Leszek Miller, dem Ministerpräsidenten Polens, ist zu danken. Brachte
er doch mit seiner starren Haltung auf dem Brüsseler EU-Gipfel gegen
die Verabschiedung der neuen EU-Verfassung ans Licht, worum es bei
diesem Projekt wirklich geht: Um die Hegemonie der Großmächte der EU!
Voran Deutschland und Frankreich.
Millers Motive sind allerdings ebenfalls alles andere als edel. Auch
den neuen Herrschenden Polens geht es darum, in Europa und in der Welt
als kleine aufstrebende imperialistische Macht mitzumischen. Das machte
Polen nicht zuletzt mit seiner Haltung im Irakkrieg deutlich: Zusammen
mit Großbritannien, Italien und Spanien fest an der Seite Bushs,
mittlerweile bereits Besatzungsmacht im Irak! Und entschieden gegen die
angebliche „Anti-Irak-Kriegs-Koalition„ der imperialistischen Staaten
Deutschland, Frankreich, Belgien, Russland…
Es ist der deutsch-französischen Koalition nicht gelungen, die tiefen
Widersprüche in der EU in den Griff zu bekommen. Weder Drohen noch
offen zur Schau getragene Arroganz halfen da weiter.
Geplatzt ist die Verfassungsshow am Schacher um die
Mehrheitsverhältnisse für die zukünftigen Entscheidungen im EU-Rat.
Nicht etwa an großen inhaltlichen Fragen wie z. B. Sozialstandards für
uns arbeitende Menschen, an einer humaneren Haltung zu
Globalisierungsfolgen, an Fragen wie der EU-Militärpolitik oder gar
der„Volkssouveränität„ und ihrer Zukunft im künftigen Europa. Beileibe
nicht! Sondern an der Frage, wer die Macht in der EU hat!
Der Entwurf des EU-Verfassungskonvents revidiert das im Nizza-Vertrag
mühsam ausgehandelte Abstimmungsverfahren des EU-Rats zu Gunsten der
mächtigsten und größten Länder Deutschland, Großbritannien, Frankreich
und Italien. Die im „Nizza-System„ relativ gut gestellten Länder
Spanien und Polen verlieren durch die in der EU-Verfassung vorgesehene
neue Abstimmungsregelung an Einfluss. Und hier ließen deren Vertreter,
Miller und Aznar, nicht mit sich reden.
Natürlich ermutigte die Bush-Administration ihre Verbündeten. Dazu
passt, dass Großbritannien sich in diesem Schacher auffällig
zurückhält. Viel Schelte musste auch der EU-Ratspräsident, der
halbfaschistische italienische Ministerpräsident Berlusconi, wegen
seiner Haltung in Brüssel über sich ergehen lassen. Er erklärte nämlich
den Gipfel kurzerhand für gescheitert und beendete ihn vorzeitig(!),
anstatt, wie versprochen, einen Kompromissvorschlag zu präsentieren.
Aber das Scheitern des Gipfels kümmerte ihn offensichtlich nicht. Was
schadete es ihm selbst? Was der von ihm vertretenen italienischen
Bourgeoisie? Tat er doch hier ebenfalls das Geschäft seines Oberherren
Bush! Die US-Verbündeten vertreten eben deutlich neben den eigenen
Interessen auch die der imperialistischen Supermacht USA.
EU von zwischen imperialstischen Widersprüchen zerfressen!
Durch die Entscheidung ist übrigens weder die EU-Erweiterung noch die
EU selbst in Frage gestellt. Nur laufen die Pläne der EU-Mächtigen eben
nicht wie geschmiert. Dass sie das schwer getroffen hat, und dass sie
die Niederlage nicht einfach hinnehmen werden, machten Schröder und
Chirac klar. An der Spitze einer Gruppe aus Großbritannien, Österreich,
den Niederlanden und Schweden verlangten sie schriftlich von EU-Chef
Prodi die Einschränkung des EU-Budgets auf maximal 1% des
EU-Brutto-Inlandsprodukts, was direkt gegen die Subventionen an Spanien
und Polen gerichtet ist. Seid Ihr nicht willig, dann brauchen wir eben
Gewalt!
Deutschland und Frankreich behandelten 2003 die anderen EU-Mitglieder
wie Mitglieder zweiter Klasse: Sie verlangten kategorisch die
Sonderbehandlung beim Stabilitätspakt und setzten diese auch durch: Sie
dürfen in 2004 die Haushaltsdefizitgrenze von 3% des BIP überschreiten.
Sie betreiben in klarer Einschätzung der Widerstände gegen ihre
Hegemonialansprüche eine eigene Fraktionspolitik innerhalb der EU.
Stichworte: „Europa der zwei Geschwindigkeiten„ oder „Kerneuropa„. Wenn
sich die kleineren und neueren EU Mitglieder nicht in die Pläne einer
EU-Supermacht unter der deutschen und französischen Hegemonie fügen
wollen, dann werden die wichtigen Entscheidungen eben im „kleinen
Kreis„ gefällt und im Rat durchgepaukt. Für den „kleinen Kreis„ gibt es
noch ungefestigte Vorstellungen: mal die 6 Gründungsmitglieder (so eher
Chirac), mal wechselnde Koalitionen zu Einzelfragen, bei denen es aber
„eine Gruppe von Ländern geben„ soll, „die überall dabei sind„ (Joschka
Fischer). Frankreichs Chirac schlägt sogar ein gemeinsames Sekretariat
des Kern-Europas vor, einen offenen Bruch des gegenwärtigen
institutionellen Rahmens der EU.
