Staat macht den Vorreiter: Stoiber führt die 42-Stundenwoche ein

Das Land Bayern macht Gebrauch von dem „Sonderstatus“, den die Beamten
nach deutschem Beamtenrecht „genießen“: Ab 1. September müssen die
bayerischen Beamten 42 Stunden arbeiten. Das hat der „Dienstherr“
Stoiber angeordnet – und fertig! Andere Bundesländer werden sicherlich
folgen.
Die Tarifgemeinschaft Deutscher Länder (TDL) ging den logisch nächsten
Schritt und kündigt Ende März 2004 die Arbeitszeit-Tarifverträge der
Bundesländer. Angestellte und Arbeiter der Länder sollen ebenfalls
länger arbeiten. Auch Innenminister Schily will in den nächsten
Tarifverhandlungen für die Beschäftigten des Bundes
Arbeitszeitverlängerungen fordern. Die Kündigung der
Arbeitszeitbestimmungen hat zwar noch keine unmittelbaren Folgen für
die betroffenen Beschäftigten. Denn Tarifverträge wirken nach. D.h.,
erst nach Abschluss neuer tariflicher Bestimmungen gilt auch etwas
Neues. Aber bei Neueinstellungen werden ab sofort bereits längere
Arbeitszeiten eingeführt, und zwar in Bayern, Hessen (42 Std.) und
Nordrhein-Westfalen (41 Std.).
Was in der Metalltarifrunde im Frühjahr mühsam abgewehrt wurde, soll
jetzt: von staatlicher Seite her vorangebracht werden: Die Verlängerung
Arbeitszeit! Das Kalkül ist eindeutig: Wenn die staatlichen Arbeitgeber
sich durchsetzen, wird die Wirtschaft es leichter haben, ihrerseits die
Arbeitszeiten zu verlängern! Laut Stoiber soll der öffentliche Dienst
jetzt den „Vorreiter für alle Wirtschaftsbereiche“ spielen. So wird ein
Frontalangriff auf die von den arbeitenden Menschen dieses Landes
erkämpften Arbeitszeitverkürzungen eingeleitet.
Die 40- bzw. 42-Stundenwoche stellt eine drastische Lohnsenkung dar.
Die Arbeitgeber vertreten zwar öffentlich: Da der Lohn des Einzelnen ja
gleich bleibe, sei die Arbeitszeitverlängerung gar nicht so schlimm. In
Wirklichkeit wird natürlich die Arbeitsstunde billiger. Und die
Lohnsenkung wird über Entlassungen bzw. Stellenstreichungen
durchgesetzt.


Wachsende Arbeitslosigkeit ist durchaus gewollt!

Hessens Ministerpräsident Koch sorgt für Klarheit. Laut „Publik“, der
Mitgliederzeitung von ver.di, will er nach Verlängerung der Arbeitszeit
des Landes Hessen 7000 Stellen im Landesdienst streichen.. Rainer
Friebertshäuser, Leiter des Tarifsekretariats für den öffentlichen
Dienst beim ver.di-Bundesvorstand, schätzt die Arbeitsplatzverluste im
Landesdienst der alten Bundesländer auf 51.000 bei einer
40-Stundenwoche, auf 100.000 bei einer 42-Stundenwoche.(Publik 5/2004)
Die Rückkehr zur 42- bzw. 40-Stundenwoche würde bundesweit
hunderttausende weiterer Arbeitsplätzen kosten. Und das ist durchaus so
gewollt. Arbeitslosigkeit und Armmut sorgen für ständigen Druck auf die
Löhne und Arbeitsbedingungen im ganzen Land.
Im Gegensatz zu den öffentlich verdrückten Krokodilstränen der
Arbeitgeber finden diese die Massenarbeitslosigkeit nicht schlecht.
Insbesondere dann, wenn sie zu deren Finanzierung weniger beisteuern
müssen. Und da tut die Regierung Schröder  mit der Agenda 2010 ja
bereits einiges zur „Kostensenkung“.
Es macht also gar keinen Sinn, mit den Arbeitgebern moralisch herum zu
streiten, dass ihre Arbeitszeitverlängerungspläne Arbeitsplätze kosten
würden. Das wollen diese genau so haben! Üble Vorhaben in der
Öffentlichkeit mit geeigneten Werbesprüchen zu vertuschen oder
schönzureden, dafür bezahlen sie schließlich ihre Marketing-Profis in
den Unternehmerverbänden. Und diese sind so dreist zu behaupten, dass
es Arbeitsplätze geben werde, wenn man die Arbeitszeit verlängert.
Freilich: In einem könnten sie sogar recht haben: Billigjobs, bei denen
wir zu wenig zum Leben und zuviel zum Sterben verdienen, könnte es
tatsächlich geben. Nur werden diese andere Beschäftigte, die noch zu
besseren Bedingungen arbeiten, verdrängen.

