Erfolgreiche Großdemonstrationen gegen Sozialabbau am 3.4.04 in Berlin, Köln und Stuttgart
Das war der erste Schritt – wie geht es weiter?
Über eine halbe Millionen Menschen demonstrierten am 3. April gegen den
dramatisch voranschreitenden Sozialabbau. Bemerkenswert war der hohe
Anteil von gewerkschaftlich aktiven Kolleginnen und Kollegen sowie der
Jugend. Zwar waren auch die verschiedenen linken Gruppen vertreten,
doch sie beherrschten die Szene nicht mehr. Überall gab es Transparente
aus Betrieben, von gewerkschaftlichen Gremien, von Initiativen. Es
wurde deutlich: hier geht es um die Interessen der Arbeiter,
Angestellten und Beamten, um die Rentner, die Schüler und Studenten,
die Frauen, die Arbeitslosen – um die Interessen der breiten Mehrheit
der Bevölkerung!
Diese und viele andere Protestaktionen (siehe die Berichte in dieser
Ausgabe) sind Ausdruck einer allmählich anwachsenden Bewegung innerhalb
der Arbeiterklasse und der ganzen Bevölkerung. Wuchs für einen längeren
Zeitraum Hilflosigkeit, Wut, Resignation und führte dies zu einer
Abwendung von den herrschenden Parteien und Organisationen, so schlägt
dies mittlerweile Schritt für Schritt in Aktivität und Widerstand um.
Es hat sich viel aufgestaut!
Objektiv sind die Kampfbedingungen schwierig: Durch die
Internationalisierung der Märkte – auch der Arbeitsmärkte – kann und
muß das Kapital seine Angriffe auf die Arbeits- und Lebensbedingungen
verschärfen. Die menschliche Ware Arbeitskraft wird immer billiger und
durch moderne Technik immer weniger gebraucht. Entlassungen, Erhöhung
der Arbeitshetze und Produktivität, Erhöhung der Arbeitszeit,
Flexibilisierung, Ausbau unsicherer Arbeitsverhältnisse wie Leiharbeit,
Rentenkürzungen, Verschlechterung des Gesundheitswesens – das steht auf
der Tagesordnung. Objektiv befinden sich die Arbeiter, Angestellten,
Bauern, Arbeitslosen usw. in einer defensiven Situation, wo sie sich
ständig neuer Angriffe erwehren müssen.
Der Widerstand entwickelt sich
Trotz oder gerade wegen dieser schlechten Ausgangslage entwickelt sich
allmählich das Bewußtsein und die Bereitschaft zum Widerstand. Die
Menschen sind zum Kämpfen gezwungen, wenn sie sich nicht aufgeben
wollen. Es tut sich etwas in der Arbeiterbewegung, in den
Gewerkschaften, in den Betrieben. Die Menschen suchen neue Wege und
Möglichkeiten zur Organisierung ihres Widerstandes. Und sie werden sie
finden. Jede Regierung in diesem Land, egal ob sie von SPD und Grünen
oder von CDU/CSU und FDP gestellt wird, wird sich auf unruhige Zeiten
einstellen müssen. Schröders Rücktritt vom SPD-Vorsitz zeigt, wie
ungemütlich das Regieren geworden ist.
Bereits jetzt wird diese Entwicklung in den Gewerkschaften deutlich.
Bis zuletzt versuchten einige Gewerkschaftsführer mit SPD-Parteibuch
mit Sitzungen bei Schröder kleine Erfolge zu erzielen, um den
Demonstrationen die Spitze zu nehmen. Noch auf dem
ver-di-Gewerkschaftstag hatte ver.di-Chef Bsirske (er ist bei den
Grünen Parteimitglied) sich gegen eine Teilnahme an der ersten größeren
bundesweiten Demonstration gegen Sozialabbau am 1.11.03 in Berlin
gewandt. Es nützte ihm nichts. Große Teile der ver.di-Basis
mobilisierten für diese Aktion. Als über 100.000 kamen, sahen diese
Gewerkschaftsführer, die treu die Regierung stützen wollen, dass sich
auch ohne sie eine Massenbewegung entwickelt. Deshalb sahen sie sich
gezwungen, eine Kehrtwende zu machen und den Widerstand zu
unterstützen. Diesmal redeten sie als Hauptkundgebungsredner.
Diese Kehrtwende bringt Vorteile: Sie erleichterte die Mobilisierung in
der Gewerkschaft, auch wenn sie von oben teilweise zögerlich betrieben
wurde. Die Möglichkeiten der Gewerkschaften als größter
Massenorganisation der arbeitenden Menschen konnten genutzt werden. Sie
bringt allerdings auch Nachteile: Denn nun stehen auf einmal Leute an
der Spitze, die diese Bewegung gegen die Politik der Schröder-Regierung
gar nicht wollten und sie nur gezwungenermaßen mitmachen.
