durch die
niedrigeren Löhne der osteuropäischen Länder wird massiver Druck auf die Löhne in
Deutschland ausgeübt. Dass die Regierung jetzt „einknickt“ passt dem Kapital
nicht. Aber die SPD-Regierung, die die Unzufriedenheit der Bevölkerung immer
deutlicher zu spüren bekommt, kann nicht tatenlos zusehen, wenn auch in anderen
Branchen Zehn- und Hunderttausende entlassen werden. Sie wird aber nur so weit
einschreiten, wie sie muss, um den größten Volkszorn zu vermeiden. So lautet
die Botschaft von Kanzler Schröder: das Entsendegesetz ausweiten ja –
gesetzliche Mindestlöhne nein.

In der Gewerkschaft gibt es Stimmen, die einen Mindestlohn
fordern, es gibt aber auch Stimmen, die einen Mindestlohn für unnötig befinden.
Manche Gewerkschafter halten die Gewerkschaft für stark genug, ausreichende
Löhne in Tarifverträgen durchzusetzen.

Dazu muss man aber wissen, dass es in Deutschland auch
Tariflöhne gibt, die ein normales Leben nicht möglich machen. Für Friseure in
Ostdeutschland gibt es tarifvertraglich 3,31 Euro brutto. Laut einer
Monitor-Sendung vom 15.April 2004 haben 12 % der deutschen Beschäftigten trotz
Vollzeit Tariflöhne auf Sozialhilfeniveau. Jobs, mit denen es nicht möglich
ist, für den eigenen Lebensunterhalt zu sorgen. Die ostdeutsche Friseurin, die
in Monitor zu Wort kam, hat monatlich 360 Euro netto zur Verfügung.

Professor Gerhard Bosch von Universität Duisburg äußerte in
Monitor: „Löhne zwischen drei und sechs Euro sind leider nicht mehr die
Ausnahme, man findet sie auch in Westdeutschland bei Hilfsarbeitern, bei
Wachdiensten und im Verkaufsbereich.“

Durch die neue Hartz-Gesetzgebung können Arbeitslose sogar
gezwungen werden, Löhne, die 30% unter diesem Tarif liegen, zu akzeptieren. Also
ist der Verweis auf die Tariflöhne, die von den Gewerkschaften ausgehandelt wurden,
keine Garantie für eine existenzsichernde Entlohnung. Es ist doch das mindeste,
dass das Einkommen aus einer Vollzeitbeschäftigung, wie gering qualifiziert sie
auch sein mag, die Existenz sichert. Die Existenz – das ist ja nicht mehr als
die Reproduktion der Ware Arbeitskraft, damit diese am nächsten Tag von neuem
zur Verfügung steht.

Das Existenzminimum kann man auf verschiedene Weise
definieren. Zum einen ist die Höhe der Sozialhilfe ein offizielles Maß dafür,
was der Staat selbst als Existenzminimum betrachtet. Auch der so genannte Pfändungsfreibetrag
liegt in diesem Bereich. Dies ist auch der Grund dafür, dass die Arbeitgeber
immer fordern, Arbeitslosengeld und Sozialhilfe zu kürzen. Die Sozialhilfe kann
nämlich – wie ein Mindestlohn gesehen werden, der den Fall der Löhne ins
Bodenlose hemmt. Aus diesem Grund ist die Sozialhilfe auch für Beschäftigte von
entscheidender Bedeutung. Da der Mindestlohn über der Sozialhilfe und der Pfändungsfreigrenze
von z.Zt. 930 Euro liegen muss, fordern verschiedene fortschrittliche
Organisationen und Bündnisse, dass der Mindestlohn brutto bei 10 Euro liegen
muss.

Ein Mindestlohn ist auch nicht beschäftigungsfeindlich. Das
sieht man in anderen Ländern wie Großbritannien. Hier wird der Mindestlohn
regelmäßig überprüft, ob die Beschäftigten mit diesem Einkommen noch angemessen
leben können. Diesen Sommer wird er auf 7,30 Euro erhöht. Seit seiner
Einführung sind sogar eine Millionen neue Jobs entstanden, die Arbeitslosigkeit
ist gering und die britische Wirtschaft hat mit 5% ein sehr hohes
Wirtschaftswachstum. Auch in anderen EU-Ländern gibt es Mindestlöhne, in
Frankreich 1.173 Euro, den Niederlanden 1.265,- Euro und in Luxemburg 1.369,-
Euro.

Ein gesetzlicher Mindestlohn mag vielleicht auf den ersten
Blick die Tarifautonomie der Gewerkschaften beschneiden. Die UZ (Zeitung der
DKP) vom 15.4.05 sieht sogar einen „gefährlichen Eingriff in die
Tarifautonomie“
und behauptet einfach, dass „die gesetzliche
Mindestlohnpraxis in vielen Ländern gezeigt hat dass die Probleme auf dem ‚Arbeitsmarkt’
nicht zu regeln sind. Die Lösung kann NUR ein ordentlicher Tarifvertrag mit
einem von den Gewerkschaften ausgehandelten Mindestlohn sein.“

Doch was nützt ein Tarifvertrag, wenn nur drei Euro pro
Stunde verdient werden, gegenwärtig gelten für 2,8 Millionen Beschäftigte Tariflöhne
unterhalb von 6 Euro die Stunde. Der Mindestlohn als Ausgangsbasis für
Tarifverhandlungen wird eher die Position der Gewerkschaften stärken. Ausländer
und Deutsche können nicht mehr gegeneinander ausgespielt werden. Die Gewerkschaften
werden bemüht sein, Abschlüsse zu erzielen, die natürlich deutlich über dem
Mindestlohn liegen. Der Fall der Löhne wird gebremst. Ein gesetzlicher
Mindestlohn von 10 Euro unterstützt auch den Kampf um Arbeitszeitverkürzung.
Solange die Löhne extrem niedrig sind, hat das Kapital kein Interesse an
Arbeitszeitverkürzung, wie man sieht, werden die Arbeitszeiten ständig
verlängert. Die Forderung nach Arbeitszeitverkürzung ist aber eine
urgewerkschaftliche Forderung. Die Gewerkschaften könnten aus ihrer defensiven
Rolle heraus auf dem sicheren Boden eines Lohnniveaus, das nicht weiter sinken
kann, aufbauend arbeiten. Insofern würde die Einführung eines gesetzlichen
Mindestlohns die Arbeiterbewegung stärken. Wir fordern daher:

Gesetzlicher Mindestlohn in allen Branchen von 10 Euro pro
Stunde für alle Beschäftigten!

(J.T.)