Mit der vorläufigen Einigung über Eckpunkte zu einem Tarifvertrag
für Leiharbeit zwischen den DGB-Gewerkschaften und dem Bundesverband
Zeitarbeit (BZA) am 20. Februar 2003 hat die Umsetzung des Hartz-Pakets
eine neue Stufe erreicht.
Die ersten beiden rot-grünen Hartz-Gesetze haben ein weiteres Mal
die Lage der arbeitenden Menschen in der Bundesrepublik verschlechtert.
Mehr noch: durch die Kooperation der DGB-Gewerkschaftsführungen sind
sie faktisch zu Zuschauern degradiert worden. Diese Haltung der Gewerkschaftsführungen
muss Konsequenzen haben: In den Gewerkschaften, in den Betrieben, in der
Gesellschaft: Genug ist Genug!
Hier kann vorerst nur auf die schwerwiegendsten Maßnahmen eingegangen
werden. Differenziertere Bewertungen müssen folgen!
Die in der gesamten arbeitenden Klasse verhasste Leiharbeit, diese stete
Bedrohung des Lohnniveaus und aller anderen arbeitsrechtlichen Standards,
wird von der Leine gelassen. Die Leiharbeit erhält durch die PersonalServiceAgenturen
(PSA) bei den Arbeitsämtern höhere staatliche Weihen. Die etablierten
Leiharbeitsfirmen sollen sich von den Arbeitsämtern selbst zur PSA
ernennen lassen. Sie haben dabei sogar Vorrang vor Eigenbemühungen
der Arbeitsämter zur Gründung von PSAen! Doch auch ohne das
wurden die Leiharbeitsfirmen von Rot-Grün bestens bedient: Ihnen
wurden bisherige lästige Beschränkungen ihrer Geschäftstätigkeit
erlassen. Das Berliner Wirtschaftsministerium (BMWI) bläht sich im
Internet in dreister Offenheit auf:
„Alle wesentlichen und zum Teil seit langem bestehenden Forderungen
der Zeitarbeitsbranche nach Flexibilisierung wurden … erfüllt.“
„ … entfallen im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG)
Barrieren wie das besondere Befristungsverbot, das Wiedereinstellungsverbot,
das Synchronisationsverbot sowie die Beschränkung der Überlassungsdauer
auf 24 Monate.“
Klartext: Nun können Verleiher speziell für den Bedarf einer
Entleiherfirma Leiharbeitskräfte einstellen und diese wieder rauswerfen,
wenn der Entleiher sie nicht mehr braucht. Das war bisher verboten. Außerdem
gilt keine zeitliche Begrenzung mehr für den Verleih. Die wenigen
Schutzrechte von Leiharbeitnehmern: Weg!
Es ist dreist gelogen, wenn demgegenüber das BMWI behauptet:
„Nach dem Gleichbehandlungsgrundsatz sollen die wesentlichen Arbeitsbedingungen
einschließlich des Arbeitsentgelts von Leiharbeitnehmer/innen den
Arbeitsbedingungen entsprechen, die im Entleihbetrieb für vergleichbare
Arbeitnehmer/innen gelten.“
Denn gleich im nächsten Satz steht das Wesentliche:
„Von dieser Regel kann in zwei Fällen abgewichen werden
l in den ersten sechs Wochen des Beschäftigungsverhältnisses.
Die Entlohnung darf jedoch nicht unter dem Arbeitslosenentgelt liegen.?
l sofern ein Tarifvertrag abweichende Regelungen vorsieht.“
Die Rolle der Gewerkschaftsführungen
Es ist eine Schande für die Führungen von SPD, Grünen
und der DGB-Gewerkschaften, dass sie sofort zur Tat geschritten sind und
mit dem Bundesverband Zeitarbeit (BZA) bereits einen Tarifvertrag abgeschlossen
haben. Dessen einziger Zweck ist es, von diesem angeblichen „Gleichbehandlungsgrundsatz“
abweichen zu können! Besonders übel: Nach bisherigem Tarifrecht
können in Tarifverträgen gesetzliche Regelungen verbessert werden.
Hier geht es um Verschlechterungen! Die DGB-Gewerkschaften beteiligen
sich offen an der Aushebelung ihrer eigenen Tarifverträge.
