Sozialreform: Frontalangriff des Kapitals

Die Vorschläge zur Kürzung sozialer Leistungen überschlagen
sich. Jeden Tag liegt ein neues Konzept auf dem Tisch. Hier nur ein kleiner
Ausschnitt aus den geplanten Grausamkeiten:

  • Die SPD/Grünen-Regierung will das Krankengeld streichen. In
    Zukunft soll sich jeder privat versichern. Das spart dem Kapital Lohnkosten.
    Für den einzelnen bedeutet es einen weiteren Griff in die Tasche.
  • Es gibt verschiedene Pläne für eine Praxisgebühr zwischen
    10 und 15 Euro. Mal wird vorgeschlagen, diese Gebühr nur zu erheben,
    wenn man Fachärzte ohne Überweisung durch den Hausarzt aufsucht.
    Mal soll die Gebühr bei jedem Arztbesuch fällig werden.
  • Der Kündigungsschutz soll abgebaut werden.
  • Das Ladenschlussgesetz wurde geändert, sodass Geschäfte
    künftig auch am Samstag bis 20 Uhr öffnen können. Freies
    Wochenende – ade!
  • Die Arbeitslosenhilfe soll auf Sozialhilfeniveau fallen. Das Arbeitslosengeld
    soll nur noch 12 Monate gezahlt werden. Um Übergangsfristen und
    Ausnahmeregelungen wird gefeilscht.
  • Angela Merkel, CDU, forderte Kinderlosen die Rente um ca. die Hälfte
    zu kürzen.
  • Die Rürup-Kommission will ein höheres Rentenalter von 67
    Jahren und eine Rentensenkung durch Änderung der Rentenberechnungsformel
    vorschlagen.
  • Weiter sollen Lebensversicherungen und damit die viel gerühmte
    „private Vorsorge“ versteuert werden.
  • Aber auch 50% der gesetzlichen Rente soll versteuert werden.

Noch herrscht Chaos. Welche Kürzungen durchgesetzt werden, ist
nicht abzusehen. Klar ist nur, dass das Kapital dringend massive Sozialkürzungen
und Lohnsenkungen fordert. So verlangte der Deutsche Industrie- und Handelstag
eine vollständige Umsetzung der Vorschläge der Rürup-Kommission.

Das Chaos hat im Wesentlichen drei Ursachen:

  • Das Bombardement mit ständig neuen, immer grausameren Vorschlägen
    gehört zur ideologischen Kriegsführung des Kapitals. Die Menschen
    werden so mit Vorschlägen von „Experten“ zugeschüttet,
    dass der Eindruck entstehen soll, ohne Kürzungen gehe es sowieso
    nicht. Hinterher sollen dann alle erleichtert sein, wenn nur ein Teil
    durchgeht, und einige Minister, Abgeordnete und Funktionäre können
    sich in die Brust werfen, weil sie „das Schlimmste verhindert“
    haben. So werden Menschen demoralisiert und ihre Gegenwehr gelähmt.
  • Das Chaos der Vorschläge spiegelt das Chaos der kapitalistischen
    Gesellschaftsordnung wieder. Hier kämpft jeder gegen jeden nur
    für seine egoistischen Profit-, Macht- oder sonstige Interessen.
    Da bekriegen sich verschiedene Interessengruppen des Kapitals, da Taktieren
    Politiker – und alles auf dem Rücken der Arbeiter, Angestellten,
    Arbeitslosen, Rentner, Bauern usw.
  • Und drittens zeigt das Chaos auch die Angst vor Widerstand. Denn
    natürlich werden die radikalen Angriffe des Kapitals nicht einfach
    geschluckt. Sie wissen, dass die Menschen sich dagegen wehren müssen,
    weil teilweise ihre Existenz ruiniert wird. Darum versuchen sie, die
    Menschen zu verwirren, ihnen Hoffnungen auf Abänderungen zu erhalten,
    den Widerstand hinauszuzögern und zu erschweren.

