Bemerkungen zu
einer Freidenkerveranstaltung in Hamburg und zu ihren Folgen.
November (26.11.2004) sprach der Bundesvorsitzende des Deutschen
Freidenkerverbands (DFV), Klaus Hartmann, im Hamburger Curio-Haus vor ca. 35
Anwesenden über die „Internationale Friedenspolitik der Freidenker“,
hauptsächlich zum Prozess gegen Slobodan Milosevic vor dem so genannten Haager
Kriegsverbrechertribunal. Das war nichts anderes als eine Veranstaltung zur
Verteidigung Slobodan Milosevics.
Hartmann
kritisierte die fortschreitende Zerstörung des Völkerrechts durch die
mächtigsten imperialistischen Staaten. Das Haager Tribunal sei völkerrechtswidrig.
Gestützt auf die Kritik amerikanischer Persönlichkeiten wie Ramsey Clarke,
früherer Generalstaatsanwalt und Justizminister der USA, habe sich eine
Bewegung für die Befreiung des ehemaligen serbischen Präsidenten Slobodan
Milosevic gebildet.
Klaus
Hartmann aber ist selbst einer der Frontleute dieser Bewegung. Auf
internationalen Treffen dieser Bewegung, wie z.B. am 28. Juni 2004 in Belgrad,
spricht er, und damit auch öffentlich für die Freidenker. Natürlich vertrat er
auch im Curio-Haus die Forderungen nach Einstellung des Prozesses und der
Auflösung des Tribunals.
Er
erklärt die Eingriffe imperialistischer Mächte, in erster Linie der
Bundesrepublik Deutschland, zur Ursache der Zerstörung der Sozialistischen
Föderativen Republik Jugoslawien(SFRJ). Die Verantwortlichkeit großserbischer
Nationalisten – im Bund der Kommunisten Jugoslawiens und anderen politischen
Zusammenhängen – bestreitet er, erst Recht eine Verantwortlichkeit Milosevics.
Heftig
ging Hartmann dann mit den Kritikern seines Standpunktes ins Gericht. Nach
seiner scharfen Kritik der Rolle des deutschen Imperialismus auf dem Balkan
rückte er sie mehr oder weniger in die Nähe des BRD-Imperialismus. Bestenfalls
billigte er ihnen zu, dass sie ihm dumm auf den Leim gingen. Hartmann zeigte
keinerlei Bereitschaft, sich mit der Kritik seiner aus Kiel angereisten
Genossen an Milosevic, an seiner aggressiv nationalistischen Politik gegenüber
den anderen Nationalitäten Ex-Jugoslawiens, speziell der albanischen
Bevölkerung in Kosovo kritisch, ja selbstkritisch auseinander zu setzen. Er
bestritt dieser Kritik jedes Recht und ging soweit, auch sie zu Handlangern des
Imperialismus, speziell des deutschen auf dem Balkan zu erklären.
Dem
Widerstand gegen die nationale Unterdrückung der albanischen Bevölkerung Kosovos
sprach Hartmann mehr oder wenige die Berechtigung ab. Menschen, die diesen
unterstützten, erklärte er günstigenfalls zu Opfern von Medienmanipulationen.
Dies
ging nicht ohne Widerspruch unter den Freidenkern ab. In Hamburg traten DFV-Mitglieder
und -Sympathisanten auf, die die Position Hartmanns in einem Thesenpapier
kritisieren. Titel: „Freidenker dürfen sich keinesfalls auf die Parole
´Befreit Milosevic´ festlegen lassen“ Sie versuchten, in einem
Diskussionsbeitrag die wesentlichen Kritikpunkte gegenüber Hartmanns Positionen
darzustellen.
