Warum die Bundesregierung keine Volksabstimmung über die EU-Verfassung will
Joschka Fischer ließ sich am 28.02.2004 in den Medien zitieren, er
wolle keine Volksabstimmung über die EU-Verfassung. So etwas liege
nicht in der deutschen Tradition.
Man sieht, er weiß Bescheid. Aber mit der Tradition stimmt es so nicht.
Mittlerweile gibt es in Deutschland eine starke Bewegung für direkte
Demokratie, die schon in etlichen Bundesländern das Recht auf
Volksentscheide erkämpft und solche auch erfolgreich durchgeführt hat.
Und: war da nicht noch was, Herr Fischer? In Ihrem Wahlprogramm? Recht auf Volksentscheid auf Bundesebene?
Und ausgerechnet bei der EU-Verfassung soll der Pöbel nix zu melden
haben? Wie das? Hat der Herr Fischer auch das Vertrauen in das Volk
verloren? Er sollte sich vielleicht ein anderes wählen.
Es sind durchaus handfeste Gründe für diese Ablehnung zu vermuten.
Eines ist bemerkenswert, wenn auch sehr bedenklich: Die EU-Verfassung
wäre beinahe schon unter Dach und Fach gewesen, hätten nicht die Herren
Aznar (Spanien) und Miller (Polen) auf dem EU-Gipfel unter
italienischer Präsidentschaft in Brüssel solch einen Rabatz für die
nationalen Interessen ihrer Länder gemacht, dass der Konsens über die
Verfassung erst einmal platzte.
In Deutschland hat noch keine breite öffentliche Auseinandersetzung
über das stattgefunden , was in diesem Verfassungsentwurf drin steht.
Trotzdem wäre die EU-Verfassung in Deutschland bereits geklärt gewesen,
denn das Volk muss ja laut Verfassung gar nicht befragt werden.
Hier ein paar Kostproben:
Nehmen wir Artikel 3, Absatz 1: Dort heißt es:
“Die Union bietet ihren Bürgerinnen und Bürgern einen Raum der
Freiheit, der Sicherheit und des Rechts ohne Binnengrenzen und einen
Binnenmarkt mit freiem und unverfälschtem Wettbewerb”
In Artikel 4 heißt es dann:
“Der freie Personen-, Waren-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr sowie
die Niederlassungsfreiheit werden innerhalb der Union und von der Union
gemäß der Verfassung gewährleistet.”
Das besonders Pikante an dieser Formulierung ist die Tatsache, dass sie
unter dem Titel Freiheitsrechte läuft und dort das Einzige ist
was dort zu diesem Thema steht. Die EU sähe mit dieser Verfassung also
für lebendige Menschen die persönliche Freizügigkeit vor. Überwiegend
aber sorgt sie sich um die Dinge, die die kapitalistische Wirtschaft
interessieren: Waren, Dienstleistungen, Kapital. Was aber ist mit den
Dingen, die einem Binnenmarkt mit freiem und unverfälschtem Wettbewerb,
die dem freien Waren-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr sowie der
Niederlassungsfreiheit im Wege stehen? Es gibt noch nicht einmal den
Anschein einer Illusion, dass, wie im Grundgesetz der BRD
geschrieben wird, der Gebrauch des Eigentums dem Gemeinwohl dienen
soll, was bekanntlich auch bestenfalls nur gut gemeint ist. Zwar gibt
es in Artikel 3 allerlei sozial anmutende Ziele. Da ist die Rede von
· nachhaltiger Entwicklung Europas auf der Grundlage eines ausgewogenen Wirtschaftswachstums an,
· einer in hohem Maße wettbewerbsfähigen sozialen
Marktwirtschaft, die auf Vollbeschäftigung und sozialen Fortschritt
abzielt,
· einem hohen Maß an Umweltschutz und Verbesserung der Umweltqualität.
· der Förderung des wissenschaftlichen und technischen Fortschritts
· der Bekämpfung sozialer Ausgrenzung und Diskriminierungen
· der Förderung sozialer Gerechtigkeit und sozialen
Schutzes, der Gleichstellung von Frauen und Männern, der Solidarität
zwischen den Generationen und den Schutz der Rechte des Kindes….