Ihre Aufgabe müsste es mindestens sein, dem oben behaupteten gesetzlichen
Gleichbehandlungsgrundsatz (§ 9 AÜG) dadurch zum Durchbruch
zu verhelfen, dass sie den Abschluss eines Verschlechterungstarifvertrag
nicht nur verweigern, sondern aktiv verhindern! Es wird aber das Gegenteil
praktiziert!!
Der nun bekannt gewordene Tarifvertrag ist in mehrfacher Hinsicht ein
Kuriosum. Nur nicht zum Lachen, sondern zum Schaden der arbeitenden Menschen
dieses Landes:
Ein unfertiger Tarifvertrag
Die Beteiligten hatten es so eilig, dass sie es kaum abwarten konnten,
die „frohe Botschaft“ über den Abschluss bekannt zu geben.
Sie taten es, ehe der Vertrag überhaupt fertig ist. Wichtige Einzelheiten
sind noch gar nicht klar. Sie sollen bis 31.5.2003 ausgehandelt sein.
Zu lediglich 2 der „vorvereinbarten“ 5 Entgeltgruppen wurden
Geldwerte („Regelstundensätze“) festgelegt:
- Gruppe 3 („Einfache Facharbeit, die keine Zusatzkenntnisse
oder Erfahrung erfordert“) bildet mit 100% die Eck-Entgeltgruppe
und ist auf 11,00 € festgelegt, sowie - die in der Verleihpraxis sicherlich massenhaft anfallende Gruppe
1 (Tätigkeiten, die eine kurze Anlernzeit erfordern), die mit 8,40
€ (in 2004), 8,60 € (in 2005) und 8,80 € in 2006(= 80%)
dotiert ist. - Die anderen Gruppen: 5 (Hochqualifizierte Tätigkeiten), 4 (Facharbeiten,
die Erfahrung bzw. Zusatzqualifikationen erfordern) und 2 (Tätigkeiten,
die eine lange Anlernzeit erfordern) sollen bis 31.05.2003 ausbaldowert
sein.
Auch über einen weiteren wesentlichen Punkt ist man sich bereits
jetzt einig: dass von diesen Löhnen auch nach unten abgewichen kann:
bei angeblichen „besonderen Vermittlungshindernissen“, die
in der Person des Arbeitnehmers liegen sollen, und ähnlicher Willkür:
Dann erhält der betroffene „Leiharbeitnehmer“ in Gruppe
1
- im Jahr 2004 statt 8,40 € nur den „Mindeststundensatz“
von 6,85 €. - 2006 dann soll dieser dann immerhin 7,15 € betragen.
Und das bezeichnet Jürgen Peters vom IG Metall-Vorstand als Durchbruch…
Wohl wahr, fragt sich nur, wer einen Durchbruch erzielt hat! Um diese
Frage vielleicht nicht umfassend zu beantworten, aber immerhin einen Eindruck
für eine der wichtigsten Industrie-Branchen, der Metall- und Elektroindustrie
zu geben, seien hier einige Rechenergebnisse referiert.
- Die niedrigste im Tarifarchiv der IG Metall für Arbeiter/innen
dieser Branche überhaupt verzeichnete Monatslohnbetrag beträgt
für 2002 1451,75 € (Lohngruppe 1 in Sachsen). In der Entgeltgruppe
1 des Leiharbeitstarifvertrages ergibt der Mindestlohn für 2004
in Höhe von 6.85 €, multipliziert mit dem dort ebenfalls festgelegten
Monatsstundensatz von 152,25 Stunden 1042,91 €. Das sind 408 €
Unterschied. Beim Regelentgelt (nicht gekürzt) erreicht der Leiharbeitnehmer
in Entgeltgruppe 1 immerhin 1278,90 €.. - Nach dem selben Verfahren beträgt das Monats-Eck-Entgelt der
Entgeltgruppe 3 des Leiharbeitstarifvertrages 1674,75 €, der entsprechende
Metall Tarifecklohn in - Nordwürttemberg/Nordbaden 1750,64 €
- Der niedrigste überhaupt mitgeteilte Ecklohn (Südwest)
beträgt 1746 €
Das sind beachtliche Unterschiede zu Gunsten des Kapitals(Quelle: www.igmetall.de/tarife/tarifdatenbank/index.html).
Welchen Charakter hat dieser Tarifvertrag?