Ab
diesem Zeitpunkt aber war alles „freie Denken“ bzw. ein diesem Anspruch
entsprechender Diskurs passé, und Trickserei trat an dessen Stelle. Nachdem
Hartmann ca. anderthalb Stunden gesprochen hatte, wurde der Beitrag der
Kritiker bereits nach etwa 10 Minuten von der Versammlungsleiterin unterbrochen
mit der formalen Begründung, man hätte „ein Koreferat im Voraus anmelden“
müssen. Zugleich verwies sie auf die Möglichkeit, in der weiteren Diskussion
noch einmal das Wort zu ergreifen. Obwohl der Redner sich gleich nach dieser
Zurechtweisung noch einmal zu Wort meldete, kam er nicht mehr an die Reihe,
zunächst unter dem merkwürdigen Vorwand, erst einmal müssten alle anderen
Redner zu Wort kommen (gilt nicht die Reihenfolge der Wortmeldungen?), dann
unter dem noch billigeren Vorwand, nun sei die Diskussionszeit vorbei,
schließlich müsse der Hausmeister auch mal Feierabend haben.
Schließlich
gelang den Kritikern noch einmal ein sehr kurzer Beitrag, indem sie folgende
Fragen aus ihrem Thesenpapier (These 11) vortrugen:
„Klaus
Hartmann sagt: ‚Wir sind solidarisch mit allen Opfern
des Imperialismus’. Wo war seine Solidarität mit der unterdrückten albanischen
Nationalität in Kosovo? Gab es je eine kritische Nachfrage, warum sich die
albanische Nationalität in Kosovo historisch immer wieder in der Paria-Stellung
wieder fand? Ist das kein Hinweis für uns, dass was faul sein muss im Staate
Jugoslawien/Serbien?“
Und, um das Gewicht dieses Arguments noch zu untermauern:
„Was ist mit Professor Vaso Cubrilovic, der 1937 die
Vertreibung der Albaner aus Kosovo forderte. Nach dem II. Weltkrieg bekleidete
er hohe Staatsämter. Was ist mit Milosevics Koalitionspartner „Serbische
Radikale Partei“, die 1995 die völlige Separierung der albanischen Bevölkerung,
Terrorisierung mit Polizei- und Verwaltungsschikanen, willkürlichen
Versorgungsbeschränkungen, Polizeischikanen und Anschlägen forderte? Alles
Medienlügen?“
In Punkt 5. des Papier heißt es ergänzend, Slobodan Milosevic sei
„…
ein großserbischer Nationalist und hat mit den aggressivsten Vertretern dieser
Strömung koaliert, mit der „Serbischen Radikalen Partei“ des Faschisten
Vojislav Seselj. Für demokratische, fortschrittliche Politiker, verbietet sich
eine Zusammenarbeit mit einem faschistisch-rassistischen Hetzer wie Seselj wie
für uns die mit der NPD!“
Da die Zeit nun tatsächlich weit fortgeschritten war, antwortet
Hartmann nicht mehr auf diese Fragen, zumal zahlreiche, von der Versammlungsleitung
vorgezogene Diskussionsredner in oft langen Beiträgen, in denen sogar aus
Büchern zitiert wurde, ihm signalisiert hatten, dass seine Parteigänger das
Terrain beherrschten. Allerdings fand das vervielfältigte Thesenpapier großes
Interesse bei den Anwesenden. Auch kam es im Anschluss noch zu langen
Gesprächen zwischen den Anwesenden über diese Widersprüche.
Für den Beobachter, der noch nie auf einer Freidenkerveranstaltung
war, war diese kein Ausdruck einer „freigeistig wissenschaftlichen
Weltanschauung“, kein Einsatz für „eine Völkergemeinschaft… auf den
Prinzipien des Humanismus und der Menschenrechte“, und schon gar kein
Streben nach „Völkerverständigung durch Pflege von Toleranz und
internationale Solidarität“, alles Ziele der Freidenker-Satzung (zit. nach:
„Satzung des Deutschen Freidenkerverbandes e.V. Landesverband Nord e.V. von
1988, Fassung von 22.2.2003) Es war eher eine Demonstration des
Herrschaftsanspruchs der durch Klaus Hartmann repräsentierten Richtung.
Unsere Zeitung hat unterdessen erfahren, dass einige Mitglieder
des DFV, die am 26.11.2004
in Hamburg Klaus Hartmann kritisiert und das
Thesenpapier verteilt hatten, jetzt mit einem Schiedsverfahren rechnen müssen.
Wenn die Dinge so stehen, müssen sich die führenden Kreise der Freidenker schon
mal einige grundsätzliche Fragen gefallen lassen:
Wie schwach ist ihre Position eigentlich?