Aber es ist ein alter bürgerlicher Trick, schön klingende Worthülsen in
die Gesetze zu schreiben und deren Scheitern dann den „Sachzwängen“
zuzuschreiben
Es ist schon jetzt bekannt, dass all diese Werte von der Gewalt
kapitalistisch globalisierter Wirtschaft niedergebügelt werden.
Wettbewerbsfähigkeit wird immer den Vorrang haben vor sozialen
Grundsätzen. Freiheit des „unverfälschten Wettbewerbs“ immer den Vorzug
vor Umweltschutz und Umweltqualität. Die Regierungsgrundsätze des
Neoliberalismus dekretieren, dass die beste soziale Wirtschaft die
wettbewerbsfähige ist.
Der Bericht über das Wasserforum Stuttgart auf Seite 10 zeigt bei aller
Knappheit bereits sehr deutlich, dass es hier nicht um ein
theoretisches Problem geht. Verkauf öffentlicher Unternehmen wie
der Wasserversorgung in zahllosen Städten, Praktiken wie das
„cross-border-leasing“ öffentlicher Dienstleitungen und Güter, die ja
allesamt aus den Steuergeldern finanziert wurden, sie zeigen, dass die
Wirtschaftsgrundsätze, denen die EU-Verfassung Verfassungsrang
verleihen soll, nichts anderes bedeuten, als freie Bahn für die
kapitalistischen Großkonzerne.
Die EU-Verfassung reklamiert überdies die alleinige Zuständigkeit bei
der Handelspolitik für die EU, d.h. sie nimmt sie den Mitgliedstaaten
weg.
Auch in anderen Gebieten zeichnen sich weitgehende Zuständigkeiten der
EU ab, vor allem in der Militär- und Rüstungspolitik. Zuständigkeit der
EU, des Rates, der Kommission bedeutet, dass diese Sachgebiete nur
einer rudimentären demokratischen Kontrolle untergeordnet sind. Das
EU-Parlament ist kein vollwertiges Parlament, was die
Auseinandersetzung um das Beschlussverfahren im von den Regierungen
beschickten Rat auf dem Brüsseler EU-Gipfel deutlich machte.
Dieser Verfassungsentwurf muss vollständig ans Licht der Öffentlichkeit
gezogen werden! Schon die Artikel 3 und 4 , die wir hier beleuchten
konnten, lassen befürchten, dass es sich tatsächlich um nichts anderes
handelt als eine Verfassung für ein Europa der Monopole. Darum will
Fischer, wollen die Herrschenden im Land keine Volksabstimmung über die
EU-Verfassung!
Es kann unseres Erachtens nur eine praktische Konsequenz geben: Eine
breite Bewegung gegen dieses imperialistische Europa der Wirtschafts-
und Konzerninteressen muss endlich auch in Deutschland aufgebaut
werden. Wir brauchen Informationsveranstaltungen, öffentliche Agitation
und Aufklärungskampagnen, in denen die Pläne der Europäischen Mächte
aufgedeckt und einer Kritik unterzogen werden. Es ist für alle
arbeitenden Menschen, für Arbeiter/innen, Angestellte, die
Landbevölkerung wichtig zu klären, ob das Mitschwimmen ihrer Verbände,
der Gewerkschaften auf der EU-Verfassungskampagne richtig und im
Interesse der Mitglieder ist. Alle demokratisch gesinnten Kräfte müssen
für eine Volksabstimmung eintreten, damit das Volk sein Nein zur
EU-Verfassung sagen kann!
Aber wir können uns nicht allein auf eine solche Kampagne verlassen. Es
gibt sie noch gar nicht. Auch jetzt schon ist es notwendig, an alle
Bundestagsabgeordneten die Forderung zu richten, über ihre Haltung zur
EU-Verfassung Rechenschaft abzulegen und ggf. gegen die
EU-Verfassung zu stimmen. Es gibt viel zu tun, gehen wir es an!
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