Die EU-Verfassung wird deshalb nun erst einmal auf Eis gelegt. Wenn
BRD-Außenminister Fischer sagt: „Lasst uns diesen Verfassungsentwurf
aufbewahren„, dann heißt das nichts anders als: „Wir legen ihn wieder
vor, wenn wir uns die Mehrheit zusammengekauft oder zusammengepresst
haben.„. Aufgeschoben ist keinesfalls aufgehoben!
Klar ist, dass auch das Verhältnis der imperialistischen Mächte
Frankreich und Deutschland widersprüchlich ist. Zur Zeit führt sie eine
zeitweilige Interessenübereinstimmung zusammen: Gemeinsam stärker
werden gegen die Supermacht USA!
Wer aber in einer künftigen imperialistischen Supermacht EU das Sagen
haben soll, das ist keineswegs entschieden. Diese Rolle haben Chirac
und Schröder jeweils sich selbst, bzw. ihren Nachfolgern zugedacht.
Auch dieser Widerspruch tritt bereits deutlich zutage: Deutschlands
Außenminister Fischer sagt im Interview mit dem Spiegel: „Das
Kerneuropa, von dem ich rede ist kein Ziel, nur faktische Konsequenz
dessen, was wir zur Zeit erleben.„ (Spiegel, 52/2003, S.26) Will sagen:
Die Pleite mit der Verfassung ist nur ein Durchgangsstadium.
Deutschland war immer Anhänger der EU-Erweiterung und spekuliert weiter
darauf, aus der Erweiterung mittels der Verfassung Machtzuwachs zu
gewinnen. Frankreich dagegen, zumindest Chirac, sieht sein Heil in der
Etablierung des erlauchten Zirkels des Kerneuropa, in dem es seinen
Einfluss am besten auf die Gesamt-EU ausüben kann. Vor allem wäre dann
der Widerspruch des Konkurrenten Deutschland zu den „kleinen„
Mitgliedsstaaten ausgeprägter, sein Einfluss begrenzter.
Auch weiterhin: Nein zur EU-VErfassung!
Mit den Interessen der Völker in der EU hat dieses Geschachere nichts
zu tun! Es ist gut, dass das Projekt der Verfassung einstweilen auf Eis
liegt. Speziell in Deutschland ist somit ein Moment der Atempause
eingetreten, der genutzt werden sollte!
Die EU-Verfassung sollte einer breiten Kritik unterzogen werden und
eine Volksbewegung gegen diese in die Wege geleitet werden. Im Mai soll
es europaweite Aktionstage gegen die EU-Verfassung geben. Wir rufen
auf, diese zu unterstützen.
Die EU-Verfassung ist die Verfassung einer imperialistischen Supermacht unter deutscher und/oder französischer Führung.
- Sie will die Militarisierung der EU, die ja in der Praxis längst
begonnen hat. Sie will bei den wachsenden militärischen Konflikten eine
eigenständige Rolle spielen. - Sie will eine ökonomische Supermacht werden. Sie opfert einer
potentiellen Weltwährung Euro alle Sozialstandards in den europäischen
Ländern, die dort in zahllosen Kämpfen der arbeitenden Menschen
errungen wurden. Sie will deshalb vereinheitlichte Niedriglohnstandards
und eine problemlose Ausbeutung in einem gemeinsamen europäischen
Markt. Sie ist ein einziger Angriff auf die Rechte der arbeitenden
Menschen in Europa, seien es Bauern, kleine Gewerbetreibende, sei es
die Arbeiter- und Arbeiterinnenklasse.
All das sind schlimme Vorzeichen, die einen Widerstand der Arbeiterklasse und ihrer Verbündeten mehr als notwendig machen.
- Wir verlangen deshalb eine Volksabstimmung über die EU-Verfassung, bevor sie eingeführt werden soll!
- Aber wir werden aufrufen, mit „Nein!„ zu stimmen.
Wir lassen uns aber nicht auf die falsche Alternative „Engstirniger Nationalismus oder internationale Zusammenarbeit„ ein.
Egal ob es eine EU-Verfassung wie jetzt geplant, ob es eine
„verwässerte„ Verfassung oder gar keine Verfassung gibt. Jede dieser
Entwicklungsvarianten stellt einen anderen Ausgang
zwischenimperialistischen Ringens in der bzw. um die EU dar. Keiner
dieser Zustände ist verlockend für die Menschen Europas.
Arbeit-Zukunft und seine Herausgebergruppe, die Organisation für den
Aufbau einer kommunistischen Arbeiterpartei in Deutschland,
unterstützen die „Stellungnahme der marxistisch-leninistischen Parteien
und Organisationen Europas„, die wir auf S.12 veröffentlicht haben.
Für uns bedeutet diese Erklärung, dass wir einen Internationalismus der
Arbeiter/innenklasse und ihrer Verbündeten vertreten, der diesen Namen
verdient. Ihr Kern ist nicht der Zusammenschluss reaktionärerer,
kapitalistischer Staaten, sondern der gemeinsame Kampf über die Grenzen
hinweg:
- Gemeinsame Tarif-, Lohn, und Gewerkschaftskämpfe
- Gemeinsamer Kampf gegen die Folgen der so genannten Globalisierung!
- Gemeinsam gegen Umweltzerstörung und für gesunde Lebensverhältnisse und Ernährung!
- Gemeinsam für die Rechte der Arbeitenden und der Völker, für Selbstbestimmung, gegen imperialistische Unterdrückung weltweit!
- Gemeinsamer Kampf gegen die imperialistischen Kriege!
Unsere Gemeinsamkeit endet nicht an den Grenzen Europas, sondern wir
wollen auch mit den Kolleg/innen in der ganzen Welt zusammen arbeiten
und kämpfen. ft