Daimler-Chrysler-Lohnraub-Abschluss: Pfeifkonzert für den Betriebsrat

Als am Freitag, dem 23.7.04, der Untertürkheimer
Betriebsratsvorsitzende Helmut Lense in Stuttgart in der Schleyerhalle vor 7500
Kolleginnen und Kollegen trat, um den mit Daimler vereinbarten
500-Millionen-Euro-Lohnraubabschluß anzupreisen, wurde er mit einem minutenlangen
Pfeifkonzert empfangen. Die Wut der Kolleginnen und Kollegen war groß.

 

Zu Recht! Denn der Abschluss, der da trotz massenhafter
Protestaktionen zwischen Daimler und IG Metall-Führung und Betriebsratsspitze getätigt
wurde, bedeutet volle Durchsetzung der Daimler-Forderungen gegen die Kollegen.
Die „Beschäftigungsgarantie“ ist das Papier nicht wert, auf dem sie vertraglich
vereinbart wurde. Denn sie verpflichtet Daimler zu nichts.

Ein „Arbeitsmarktexperte“, Hilmar Schneider, Direktor für
Arbeitsmarktpolitik im Bonner Forschungsinstitut zur Zukunft der Arbeit (IZA),
sagte dazu in einem Interview der Stuttgarter Zeitung vom 24.7.04 in
entwaffnender Offenheit:

„- Ich glaube, dass wir es mit einem fast schon historischen Ergebnis
zu tun haben. Es ist das erste Mal seit langem, dass sich die
Arbeitnehmervertreter mit einem Angebot der Arbeitgeber abfinden müssen, ohne
nennenswert irgendetwas dafür bekommen zu haben. Die Arbeitnehmer haben auf der
ganzen Linie Zugeständnisse machen müssen.

– Stuttg. Ztg.: Allerdings erhalten die Beschäftigten im Gegenzug bis
2012 eine Jobgarantie.

– Die Garantie ist im Grunde genommen Teil des Arbeitgeberangebots
gewesen. Es ging in Sindelfingen um eine Produktion ab 2007, und es war klar,
dass Daimler-Chrysler im Falle einer Einigung auch dort produzieren würde. Die
Investition ist ja schon eine implizite Beschäftigungsgarantie. Es macht ja
keinen Sinn, eine Fertigung dort zu installieren, wenn man nach zwei Jahren schon
wieder weggehen will. Insofern glaube ich nicht, dass sich der Vorstand schwer
damit tat, eine solche Garantie zu geben.

– Stuttg. Ztg.: Kann ein Unternehmen in einem marktwirtschaftlichen
System überhaupt für eine so lange Zeit Garantien abgeben?

– Natürlich nicht. Und deshalb ist eine Beschäftigungsgarantie im
Zweifel nichts wert. Sollte Daimler-Chrysler irgendwann einmal – was ich nicht
hoffe – in eine wirtschaftliche Schieflage geraten, dann hilft die
Beschäftigungsgarantie überhaupt nichts.“

 

Ich gehe davon aus, dass damit eine Lawine losgetreten
wird.

 

„- Stuttg. Ztg.: Wird es jetzt zu weiteren Vereinbarungen à la Daimler
in Deutschland kommen?

        
Das ist in der
Tat eine Einladung an alle Arbeitgeber, dasselbe zu versuchen. Siemens war für
die Gewerkschaften schon ein schwer zu verdauender Brocken. Wenn Schrempp von „Modellcharakter“
spricht, dann hat das schon seinen Sinn. Ich gehe davon aus, dass damit eine
Lawine losgetreten wird. Die Chancen waren selten so groß, die Ertragssituation
der Unternehmen zu Lasten der Arbeitnehmereinkommen zu verbessern…

Die vielen Blößen, die sich die IG Metall in letzter Zeit gegeben hat,
sind geradezu eine Einladung an die Arbeitgeber, sie weiter auf die Probe zu
stellen
.“

So weit der Arbeitsmarktexperte Schneider. Man muss seinen
Ausführungen in wichtigen Punkten zustimmen. Der Abschluss

        
hat den Kolleginnen und Kollegen von Daimler-Chrysler
500 Mio. Euro geraubt und sie haben nichts dafür bekommen!

        
Die Beschäftigungsgarantie ist im Ernstfall wertlos!

        
Mit dem Abschluss wurde eine Lawine losgetreten! Nun
kann und muss das Kapital auch in anderen Betrieben Lohnkürzungen und
Arbeitszeitverlängerung fordern!

 

IG Metall-Führung verrät die Kolleginnen und Kollegen

 

Mit diesem Abschluss haben die IG Metall-Führung und die
Betriebsratsführung von Daimler-Chrysler die Kolleginnen und Kollegen verraten
und verkauft. Die gesamte Gewerkschaftsbewegung wird dafür mit weiteren
Angriffen der Unternehmer bezahlen müssen. Statt „Sicherheit“ zu schaffen, wie
sie behaupten, wird die Unsicherheit vergrößert. Die Kolleginnen und Kollegen
werden erpressbarer.

Die Gewerkschaften werden durch diesen Abschluss an
Kampfkraft und an Mitgliedern verlieren. Viele werden jetzt enttäuscht ihr
Mitgliedsbuch hinwerfen. Und die Kolleginnen und Kollegen werden aus Enttäuschung
über diesen Verrat erst einmal noch schwerer zu mobilisieren sein.