Da hilft nur Streik!

Verdi-Chef Frank Bsirske  kündigte am 3.April 2004 auf dem
Stuttgarter Schlossplatz vor 140000 Demonstranten einen Tarifkonflikt
in bisher nicht gekanntem Ausmaß an für den Fall, dass die Arbeitgeber
ihren 42-Stundenkurs durchziehen.
Da kann man ihn nur beim Wort nehmen.
Gegen diese Angriffe gibt es nur ein Mittel: Streik! Hier hilft kein
Warnstreik-Geplänkel, da helfen allein auch keine Demos. Hier muss eine
entschlossene, breit angelegte Streikbewegung organisiert werden, die
den Bereich von ver.di überschreitet. Es muss, wenn nötig,
Solidaritätsstreik der anderen Branchen geben. Hier ist auch ein
breites Bündnis mit den sozialen Bewegungen wie attac,
Arbeitsloseninitiativen usw. nötig.

Aber eines darf nicht übersehen werden: Die Bedingungen für die
arbeitenden Menschen sind heute nicht leicht. Umgekehrt ausgedrückt:
Die Bedingungen für das Kapital und die staatlichen Arbeitgeber sind
zur Zeit relativ günstig. EU-Erweiterung um Länder mit  niedrigen
Löhnen und Sozialstandarts, weltweite Investitionen,
Arbeitsplatzverlagerungen, prägen das Bild. Und:
Durch massenhafte Flexibilisierung in den Betrieben gibt es praktisch
keine einheitliche Arbeitszeit mehr. In tausenden von betrieblichen
Vereinbarungen wurden den Kolleg/innen bereits eine unüberschaubare
Zahl von Arbeitszeitmodellen aufgezwungen. Auf diese Weise sind
vielfach 40-Stundenwochen, ja sogar mehr, längst wieder Alltag
geworden, zumindest bei hoher Auftragslast. Mehrarbeit wird auf
Arbeitszeitkonten gebunkert und kann abgefeiert werden, wenn im Betrieb
nichts los ist. Offiziell bleibt dabei vielfach die 35-Stundenwoche als
Rechengrundlage erhalten. Aber in der Praxis wird viel länger
gearbeitet. 100 Plus-Stunden und mehr auf solchen Konten sind keine
Seltenheit. Oft werden hohe Arbeitszeitkonten aber auch dadurch dadurch
zurückgeführt, dass die Stunden ausgezahlt werden. In solchen Fällen
wird den Mitarbeitern die 35-Stundenwoche abgekauft.
Die Regeln für diese Praxis können unterschiedlicher kaum sein, so dass
es dem Kapital längst gelungen ist, die arbeitenden Menschen in Sachen
Arbeitszeit auseinander zu dividieren, zu spalten!
Jetzt werden also die Früchte des so genannten Leber-Kompromisses
geerntet, mit dem die Tarifauseinandersetzung um die 35-Stundenwoche
1984 beendet wurde. Damals wurde unter Vermittlung des früheren
Bau-Gewerkschaftschefs Georg Leber(SPD) ein Stufenplan zur Einführung
der 35-Stunden vereinbart und die Regel festgelegt, dass jeder Betrieb
die Einzelheiten selber regeln sollte. Die Ergebnisse sind eindeutig.
Darüber hinaus sind insbesondere im öffentlichen Dienst
38,5-Stundenwochen gültig. Bis heute ist also die 35-Stundenwoche nicht
stabil!
Deshalb muss sich die Kraft darauf konzentrieren, erst einmal die
35-Stundenwoche zu verteidigen, zu konsolidieren, ja z.T. Überhaupt
erst zu erkämpfen oder auch wieder zu erlangen. Und das wird unsere
volle Kraft verlangen!
Längst haben die Arbeitgeber Blut geleckt. Sie wollen den „roll-back“!
Die Arbeiter/innenklasse ist objektiv in die Defensive geraten!

Aber die Defensive bedeutet nicht, dass kein Kampf möglich ist. Die
Massendemonstrationen vom 3. April sprachen Bände. Im Gegenteil!
Bereits die Metall-Tarifrunde 2004 hat gezeigt, dass die Kolleg/innen
bereit sind zu kämpfen, wenn es ans Eingemachte geht. Fast unerwartet
gab es eine machtvolle Streikbewegung, die in Sachen
Arbeitszeitverlängerung das Schlimmste verhinderte. Aber genauso waren
es die Gewerkschaftsvorstände, die rechtzeitig in der üblichen Nacht-
und Nebelsitzung eine faulen Kompromiss vereinbarten, der das Kapital
vor einer Niederlage bewahrte. Hier liegt das Problem. Wir brauchen die
Urabstimmung und eine kämpferische Streikführung und keine faulen
Kompromisse, wenn wir den Angriff von Stoiber, Staat und Kapital
parieren wollen.