Doch in den Gewerkschaften wurden durch die erfolgreichen Aktionen am
1.November und am 3. April die fortschrittlichen Kräfte, die einen
aktiven Widerstand gegen die Politik des Kapitals wollen gestärkt. Ein
Anlaß, die Hände zufrieden in den Schoß zu legen, ist das nicht. Im
Gegenteil! Es wartet viel Arbeit.
Wie weiter?
Die neu entstehende Bewegung braucht in mehrfacher Hinsicht eine klare
Orientierung, damit sie sich weiter entwickeln und an Kraft gewinnen
kann.
Zum Ersten braucht sie klare Ziele für die nächste Zeit, die sich gegen
den Sozialabbau richten. Grundlage für die weitere Arbeit ist die
Ablehnung der Hartz-Pläne und der Agenda 2010.
Um die Billigkonkurrenz zu vermindern, muß ein gesetzlicher Mindestlohn
wie im Bausektor gefordert werden. Da inzwischen zigtausende Menschen
in vielen Wirtschaftssektoren unter dem Mindestlohn Bau von derzeit
8,75 Euro im Osten und 10,12 Euro im Westen arbeiten und so die Löhne
immer weiter nach unten gedrückt werden, ist ein solcher Mindestlohn
für alle Wirtschaftsbereiche erforderlich.
Pläne für die Wiedereinführung einer 42- oder gar 48-Stunden-Woche
müssen mit allen Mitteln bekämpft werden. Es reicht nicht aus, dass
sich nur die Betroffenen wehren. Dann könnte das Kapital nach dem Motto
„Spalte und herrsche!” Stück für Stück die Arbeitszeit ausdehnen und
die Löhne absenken. Deshalb muß in den Gewerkschaften ein gemeinsames
Vorgehen z.B. ein Generalstreik diskutiert und vorbereitet werden.
Statt Arbeitszeitverlängerung muß die 35-Stunden-Woche gesetzlich
verankert und in allen Wirtschaftsbereichen vollständig umgesetzt
werden. Weitere Arbeitszeitverkürzung auf 30 Stunden bei vollem
Lohnausgleich ist notwendig.
Sonderwirtschaftszonen – ob im Osten oder Westen – müssen ebenfalls
gemeinsam abgewehrt werden. Schon jetzt hat das Kapital faktisch eine
Sonderwirtschaftszone Ost mit niedrigeren Löhnen, schlechteren
Arbeitsbedingungen, längeren Arbeitszeiten. Trotzdem ist die
Arbeitslosigkeit dort viel höher.
Auch kleine Erfolge sind wichtig! Deshalb sollte sich die Bewegung auf
Schwachstellen der Politik der Herrschenden konzentrieren, um dort zu
zeigen, dass man etwas erreichen kann. Beispielsweise ist die
10-Euro-Praxisgebühr in weiten Teilen der Bevölkerung verhasst. Eine
Kampagne zu ihrer Abschaffung, ein Boykott dieser Gebühr könnten bei
ausreichender Mobilisierung ein solches politisches Gewicht erhalten,
dass Regierung und Kapital sich gezwungen sehen, diese Gebühr
zurückzunehmen. Auch kleine Erfolge können ermutigen und der Bewegung
mehr Schwung und Kraft geben. Zudem können solche Kampagnen breite
Teile der Bevölkerung zusammenschließen und die gemeinsamen Interessen
durch die praktischen Erfahrungen verdeutlichen.
Weitergehende Perspektiven sind notwendig!
Die Abwehr der Angriffe des Kapitals ist wichtig, aber nicht
ausreichend. Das Kapital verändert die Gesellschaft in seinem Sinn. Es
nimmt keine Rücksicht. Warum sollten da Arbeiter, Angestellte, Bauern,
Arbeitslose, Beamte, Rentner, Schüler und Studenten nicht ebenfalls die
Frage stellen: Was für eine Gesellschaft brauchen wir?
Moderne Technik, gestiegene Produktivität sind nichts Schlechtes. Sie
werden nur in der Hand des Kapitals zum Fluch für die, die diese neuen
Möglichkeiten schaffen. Unter kapitalistischen Bedingungen dienen sie
dazu, den Reichtum einer kleinen Minderheit zu erhöhen, während
zugleich die Mehrheit der Menschen ärmer werden. Sie können aber
genauso dazu dienen, mit weniger Arbeit mehr Wohlstand zu schaffen, die
Arbeitszeit zu verkürzen, das Leben angenehmer zu machen. Dazu ist es
notwendig, dass das Kapital entmachtet und enteignet wird und dass
Arbeiter, Angestellte, Bauern, Arbeitslose, Beamte, Rentner, Schüler
und Studenten gemeinsam dieses Land und seine Wirtschaft in ihren
Besitz nehmen und entsprechend ihren Interessen verwalten und
entwickeln.
Im ersten Anlauf ist der Sozialismus gescheitert. Doch man kann aus Fehlern lernen und es besser machen. Die brutale Entwicklung des Kapitalismus setzt den Sozialismus wieder auf die Tagesordnung.