Gerade dies muss verhindert werden. Der Widerstand, der sich bereits
regt, muss entwickelt, gefördert und erweitert werden.
Wie Recht hatte Karl Marx, als er den Kampf um Lohn, Arbeitsbedingungen
und soziale Leistungen beschrieb:

„Die Fixierung ihres faktischen Grads erfolgt nur durch
das unaufhörliche Ringen zwischen Kapital und Arbeit, indem der Kapitalist
ständig danach strebt, den Arbeitslohn auf sein physisches Minimum
zu reduzieren und den Arbeitstag bis zu seinem physischen Maximum auszudehnen,
während der Arbeiter ständig in der entgegengesetzten Richtung
drückt.
Die Frage löst sich auf in die Frage nach dem Kräfteverhältnis
der Kämpfenden.“
[Marx: Lohn, Preis, Profit, MEW Bd. 16, S. 149]

Diesen Kampf gilt es in den Gewerkschaften und Betrieben sowie unter
Arbeitslosen, Rentnern und allen anderen Betroffenen zu organisieren und
zu führen. Dabei müssen alle fortschrittlichen und klassenkämpferischen
Kräfte an einem Strick ziehen. Sehr eindrücklich hat Marx bereits
dargelegt, was passiert, wenn die Arbeiterklasse sich passiv verhält
und nicht wehrt. Im Fall

„dass die Arbeiterklasse auf ihren Widerstand gegen die
Gewalttaten des Kapitals verzichten und ihre Versuche aufgeben soll, die
gelegentlichen Chancen zur vorübergehenden Besserung ihrer Lage auf
die bestmögliche Weise auszunutzen? Täte sie das, sie würde
degradiert werden zu einer unterschiedslosen Masse ruinierter armer Teufel,
denen keine Erlösung mehr hilft. Ich glaube nachgewiesen zu haben,
dass ihre Kämpfe um den Lohnstandard von dem ganzen Lohnsystem unzertrennliche
Begleiterscheinungen sind, dass in 99 Fällen von 100 ihre Anstrengungen,
den Arbeitslohn zu heben, bloß Anstrengungen zur Behauptung des
gegebnen Werts der Arbeit sind und dass die Notwendigkeit, mit dem Kapitalisten
um ihren Preis zu markten, der Bedingung inhärent (innewohnend, Anmerkung
des Autors) ist, sich selbst als Ware feilbieten zu müssen. Würden
sie in ihren tagtäglichen Zusammenstößen mit dem Kapital
feige nachgeben, sie würden sich selbst unweigerlich der Fähigkeit
berauben, irgendeine umfassendere Bewegung ins Werk zu setzen.“
[Marx: Lohn, Preis, Profit, MEW Bd. 16, S. 151-152]

Die Angriffe des Kapitals zeigen aber deutlich, dass dieses System für
die Arbeiter, Angestellten, Arbeitslosen, Bauern, Rentner usw. immer weniger
Perspektiven bietet. Denn tatsächlich lässt das Kapital Angriffswelle
auf Angriffswelle gegen Löhne, Arbeitsbedingungen, soziale Rechte
folgen. Auch hier hat Marx analysiert, was dahinter steckt:

„Gleichzeitig, und ganz unabhängig von der allgemeinen
Fron, die das Lohnsystem einschließt, sollte die Arbeiterklasse
die endgültige Wirksamkeit dieser tagtäglichen Kämpfe nicht
überschätzen. Sie sollte nicht vergessen, dass sie gegen Wirkungen
kämpft, nicht aber gegen die Ursachen dieser Wirkungen; dass sie
zwar die Abwärtsbewegung verlangsamt, nicht aber ihre Richtung ändert;
dass sie Palliativmittel (Abwehrmittel, Anmerkung des Autors) anwendet,
die das Übel nicht kurieren. Sie sollte daher nicht ausschließlich
in diesem unvermeidlichen Kleinkrieg aufgehen, der aus den nie enden wollenden
Gewalttaten des Kapitals oder aus den Marktschwankungen unaufhörlich
hervorgeht. Sie sollte begreifen, dass das gegenwärtige System bei
all dem Elend, das es über sie verhängt, zugleich schwanger
geht mit den materiellen Bedingungen und den gesellschaftlichen Formen,
die für eine ökonomische Umgestaltung der Gesellschaft notwendig
sind. Statt des konservativen Mottos: »Ein gerechter Tagelohn für
ein gerechtes Tagewerk!«, sollte sie auf ihr Banner die revolutionäre
Losung schreiben: »Nieder mit dem Lohnsystem!«“
[Marx: Lohn, Preis, Profit, MEW Bd. 16, S. 152]

Genau diese Frage steht auch heute wieder auf der Tagesordnung: Abschaffung
des Lohnsystems, Abschaffung des Kapitalismus und Schaffung einer gesellschaftlichen
Alternative – damit wir nicht auf ewig Rückzugsgefechte führen
müssen!