Haben sie keine Argumente, müssen sie „disziplinarisch“, also
repressiv vorgehen?
Wissen sie nichts auf das Thesenpapier zu antworten?
Oder fürchten sie, dass dann die Probleme mit der Kritik erst
richtig losgehen?
Wir halten die in dem Thesenpapier (liegt der Redaktion vor!)
niedergelegten Auffassungen der Kritiker im Wesentlichen für richtig, in jedem
Fall aber für diskutabel. Es wäre hundertmal wichtiger, diese Thesen zu
diskutieren, als die Autoren zu maßregeln.
Hartmann soll sagen, ob er einen anderen Weg als den des
Selbstbestimmungsrechtes für die albanische Bevölkerung in Kosovo weiß, um den
Konflikt zu befrieden.
Klaus Hartmann, aber auch andere Redner auf der Veranstaltung,
waren sich nicht zu schade, wissenschaftlich, historisch, international stark
umstrittene „Erkenntnisse“ serbischer Nationalisten zu verbreiten und zu
verteidigen:
Wichtiges Beispiel. Kosovo sei das serbische Kernland, so
Hartmann, auf das Serbien niemals verzichten könne und dürfte. Wir wüssten da
so einige „deutsche Kernlande“, auf die Deutschland nach Ansicht einschlägiger
Nationalisten auch nie verzichten dürfte! Sollen wir da auch die „Wiedervereinigung“
fordern?! Das ist lächerlich! Völkerverständigung kann und muss auch mit
veränderten Grenzen funktionieren. Wir sind keine bürgerlichen Nationalisten,
sondern proletarische Internationalisten. Wir sind nicht für die Lostrennung Kosovos
von Serbien, aber wir sind für das Selbstbestimmungsrecht der Albaner, die die
weit überwiegende Mehrheit in Kosovo bilden. Wenn sie die Trennung wollen, ist
dann Schluss mit Internationalismus und Nationalismus angesagt?
Wer auf serbischer Seite die Lostrennung vermeiden will, hat eine
offene und ehrliche Verhandlungs- und keine Kriegsstrategie zu formulieren, die
die Interessen des Gegenübers anerkennt und wenigstens respektiert. Genau das,
was Milosevic und Co., auch und gerade seine nationalistischen Vorgänger, zu
keinem Zeitpunkt gemacht oder auch nur gewollt haben.
Hier die serbisch-nationalistische Propaganda zu vertreten ist
umso lächerlicher, als der Kosovo-Konflikt vor Jahren Phasen durchlief, da für
gütliche Einigungen weit bessere Karten auf dem Tisch der Welt lagen: als zum
Beispiel mit Enver Hoxha ein albanischer Führer in Albanien herrschte, der das
Kosovo-Problem wie ein rohes Ei anfasste, bei allem Einsatz für die Rechte der
Kosovaren, und bürgerlichem Nationalismus entgegentrat; oder als zumindest
Teile der im Exil weilenden Kosovaren noch mit Tito-Bildern und jugoslawischen
Fahnen (z. B. 1988/89 in Stuttgart!) für eine Republik Kosovo innerhalb
Jugoslawiens demonstrierten. In dieser Zeit aber war die Unterdrückung in Kosovo
genauso drakonisch wie zuvor oder später. Da genau war keinerlei Interesse der
serbischen Nationalisten zu erkennen, den Konflikt „im eigenen Hause“ zu lösen.
Zweites
Beispiel: Die berühmte oder – je nach Gesichtswinkel -. berüchtigte Rede Slobodan Milosevics am
Vidovdan (St.Veitstag), am 28. Juni 1989, auf dem Amselfeld.. „Es ist
Milosevics Verbrechen, hunderttausende serbische Nationalisten nach Kosovo auf
das Amselfeld demonstrieren zu lassen und sie dort in übelster Weise
chauvinistisch und rassistisch gegen die albanische Nationalität aufzuhetzen“, so
heißt es dazu im Thesenpapier. Die Kritiker in Hamburg mussten eingestehen, auf
diese Rede selbst nicht genügend vorbereitet gewesen zu sein. Dafür zitierte
ein anderer Redner aus der Rede. Der Text zeigt Milosevic klar als das, was er
ist: als gewieften, mit allen Wassern gewaschenen Demagogen und Politiker. Der
offizielle Redetext dokumentiert keine offene Hetze. Der in der Veranstaltung ausführlich
zitierte Teil spricht u. A. von der Tatsache, dass niemals in der Geschichte
„…Serben allein in Serbien gelebt…“ hätten, sondern „… Bürger
aller ethnischen und nationalen Gruppen. Dies ist kein Handicap.. Ich bin
vielmehr aufrichtig überzeugt, dass dies ein Vorteil ist..“ usw. usf., was
vordergründig ganz gut klingt.