Es ist ja nicht das erste Mal, dass die IG Metall-Führung
den Kampf der Kolleginnen und Kollegen abwürgt. Als letztes Jahr im Osten
Deutschlands für die schrittweise Einführung der 35-Stunden-Woche gestreikt
wurde, waren es Leute wie der Untertürkheimer BR-Vorsitzende Lense und der
Gesamtbetriebsratsvorsitzende von Daimler-Chrysler Klemm, die gegen diesen
Streik mobil machten und jede Solidarität verweigerten. Sie halfen mit, den
Streik zu brechen. Schon diese krasse Niederlage der IG Metall bereitete
weitere Angriffe des Kapitals auf die geschwächten, innerlich zerrissenen
Gewerkschaften vor. Wer damals mit dem Osten keine Solidarität üben wollte, der
darf sich nun nicht wundern, wenn bei ihm genauso die 40-Stunden-Woche
gefordert wird.

Doch was jetzt erst einmal eine Niederlage ist, das kann
sich in Zukunft für die Neuorientierung der Arbeiter und Angestellten positiv
auswirken. In den Kampfaktionen vor dem Verrat zeigte sich eine starke Kraft,
Wut und der Wille zum Widerstand gegen die Angriffe der Unternehmer. Diese Wut
und Kraft werden zwar vorübergehend geschwächt, aber nicht verloren gehen. Das
Pfeifkonzert gegen die Betriebsratsspitze von Daimler-Chrysler in Untertürkheim
zeigt die Stimmung vieler.

Aus der Niederlage werden sich zwangsläufig Konsequenzen für
die Gewerkschaftsbewegung ergeben. Immer deutlicher zeichnen sich zwei
Richtungen in den Gewerkschaften ab:

        
Eine sozialdemokratische, mit dem Kapital verbundene
Co-Management-Politik. Diese kritisiert Schröder und seinen Sozialabbau nur
wegen der „Ungeschicklichkeiten“, hält ihm und den Unternehmern aber immer den
Rücken frei und schließt immer wieder „partnerschaftliche Kompromisse“, die zu
weiterem Rückzug, Lohnsenkungen und Sozialabbau führen. Diese Leute sind
moderne Co-Manager, die eng mit dem Kapital verbunden sind. Der
Gesamtbetriebsratsvorsitzende Klemm ist schon lange von den Arbeitern und
Angestellten weit entfernt. Er reist mit einem von Daimler-Chrysler bezahlten
Dienstwagen mit Chauffeur durch die Gegend. Sie sind mit ihrem großspurigen
Lebensstil entweder abhängig von den Zahlungen des Kapitals oder gehören selbst
zu ihm. So fand Ex-IGM-Vorsitzender Zwickel nichts dabei bei Mannesmann
hunderte Millionen Euro Abfindungen an Manager zu verteilen. Sein Vorgänger
Steinkühler hatte Millionen DM zur Verfügung, um in Aktien zu spekulieren.
Millionäre an der Gewerkschaftsspitze sollen Arbeiter und Angestellte
vertreten? Nein, das geht nicht! Sie vertreten ihre Interessen – die Interessen
der Reichen, der Millionäre!

        
Eine klassenkämpferische Richtung, die mehr oder
weniger konsequent gegen Sozialabbau, Lohnsenkungen und Entlassungen kämpfen
will. Diese Richtung demonstrierte ihre wachsende Stärke bei der selbständig
organisierten Demonstration gegen Sozialabbau am 1.11.03 in Berlin mit über
100.000 Teilnehmern, bei den von breiten Bündnissen und dem DGB organisierten
Demonstrationen am 3.4.04 mit über 500.000 Teilnehmern. Auch in den
Auseinandersetzung bei Daimler-Chrysler spielte diese Strömung eine bedeutsame
Rolle. Vom Werk Mettingen zogen beispielsweise am Aktionstag vom 15.7.04
entgegen der Weisung der Betriebsratsspitze mit der S-Bahn zur Kundgebung zu
fahren über 2.000 Kolleginnen und Kollegen in einer großen Demonstration über
die B10 zur Kundgebung und blockierten so diese wichtige Verkehrsader. Die
Betriebsratsspitze und die Werksleitung waren empört über diese spontane
Aktion, die die Wut und Kampfkraft der Daimler-Arbeiter zum Ausdruck brachte.
Die Betriebsratsspitze teilte mit, eine solche Aktion sei „illegal und
verantwortungslos“!

Die Gewerkschaftsspitze weiß um die Gefährlichkeit solcher
selbständiger und selbstbewusster Aktionen der Arbeiter und Angestellten.
Deshalb wird seit einiger Zeit gegen zwei aktive IG Metaller, Mate Dosen und
Witold Müller, aus dem Werk Mettingen von Daimler-Chrysler ein
Ausschlussverfahren durchgeführt. Doch auch damit werden sie die Entwicklung
nicht aufhalten können. Der Protest gegen den jetzigen Abschluss bei
Daimler-Chrysler zeigt, dass sich wachsende Teile der Arbeiter und Angestellten
nicht mehr entmündigen lassen und dass sie aktiv gegen das Kapital für ihre
Interessen kämpfen wollen.

Mit jedem Angriff der Unternehmer wird dieser Kampfeswille
weiter wachsen. Die Gewerkschaften stehen vor einer Zerreißprobe: einerseits die
vielfach mit dem Kapital verbandelten Führungen, andererseits der wachsende
Widerstand an der Basis gegen Lohnsenkungen, Arbeitszeitverlängerung und
Sozialabbau.

Wir werden aktiv dabei sein und die Kräfte des
Klassenkampfes stärken. Dies ist der einzig mögliche Weg im Kampf gegen die
immer brutaleren Angriffe des Kapitals!

Die Kolleginnen und Kollegen sind wütend