Eine Frage sollte erlaubt sein: Wer hat den Herren Sommer, Zwickel, Bsirske,
Schmoldt e tutti quanti ein Mandat für ihr Vorgehen ausgestellt?
Die Gewerkschaftsführungen handelten ohne Auftrag irgendwelcher Mitglieder,
irgendwelcher Gremien, irgendwelcher Organe, so wie Zwickel dereinst ohne
jeden Auftrag das berüchtigte und soeben gescheiterte „Bündnis
für Arbeit“ aus der Taufe hob. Es gibt keine von irgendwelchen
Mitgliedern demokratisch bestimmte Tarifkommission, die Verhandlungsergebnisse
beraten und abstimmen könnte. Es ist darüber hinaus absolut
unklar, wie viele Gewerkschaftsmitglieder es im Bereich Leiharbeit überhaupt
gibt, wie und wo sie organisiert sind.
Von besonderen Anstrengungen, Leiharbeiter/innen zu organisieren, ist
nichts bekannt. Ein Tarifvertrag ohne Mitglieder, die für ihn zu
kämpfen bereit wären, ist ein Widersinn. Er verwandelt sich
aus einem Waffenstillstandsabkommen im Kampf zwischen Arbeiter- und Kapitalistenklasse
(bzw. diesem Verhältnis nachgebildet!) in eine gegen die Einheit
der Arbeitenden gerichtete Verwaltungsvorschrift, in ein Instrument der
Kapitalisten! Und das unter gütiger Mithilfe der Gewerkschaftsführungen!!
Ich-AGs
Mit den so genannten „Ich-AG“s wird, vorerst nur bis 2005
befristet, eine weitere Stufe der Deregulierung des Arbeitsmarktes eingeleitet..
Ein seltsames „Sozial-Experiment“! „Ich-AG“, das
ist ein zynischer Name für bisher Arbeitslose, die sich mit Zuschüssen
des Staates selbstständig machen, aber nicht mehr als 25.000 €
pro Jahr verdienen dürfen. Über deren Geschäftsfelder wird
nur gesagt, den Ich-AGs stünden alle Tätigkeiten offen, die
auch sonst selbständig ausgeübt werden können. Nichts also
hindert ein Unternehmen, mit „Ich-AG“s, z. B. unter dem Deckmantel
des Werkvertrags Verträge über bestimmte Arbeiten abzuschließen,
so dass bald erste „Ich-AG“s, also in die Selbständigkeit
gedrängte Kolleg/innen, in Betrieben auftauchen dürften. Hier
wird „im Erfolgsfalle“ ein Typ von Arbeiter/in geschaffen,
der allen seine Arbeitskraft billig und ohne „lästige“
Lohnnebenkosten anbieten muss, da er sich selbst versichern muss. Durch
die Begrenzung des Einkommens ist diese Arbeitskraft sozusagen zwangsweise
billig.
Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe
Noch nicht fertig in Gesetzesform gegossen, aber durch vorbereitende
Maßnahmen in die Wege geleitet wurde das so genannte „Arbeitslosengeld
II“, die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe, die
einen weiteren Armutsschub bringen wird. Ute Kumpf, MdB für die SPD
und IG Metallerin, bemühte sich zwar am 8.März 2003, auf der
Frauentagsveranstaltung der Stadt Stuttgart dem Publikum weiszumachen,
hier sei noch gar nichts festgelegt. Aber das sind nur Ablenkungsmanöver.
Das zweite Hartz-Gesetz schafft bereits die Voraussetzungen für die
gemeinsame Datenverwaltung von Arbeitsämtern und Sozialämtern.
Der Rest wird sicher kommen, wenn es nicht gelingt, durch gemeinsamen
Widerstand die Hartz-Gesetze zu stoppen.
Arbeitsplätze werden nicht geschaffen!