Aber:
die Kundgebung, auf der diese Rede gehalten wurde, mobilisierte tatsächlich
hunderttausende nationalistisch eingestellter Serben mitten hinein in
das mehrheitlich von Albanern bewohnte Kosovo. Sie fand statt auf offenem Felde
zwischen albanischen Dörfern und Städten in deren Hör- und Sichtweite, in einer
explosiven, antialbanisch aufgeheizten Stimmung, die nur Wochen später in einem
Gewaltexzess der jugoslawischen Bundesarmee in Kosovo gipfelte. Milosevic aber
erwähnte die Albaner in seiner Rede nicht mit einem Wort. Kein Wort der
Ansprache, kein Gruß, kein Wort der Versöhnung! Das heißt: Faktisch schloss er
sie aus seiner „Multinationalen Idylle“ aus. Und gehört nicht auch zur Analyse
dieser Manifestation, wer da alles noch sprach, durch Milosevics Anwesenheit
„geadelt“, und was? Entsprach Milosevics gesprochenes Wort überhaupt dem
offiziellen Redetext?
Drittes
Beispiel: 1990 gipfelte der Kosovo-Konflikt in der aufoktroyierten neuen
serbischen Verfassung, durch die den Kosovaren der größte Teil ihrer Rechte aus
der 1974ger-Verfassung Titos geraubt wurde. Ein auf der Hamburger Veranstaltung
gern zitierter Autor, Ralph Hartmann, Ex-DDR-Botschafter in Belgrad, schreibt
dazu in seinem Buch „Die ehrlichen Makler“ zu diesem Thema, was man sich Wort
für Wort auf der Zunge zergehen lassen muss: „Angesichts der Weigerung der
Albaner, die ihnen gemäß der neuen Verfassung eingeräumten geringeren
Autonomierechte wahrzunehmen, regiert Belgrad in Kosovo mit einer
Zwangsverwaltung, was zu zahlreichen Verletzungen garantierter Menschenrechte
führt...“ (Ralph Hartmann, Die ehrlichen Makler, 4. Auflage, S.206, Berlin
1999, Dietz-Verlag). Ralph Hartmann leugnet eigentlich nichts, er verwendet nur
Wortschminke, um dem Unterdrückungsakt durch Serbien(„die ihnen gemäß der
neuen Verfassung eingeräumten geringeren Autonomierechte“) ein angenehmeres
Aussehen zu geben. Das ist die Methode, die auch Klaus Hartmann anwendet. Opfer
werden Täter. Und die „Opfer“ dieser „Täter“, also die eigentlichen Täter,
müssen sich halt etwas deftig wehren.
Diese
Haltung ist unangemessen für den eigenen Anspruch der Freidenker auf eine „freigeistig
wissenschaftliche Weltanschauung“, auf Herbeiführung „einer
Völkergemeinschaft, die aufgebaut ist auf den Prinzipien des Humanismus und der
Menschenrechte“, auf ein Streben nach „Völkerverständigung durch Pflege
von Toleranz und internationale Solidarität“, alles Ziele der
Freidenker-Satzung.
Die
Politik von Milosevic und Co., die Leute wie Hartmann verteidigen, praktiziert
unter dem Deckmantel des Sozialismus aggressiven Nationalismus und ist bereits
historisch gescheitert. Sie scheitert jeden Tag mehr, nicht zuletzt auch
deshalb, weil die ehedem Verantwortlichen sich weigern, ihre Fehler
aufzudecken, schonungslos Selbstkritik zu üben und den Einstig in eine Zukunft
des Sozialismus zu ermöglichen.
Dafür
sollten sich Freidenker nicht hergeben.
ft.