Durch keine einzige Maßnahme der beiden Hartz-Gesetze werden Arbeitsplätze
schaffen. Es können zur Zeit gar nicht so schnell „Reformen“
verabschiedet werden, wie das Kapital Arbeitende rauswirft. 4,72 Mio.
offizielle Arbeitlose im Februar 2003, eine Dunkelziffer von rund 2 Millionen
nicht registrierten Arbeitslosen ist noch dazuzurechnen!! Im Januar standen
5,5 Mio. Arbeitssuchenden ganze 350.000 Stellen gegenüber, viele
davon Mehrfachmeldungen, Teilzeitjobs, Jobs auf freiberuflicher und selbständiger
Basis. Das ist die Realität! Die Hartz-Gesetze werden zu nichts anderem
taugen als dazu, weitere Beschäftigte aus ihren Arbeitsplätzen
durch prekärere Beschäftigte zu verdrängen. Da klingt es
wie Hohn, dass gerade jetzt die Bundesregierung den Kündigungsschutz
verschlechtern will. Noch leichteres Kündigen, ein wachsendes Angebot
an präkarisierten Arbeitskräften, geringere Sicherheiten, verschlechterte
Standards, Niedriglöhne – Das ist die Quintessenz dieser Art
von Arbeitsmarktpolitik.
Hartz und die Schwäche der Gewerkschaften
Man kann vor negativen Tatsachen und Entwicklungen den Kopf in den Sand
stecken. Besser ist es aber, auch üblen Tatsachen in die Augen zu
sehen. Das Hartz-Konzept und die ihm folgende Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik
von Rot-Grün bringen die Krise der Arbeiter/innenbewegung ans Licht.
Zuschauer sein, wie die errungenen und erkämpften Standards kaputtgemacht
werden – war´s das? Westerwelle und Merz beginnen bereits eine gezielte
Hetze gegen „die Gewerkschaften“. Das Ganze Dilemma der so
genannten „Gewerkschaftslinken“ kommt darin zum Ausdruck,
nicht zu erkennen, dass enttäuschte, desillusionierte, wütende
und frustrierte Gewerkschafter/innen dem Treiben der Gewerkschaftsführungen
eben nicht achselzuckend zuschauen,. es hinnehmen. Solchen Kolleg/innen
tun was. Sie treten aus, und zwar zahlreich! Sie haben gar keine allzu
anspruchsvollen Erwartungen an eine Gewerkschaft. Sie erwarten, dass um
die Interessen der Mitglieder gekämpft wird, dass Tarifverträge
notfalls mit Zähnen und Klauen verteidigt werden und dass man nicht
belogen wird.
Es gibt im Kapitalismus keinen Weg aus der Arbeitslosigkeit! Und es
gibt im Kapitalismus nur dann eine Milderung der Arbeitslosigkeit,
- wenn die Arbeitszeit verkürzt wird,
- wenn der Flexibilisierung Grenzen gesetzt werden und
- wenn die Prekarisierung (unsichere Beschäftigung) durch Leiharbeit
und ähnliche Deregulierungen bekämpft und nicht gefördert
wird.
Eine Gewerkschaft wie die IG Metall, deren Führer in ihrem Entwurf
zu einem Zukunftsmanifest der Arbeitszeitverkürzung eine Randrolle
zubilligen, kann sich hier schlechterdings abmelden. Wenn sie nicht aufpasst,
erledigen das auch ihre derzeitigen Mitglieder durch Abstimmung mit den
Füssen.
Und wenn die Gewerkschaftslinken, nicht erkennen, dass ihre Basis nur
in real kämpfenden Belegschaften und in einer realen gesellschaftlichen
Bewegung liegen kann, wenn sie nicht sehen, dass ihnen nur ein fester
Zusammenschluss hilft, dann brauchen sie sich über ihren mangelnden
Einfluss nicht zu wundern.
Widerstand gegen die Hartz-Gesetze gibt es durchaus! Aber einen zusammengeschlossenen?
Nein! Unserer Meinung nach muss der Zusammenschluss heute um folgende
Punkte erfolgen: Führen und fordern wir, neben der gemeinsamen Aktion
gegen Hartz und die Folgen, eine breite politische Diskussion um:
- Arbeitszeitverkürzung auf 30 Stunden/Woche bei vollem Personal-
und Lohnausgleich! - Normalarbeitstag von 6 Stunden!
- Mehrarbeit und Langzeitkonten sukzessive abschaffen!
- Verbot der Leiharbeit! Aufhebung des AÜG, Übernahme der
Leiharbeitskräfte in feste Beschäftigungsverhältnisse
beim letzten Entleiher! - Keine Änderungen am Kündigungsschutz!
- Eine internationale Orientierung unsrer Politik
- Und eine gesamtgesellschaftliche Perspektive
Gegen die Flexibilisierungsforderung des Kapitals hilft nur ein breiter
Zusammenschluss , der obige Forderungen durchzusetzen in der Lage ist.